Kommentar

Gegen Khmer Rouge braucht es mehr als ein Gericht

* ©

/  Die Traumata der schrecklichen Vergangenheit brauchen eine lange Aufarbeitung, die der Kultur des Volkes angepasst sein muss.

Jede Tat geschieht in einer bestimmten Zeit mit ihrem Zeitgeist, von Frust und Leid gezeichneten Menschen und einem von Politikern oder Priestern aufgehetzten Umfeld. Jede Zeit hat ihre Ideologien, Visionen und Ängste. Es gibt Zeiten des Aufbruchs oder der Verkrustung.
In einem konfuzianischen Umfeld bedeuten Worte wie Mensch und Volk nicht das Gleiche wie in einem christlich geprägten Kulturfeld. Ist es da nicht etwas überheblich, Menschen in Kambodscha sozusagen von aussen und erst noch mit kolonial geprägten Richtern auch nur ein wenig zu begreifen und erst noch einigermassen fair richten zu wollen?
Kulturelle Wunden und Traumata haben lange Halbwertszeit
Jeder (Bürger-)Krieg vernichtet primär Frauen und Kinder. Er vergewaltigt, demütigt und schlägt seelische und kulturelle Wunden, Traumata, welche über Jahrhunderte hin fortwirken. Eine so schreckliche Vergangenheit wie die Herrschaft der Roten Khmer kann kein Gericht aufarbeiten, wie es viele erwarten. Das Sondertribunal folgt Regeln der Uno. Unter den Richtern sind auch fremde, ausländische Richter. Das Gericht folgt Paragraphen, die in einer bestimmten Kultur formuliert wurden.
Kein tieferes Bohren in den Wunden
Zweifellos sind die Verbrechen in Kambodscha mit den rund 1,7 Millionen Opfern drastisch zu ahnden. Doch das Sondertribunal neigt zu Schauprozessen und lässt die meisten vermutlichen Massenmörder und ihre Helfershelfer in Ruhe. «Es ist offensichtlich, dass die kambodschanischen Politiker versuchen, auf das Gericht Druck auszuüben», berichtete der Korrespondent der NZZ. Ministerpräsident Hun Sen erklärte, mit den Verfahren gegen den Gefängnischef Duch und das Spitzenquartett der Roten Khmer sei die Aufgabe des Gerichts abgeschlossen.
Von einem Aufarbeitungsprozess kann man in Phnom Penh nicht reden. Doch sogar ein Gericht wie in Nürnberg nach dem Zweiten Weltkrieg könnte den Opfern der Schreckensherrschaft nicht gerecht werden. Ein Tribunal leistet die nötige Aufarbeitung nicht, es setzt höchstens ein Steinchen auf einer langen und kurvigen Strasse.
Vorbildliches Vorgehen in Südafrika
Da lob ich mir Südafrika mit Nelson Mandela und Erzbischof Desmond Tutu, die nicht sofort vor Gericht gingen, nicht schon mit Akten auftraten, sondern tagelang befragten, sich von allen Seiten Geschichten anhörten und sie über Fernsehen landesweit verbreiten liessen. Natürlich stieg vielen die Galle hoch. Natürlich gab es manche, die sofort Rache wollten. Aber damit hätte man das Geschehene nicht aufarbeiten können.
Kolonialisierte übernehmen Geisteshaltung ihrer Peiniger
Auch wer Frantz Fanon, den Psychologen des Algerienkriegs, nicht gelesen hat, kann aus der Geschichte lernen, dass die Gedemütigten und Kolonisierten langsam die Geisteshaltung der Peiniger und Unterdrücker annahmen und in der Folge sich noch schrecklicher gebärdeten als die vorausgegangenen Seelenlosen. Fanon folgend müsste auch die frühere Kolonialmacht Frankreich vor Gericht einbezogen werden.
Konfuzianisch geprägtes Verfahren probieren
Es gibt für den Umgang mit diesen teuflischen Totentänzen kein Rezept. Es sind viele Wege möglich. Die so schwer verständlichen Vergangenheiten sollten Politiker und Medien bescheidener und differenzierter angehen. Bei einem solchen historischen Durcheinander kann kein Gericht mit Paragraphen Gerechtigkeit schaffen und erst recht nicht aufklären und das Geschehene aufarbeiten. Vielleicht müsste man ein fernöstliches, der Kultur angepasstes, vielleicht gar konfuzianisch geprägtes Verfahren suchen und ausprobieren.
Mehrere positive Expermiente in Afrika
Afrika ist in dieser Hinsicht weiter. Neben dem südafrikanischen Versuch gibt es das rwandische Experiment, Gacaca genannt, und in Westafrika einige Anfänge in Sierra Leone und der Elfenbeinküste. Vielleicht sind es moderne Formen des einstigen Palavers, bei dem eine alte afrikanische Bantu- Weisheit zum Vorschein kommt: Keine Schuld kennt bloss einen einzigen Sünder. Oder: An einer grossen Schuld sind viele mitschuldig.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Afrika-Kenner

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.