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Demo vor Börse © ohallmann/Flickr/CC

Milliarden gegen das Elend statt für Banken (I)

upg /  François Hollande will die Wirtschaft ankurbeln. Die nötigen Milliarden könnte er mit der EU bei den Finanz-Spekulanten holen.

Die meisten Regierungen balancieren heute auf einem schmalen Grat. Links droht das Wachstum der Wirtschaft abzustürzen, rechts besteht akute Absturzgefahr, weil die Schuldenlast drückt. Um die Schulden abzubauen, wäre ein drastischer Sparkurs angezeigt mit höheren Steuern, steigenden Zinsen und einem Abbau von Subventionen. Doch dieser Kurs führt in eine schwere Rezession.
Vor diesem Dilemma stehen nicht nur der neue französische Präsident, sondern praktisch alle Industriestaaten. Fast verzweifelt diskutieren Ökonomen, wie Länder drastisch sparen und gleichzeitig das Wirtschaftswachstum ankurbeln können. «Diffuse Debatte zwischen Ergänzen und Aufweichen der Austeritätspolitik», titelte die NZZ. Die Einsicht scheint sich langsam durchzusetzen: Eine Überdosis an Sparen macht alles nur schlimmer. Und die sozialen und politischen Risiken sind zu gross.

Wachstum schon lange nur noch auf Pump

Nur: Frühere Versuche, Rezessionen und Schulden nach dem Rezept von Keynes mit noch mehr Schulden zu bekämpfen, sind fast alle kläglich gescheitert. Das Wirtschaftswachstum zog zwar manchmal vorübergehend wieder an, aber zurück blieb in den meisten Ländern ein noch höherer Schuldenberg, den das Wachstum nicht zu reduzieren vermochte.
Niemand wollte wahr haben, dass die Probleme der Arbeitslosigkeit, der Sozialversicherungen oder der Wettbewerbsfähigkeit mit Wirtschaftswachstum zu lösen, bereits seit fast zwanzig Jahren versagt hat. Denn in diesen zwei Jahrzehnten ist die Wirtschaft nur noch auf Pump gewachsen (die Schweiz ist eine von zwei Ausnahmen): Die Schulden der Industriestaaten nahmen stärker zu als ihre Bruttoinlandprodukte. Trotzdem blieben Ökonomen und Politiker auf das wirtschaftliche Wachstum blind fixiert. Es war ihnen sogar egal, was wächst, ob Sinnvolles oder Sinnloses, wenn die Wirtschaft nur wächst. Und es war ihnen egal, ob die Wirtschaft nur noch auf Pump wächst.

Die drängende Frage

Wenn Regierungen heute die Abwärtsspirale stoppen und gleichzeitig ihren riskanten Schuldenberg reduzieren wollen, brauchen sie dringend mehr Geld. Doch zusätzliche Kredite, selbst falls «abgesichert» durch eine nochmals erhöhte «Feuerkraft» des Internationalen Währungsfonds, bringt die bereits enorme Geldblase über kurz oder lang zum Platzen.
Ohne einen totalen Kollaps zu provozieren, braucht es für Ausgaben reale Einnahmen. Nur mit realen Einnahmen können überschuldete Staaten weiter sparen und Schulden abbauen, trotzdem aber die sozialen Netze für die Menschen erhalten und investieren in die Infrastruktur und die Zukunft des Landes.
Aber woher die realen Milliarden nehmen? Das Stopfen von Steuerschlupflöchern und das stärkere Besteuern der Reichen sind nötig, um das soziale Gefüge zu kitten. Doch beides reicht nicht.

Besteuern von Kapitaltransaktionen

Frei vom Einfluss der Lobbys sieht eine Analyse wie folgt aus:
• Erwerbsarbeit ist zu wenig vorhanden – also darf man sie nicht zusätzlich besteuern und noch teurer machen. Im Gegenteil: Eine Entlastung der Lohnkosten von den Sozialabgaben drängt sich auf.
• Der Konsum bricht ein – also auch die Mehrwertsteuer nicht erhöhen.
• Kapital ist im Überfluss vorhanden – also das Kapital besteuern!
• Rohstoffe und Energie werden in Zukunft knapp und es gilt, sehr haushälterisch damit umzugehen – deshalb Rohstoffe und Energie zusätzlich besteuern.

Täglich zwei Billionen Dollar steuerfrei gehandelt

Technisch kurzfristig realisierbar ist eine Kapitaltransaktionssteuer (nicht zu verwechseln mit der Stempelsteuer in der Schweiz und in Grossbritannien). Eine Kapitaltransaktionssteuer brächte rasch nötige Milliarden, ohne dass die Realwirtschaft Schaden nimmt. Sie funktioniert so: Bei jeder Banküberweisung, jedem Kauf oder Verkauf von Finanzpapieren jeglicher Art, auch Derivaten und Hedge-Fonds, sind 0,01 bis 0,1 Prozent als Quellensteuer abzuschöpfen. Technisch ist eine solche Abgabe einfach und unbürokratisch, denn alle Transaktionen werden heute elektronisch erfasst. Eine solche «Tobin-Tax» von nur 0,05 Prozent (5 Promille) brächte in den Euro-Ländern jedes Jahr über 60 Milliarden Franken Einnahmen, wie Michael R. Krätke, Professor für Ökonomie an der Universität Amsterdam ausrechnete. Etwas gebremst würde damit die kurzfristige Börsenspekulation, was der Realwirtschaft nicht schadet.
«Heute erreicht der steuerfreie weltweite Börsenumsatz weltweit täglich zwei Billionen Dollar», schätzt Heiner Geissler, früherer Generalsekretär der CDU. In einem Appell an Europas Regierungen forderte letzte Woche auch der deutsche Ex-Kanzler Gerhard Schröder eine Finanztransaktionssteuer. Deren Einnahmen sollen verhindern, dass «die Sparprogramme Europa strangulieren».

Doch die Finanzbranche, die weltweit über eine starke Lobby verfügt und die Regierungsparteien der meisten Länder finanziell unterstützt, hat sich so erfolgreich in Szene gesetzt, dass die EU eine Finanztransaktionssteuer aus den Traktanden gestrichen hat. Kurzfristige Eigeninteressen stehen im Weg, um gesellschaftlichen und politischen Abstürzen mit gravierenden Folgen vorzubeugen.

ZWEITER TEIL FOLGT: DER SCHULDENBERG WIRD WIE EIN KARTENHAUS EINSTÜRZEN


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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