Grimselsee_KWO

Kraftwerke Oberhasli (KWO) über den Grimselstrom: «Ein konkurrenzfähiger Preis» © robert bösch/kwo

Das PR-Märchen von der unrentablen Wasserkraft

Kurt Marti /  Die Behauptung des Stromverbandes VSE, die Rentabilität der Wasserkraft sei «stark gefährdet», steht auf sehr wackligen Beinen.

Der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) erklärte am 10. April 2014 per Medienmitteilung, die Rentabilität der bestehenden Schweizer Wasserkraftwerke sei «weiterhin stark gefährdet». Ähnliche Meldungen gehören in letzter Zeit zur Sprachregelung der Strombranche und werden von den Schweizer Medien mehrheitlich kritiklos übernommen.

VSE muss seine Behauptung «präzisieren»

Infosperber forderte den VSE auf, seine Behauptung mit Fakten zu belegen. Darauf nahm der VSE wie folgt Stellung: «Die durchschnittlichen Gestehungskosten bestehender Schweizer Speicher- und Laufwasserkraftwerke liegen bei rund 7 Rp./kWh, die Spannbreite beträgt 3 bis 10 Rp./kWh. Insbesondere neue Speicherkraftwerke haben deutlich höhere Gestehungskosten. Der Grosshandelspreis liegt aber mit rund 5 Rp./kWh deutlich unter diesem Durchschnittswert der Wasserkraftwerke. Entsprechend muss festgehalten werden, dass die Rentabilität der Schweizer Wasserkraft stark gefährdet ist.»

Weil ausdrücklich von «bestehenden» Wasserkraftwerken die Rede war, wollte Infosperber vom VSE zusätzlich wissen, welche «neuen Speicherkraftwerke» in letzter Zeit denn gebaut wurden? Darauf antwortete der VSE: «Die Formulierung war allenfalls nicht ganz präzise. Sie ist nach vorne gerichtet: Bei Neubauten rechnet man mit höheren Gestehungskosten.» Mit dieser Präzisierung des VSE wird eines deutlich: Es muss zwischen bestehenden und zukünftigen Wasserkraftwerken unterschieden werden. Eine Unterscheidung, die der VSE gerne unterlässt, um Verwirrung zu schaffen. Schliesslich geht es um zukünftige Subventionen. Klarheit ist also gefragt.

Gestehungskosten des VSE sind zu hoch gegriffen

Die VSE-Behauptungen werfen zwei Fragen auf:

  1. Stimmen die Gestehungskosten von 7 Rp./kWh für die bestehenden Wasserkraftwerke und worauf stützt der VSE diese Zahl?
  2. Ist der vom VSE genannte Grosshandelspreis von 5 Rp./kWh überhaupt relevant für die Schweizer Wasserkraft?

Auf Nachfrage von Infosperber stützte der VSE die Gestehungskosten von 7 Rp./kWh nicht direkt auf brancheneigene Berechnungen, sondern auf die Studie «Überblick finanzielle Kerngrössen der Schweizer Wasserwirtschaft» (2009) des Beratungsbüros «Ernst Basler + Partner» im Auftrag des Bundesamtes für Umwelt (Bafu). Die Bafu-Studie nennt durchschnittliche Gestehungskosten der Wasserkraft von 6,6 Rp./kWh und bezieht sich dabei auf eine Studie des Instituts für Wirtschaft und Ökologie der Universität St. Gallen mit dem Titel «Bedeutung der Wasserzinse in der Schweiz und Möglichkeiten einer Flexibilisierung» aus dem Jahr 2004. Auf dieselbe St. Galler Studie bezieht sich auch die Studie «Perspektiven für die Grosswasserkraft in der Schweiz» (Dezember 2013) des Bundesamtes für Energie (BFE) und kommt auf wesentlich tiefere Gestehungskosten von 5 bis 6 Rp./kWh.

Klarheit über die Zahlen der St. Galler Studie, auf die sich alle Studien berufen, gibt eine Grafik in einer weiteren BFE-Studie «Ökonomische Überlegungen: Grundlagen Wasserzinspolitik» (2008): Die Gestehungskosten für Lauf- und Wasserkraftwerke betragen 4,8 bis 5,7 Rp./kWh. Für Pumpspeicherkraftwerke hingegen gelten 7 Rp./kWh. Die Gestehungskosten von 4,8 bis 5,7 Rp./kWh in der St. Galler Studie, auf die sich der VSE indirekt beruft, sind also bedeutend tiefer als die behaupteten 7 Rp./kWh.

Subventionen für tollkühne Milliarden-Investitionen

Die Gestehungskosten von 7 Rp./kWh, welche der VSE für die gesamte Wasserkraft ausgibt, gilt also laut St. Galler Studie nur für die teuren Pumpspeicherwerke. Damit ist die Katze aus dem Sack: Nicht die bestehenden Wasserkraftwerke sind gefährdet, sondern die bestehenden und die geplanten Pumpspeicherkraftwerke. Und genau für diese Fehlinvestitionen in die Pumpspeicherkraftwerke Linth-Limmern (Axpo) und Nant de Drance (Alpiq) ruft die Strombranche seit zwei Jahren nach Subventionen.

Weil die Politik aber zögert, für diese tollkühnen Milliarden-Investitionen Subventionen locker zu machen, wird nun die gesamte Wasserkraft schlecht geredet, die plötzlich gefährdet sein soll. Dabei haben sich die Gestehungskosten seit 2000 nicht wesentlich verändert. Das zeigen die Zahlen der St. Galler Studie, die auf Erhebungen aus dem Jahr 2000 beruht.

Widerspruch zu diversen Einschätzungen der Strombranche

Das PR-Märchen des VSE von der «weiterhin stark gefährdeten» Wasserkraft mit Gestehungskosten von 7 Rp./kWh ist auch im Widerspruch zu diversen Einschätzungen der Strombranche selbst: Die BKW beispielsweise zählt auf ihrer Homepage die «relativ tiefen Gestehungskosten» zu den Vorteilen der Speicherkraftwerke. Und im neusten Bulletin des Schweizerischen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV) ist keineswegs von Gestehungskosten von 7 Rp./kWh die Rede, sondern nur von 5 bis 6 Rp./kWh. Mit dieser Differenz konfrontiert erklärte der VSE: «Die Zahlen von BFE und SWV können wir nicht kommentieren.»

Auch die Kraftwerke Oberhasli (KWO), welche die Wasserkraftwerke auf der Grimsel betreiben, nennen auf ihrer Homepage durchschnittliche Gestehungskosten von 5 Rp./kWh und kommentieren freudig: «Ein konkurrenzfähiger Preis». Schlussendlich widerspricht sich der VSE sogar selbst, denn laut seinem Basiswissen-Dokument «Grosswasserkraftwerke» liegen die durchschnittlichen Gestehungskosten der Schweizer Wasserkraftwerke «bei etwa 6 Rp./kWh».

Gestehungskosten werden auf die StromkundInnen überwälzt

Nachdem sich die Behauptung des VSE bezüglich der Gestehungskosten als PR-Märchen entpuppt hat, stellt sich die Frage, ob wenigstens die VSE-Behauptung bezüglich der Grosshandelspreise Hand und Fuss hat. Insbesondere die Behauptung, die tiefen Grosshandelspreise von 5 Rp./kWh würden die Rentabilität der Schweizer Wasserkraft «stark gefährden». Wenn dies der Fall wäre, müssten logischerweise die Strompreise der meisten Schweizer StromkundInnen in den letzten Jahren gesunken sein. Das ist aber nicht der Fall. Deshalb wollte Infosperber vom VSE wissen: Wenn die Marktpreise unter Druck sind, wieso sind dann die Strompreise der meisten Schweizer StromkundInnen nicht gesunken?

Die Antwort des VSE ist verblüffend korrekt und stellt indirekt seine eigene Behauptung in Frage: «Die Haushaltkunden und Verbraucher mit weniger als 100 MWh/Jahr haben noch keinen Zugang zum freien Markt. Sie sind somit an ihren Stromversorger gebunden, der jeweils im August für das nachfolgende Jahr die Preise fixiert. Das führt dazu, dass die Preise nicht sehr elastisch sind. Der Preis für Haushaltkunden basiert deshalb auf den Gestehungskosten der Kraftwerke respektive (häufig langfristigen) Bezugsverträgen und Beschaffungskosten der Energieversorger. Im Fall der Eigenproduktion des EVU (Elektrizitätsversorgungsunternehmen; Anm. d. Red.) hat die EEX (europäische Strombörse in Leipzig; Anm. d. Red.) somit keinen Einfluss. Das EVU könnte zwar an der EEX einkaufen, bliebe dann aber wohl auf dem selber produzierten Strom sitzen.»

Dramatischer Einbruch bei den Pumpspeicherwerken

Im Klartext: Die Stromkonzerne können die Gestehungskosten auf die gebundenen StromkundInnen im Inland überwälzen und erleiden dadurch keine Einbussen. Die niedrigen Grosshandelspreise spielen dabei keine Rolle. Nur die Gewinne im internationalen Stromhandel werden durch die niedrigen Grosshandelspreise geschmälert. Vor allem die Pumpspeicherwerke kommen unter Druck. Im 2013 ging der Verkauf von Pumpspeicherstrom um 11,6 Prozent zurück. Ein dramatischer Einbruch, wenn man bedenkt, dass zur Zeit die Pumpspeicherwerke Linth-Limmern und Nant de Drance im Bau sind, welche rund vier Milliarden Franken verschlingen und welche die Pumpspeicherleistung mehr als verdoppeln werden. Das ist das wahre Problem der Strombranche und deshalb versucht der VSE den Weg für zukünftige Subventionen zu ebnen. Mit verwirrenden PR-Märchen statt mit Fakten.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Kurt Marti war früher Beirat (bis Januar 2012), Geschäftsleiter (bis 1996) und Redaktor (bis 2003) der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES)

Zum Infosperber-Dossier:

Stromleitungd

Die Politik der Stromkonzerne

Elektrizitätsgesellschaften verdienen am Verkaufen von möglichst viel Strom. Es braucht endlich andere Anreize.

Staudamm

Streit um die Höhe der Wasserzinsen

Die Stromlobby und der Bund wollen im Parlament tiefere Wasserzinsen für die Bergkantone durchsetzen.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

2 Meinungen

  • am 22.04.2014 um 19:07 Uhr
    Permalink

    Sehr guter Artikel, der zeigt, wie auch in der Schweiz der Bürger ja nicht etwa betrogen, sondern «nume (äxgüsi, gälle si, s tuet mer schuurig leid) irrtümlicherwiis es bitzeli faltsch ume «informiert» wird", damit er überrissene Preise als naturgegeben schluckt.
    Ich reblogge auf bumibahagia.com
    Danke!

  • am 23.04.2014 um 11:27 Uhr
    Permalink

    Die VSE-Information zur Wasserkraft und den scheinbar zu hohen Gestehungskosten ist ein Ablenkungsmanöver. Die Probleme der CH-Stromwirtschaft liegen an drei anderen Orten:
    1. Den Fehlinvestitionen in die Pumpspeicherung, wie von Kurt Marti dargestellt.
    2. In der Fixierung auf den europäischen Stromhandel, der in den letzten 10 Jahren total zu 12’120 Mio. Franken Nettogewinn führte und unter den aktuellen Strompreisen massiv einbricht. Damit werden viele Hochspannungsleitungs-Ausbauprojekte in Frage gestellt.
    3. Den Kosten für Atomkraftwerke, je nach Quelle liegen deren Produktionskosten bei mindestens 5-8 Rp./kWh. Die Bandstromproduktion (Stromproduktion rund um die Uhr) muss, im Gegensatz zur bedarfsgerechten Stromproduktion aus den Speicherwasserkraftwerken, mit dem europäischen Stromdurchschnittspreis verglichen werden, der in den letzten 50 Tagen unter 4 Rp./kWh lag, mit weiter sinkender Tendenz.
    Im Falle der beiden AKW Beznau investiert die AXPO z.Z. 700 Millionen Franken für Nachrüstungen. Wenn beide Anlagen noch 10 Jahre laufen würden (je 3’000 GWh/Jahr), ergäbe dies Zusatzkosten von 1,4 Rp./kWh (bei einem Kapitalzins von 3%). Bei 5 Restlaufjahren resultieren Zusatzkosten von 2,5 Rp./kWh. Weiter muss für den Rückbau und die Endlagerung mit zusätzlichen 2 Milliarden ungedeckten Kosten gerechnet werden. D.h. Bei 10 Jahren Restlaufzeit: 3,3 Rp./kWh, bei 5 Jahren sogar 6,6 Rp./kWh.
    Das ergibt 5-8 Rp./kWh ungedeckte Kosten! Pro Tag mehr als eine Million Franken!

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...