In die Bundesverfassung gehört eine Konfliktnorm

Christian Müller /  Der Think-Tank Forum Aussenpolitik macht einen interessanten Vorschlag zur Verhinderung von völkerrechtswidrigen Volksinitiativen.

Spätestens seit der Minarett-Initiative herrscht bei Politikern und Juristen eine berechtigte Unruhe. Wie kann man verhindern, dass mit einer Volksinitiative Regelungen in die Bundesverfassung kommen, die dem Völkerrecht und/oder den Grundrechten widersprechen, also eigentlich gar nicht umgesetzt werden können?

Die dabei auftretenden Fragen sind vor allem die folgenden: Wann soll eine Initiative geprüft werden, vor der Unterschriftensammlung, zwischen Ablieferung der Unterschriften und der Abstimmung, oder erst nach erfolgter Abstimmung bzw. Annahme der Initiative? Und wer soll eine solche Überprüfung vornehmen bzw. entscheiden können, ob eine Initiative Rechtens ist oder nicht, das Parlament, das Bundesgericht, oder wer sonst? Und natürlich: Wie werden die Kriterien definiert, nach denen eine Initiative, die dem Völkerrecht und/oder den Grundrechten widerspricht, als ungültig erklärt werden kann?

Opposition ist programmiert…

Die Fragen sind insofern brisant und politisch heikel, als natürlich jeder weiss, dass sich die SVP als Urheberin der Minarett- und der Ausschaffungs-Initiative einer neuen Regelung, die Volksinitiativen gewisse Schranken setzt, massiv widersetzen wird. Ausserdem sind solche Themen in einem Wahljahr äusserst unpopulär, weil kein Politiker und keine Politikerin sich dem potenziellen Vorwurf aussetzen möchte, Volksrechte beschneiden zu wollen. Der Wahlkampf hat im Politbetrieb schon seit Monaten absoluten Vorrang. Leider.

Konstruktiver Vorschlag von unerwarteter Seite

Umso erfreulicher ist es, wenn nun von einer Gruppierung ein sinnvoller und praktikabler Vorschlag kommt, die sich dem Wahlkampf-Karussell nicht aussetzen muss: vom Forum Aussenpolitik, einem Think-Tank von Studenten und jungen Akademikern, die konstruktive Beiträge zur Aussenpolitik leisten wollen (und die damit, was sie selber allerdings nicht sagen, dem einseitig die Wirtschaftsinteressen verpflichteten Think-Tank avenir suisse eine Alternative entgegensetzen). Das Forum Aussenpolitik, kurz foraus genannt, von Nicola Forster ins Leben gerufen und auch von ihm präsidiert, ist parteipolitisch unabhängig und erfreut sich mittlerweile eines wachsenden Zustroms politisch interessierter und engagierter Studenten und Studentinnen. Da wird denn auch nicht nur nächtelang diskutiert, sondern in thematisch abgegrenzten Arbeitsgruppen seriös geforscht, beraten und formuliert. Und was da zu Papier gebracht wird, wird nun auch zunehmend beachtet, nicht zuletzt von jenen, die sich mit politisch schwierigen Problemen konfrontiert sehen. (In den Medien haben Nicola Forster und sein Forum Aussenpolitik foraus fast nur in der deutschen Wochenzeitung «Die Zeit» ein seiner Bedeutung angemessenes Echo erhalten.)

Intelligent nachgedacht und sauber formuliert

Nun haben Stefan Schlegel und David Suter, beide foraus-Mitglieder mit abgeschlossenem Jus-Studium, ein Papier vorgelegt, das einen neuen und nach erster Durchsicht äusserst interessanten und politisch wohl auch praktikablen Vorschlag in die Diskussion bringt: die Ergänzung der BV mit einer Kollisionsnorm. Mit dieser würde in der BV festgehalten, dass bei der Kollision von neuen Regelungen mit den Grundrechten die Grundrechte den Vorrang haben.

Der Vorschlag geht bis in die exakte Formulierung einer Ergänzung Abs. 4 von Art. 35 BV: «Werden Grundrechte dieses Kapitels (Art. 7-34 BV) durch eine andere Norm des Landesrechts oder des Völkerrechts verletzt, so gehen im Einzelfall stets die Grundrechte vor.» – Und der Vorschlag hat auch eine hohe Realisierungs-Chance, da, wie im vorliegenden Papier ausführlich dargestellt wird, dadurch die direkte Demokratie nicht geschwächt, sondern letztlich sogar gestärkt würde.

Das vollständige Papier kann unten eingesehen und als pdf runtergeladen werden.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

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