Kommentar

Der Doppeladler – darf politische Propaganda aufs Spielfeld?

Helmut Scheben Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsKeine © zvg

Helmut Scheben /  Das Schweizer Wort des Jahres ist «Doppeladler». Damit ist die Diskussion um die Verbindung von Sport und Politik neu eröffnet.

Nun also nochmal der Doppeladler und ein Neuaufguss der Diskussion über Integration, Loyalität und Treue. Oder ein angebliches Defizit derselben. Schon unmittelbar nach dem WM-Spiel Schweiz gegen Serbien hatte sich die Debatte an der Frage erhitzt, ob Shaqiri und Xhaka hinreichend integriert seien, ob es ihnen an Patriotismus mangele und so weiter.

Es war die falsche Frage von Anfang an. Eine Frage, die mit viel Palaver und Bluthochdruck vom eigentlichen Thema und vom eigentlichen Problem ablenkt. Denn es geht hier nicht um Loyalität zur Heimat Schweiz, sondern um den politischen Angriff auf Serbien und um politische Propaganda auf dem Spielfeld. Es geht um den Trend, den Sportplatz zum politischen Kampfplatz zu machen.
Sportler haben sich politischer Demonstrationen auf dem Spielfeld zu enthalten. Das schreiben nicht nur die FIFA-Regeln vor, sondern auch der nüchterne Menschenverstand. Die russischen Spieler dürfen nicht für eine „freie Ostukraine“ demonstrieren und die serbischen Spieler nicht für ein „serbisches Kosovo“. Das haben sie auch nicht getan. Nur zwei Schweizer namens Xhaka und Shaqiri glaubten sich veranlasst, für ein Grossalbanien demonstrieren zu müssen.
Auf dem Balkan weiss jeder und jede, was der Doppeladler als politisches Symbol bedeutet, so wie alle wissen, dass der aus den Balkankriegen entstandene Hass und die Verbitterung noch immer unter der Oberfläche des Alltagslebens gären. Auch Xhaka und Shaqiri wissen dies nur allzu gut. Ihr ehemaliger Trainer Ottmar Hitzfeld hat betont, dass den beiden schon bei der WM 2014 eingeschärft worden sei, sie hätten sich politischer Kundgebungen auf dem Feld zu enthalten. Deshalb sind sie für ihre überflüssige Polit-Propaganda verantwortlich zu machen, und ihre Geste war alles andere als „harmlose Fingergymnastik“ und ein „Gruss an die alte Heimat“, wie es im Sommer im Zürcher Tagesanzeiger hiess.

Wenn ein Spieler des irischen Nationalteams auf die Idee käme, während eines Spieles gegen England für ein unabhängiges Nordirland zu demonstrieren, hätte er die längste Zeit für Irland gespielt. Ob man das spanische Baskenland, das französische Korsika oder das kulturell zerrissene Belgien betrachtet, grundsätzlich gilt: Der Sportplatz darf nicht zum politischen Kriegsschauplatz werden.
Es gehört zum ureigensten Grundsatz und zur Definition des Sports, dass er nicht Politik sein sollte, sondern friedlicher Wettkampf. Als Pierre de Coubertin nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges den Sitz des IOC in die neutrale Schweiz verlegte, tat er dies, weil er Pazifist war und weil Olympische Spiele der Völkerverständigung dienen sollten.
Autoritäre Regime von Hitler-Deutschland bis zu den argentinischen Junta-Generälen haben Olympiaden für eine politische Show benutzt. Auch ist Fussball leider zu einem Sport verkommen, den Hooligans als Trampolin für ihre Aggressionen benutzen. Das alles ist traurig genug, aber selbstverständlich auch ein Grund, das Prinzip zu verteidigen, dass Sport nicht Politik sein darf.
Ich bin seit langem Fan von Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri. Vor allem letzteren halte ich physisch und technisch für einen Kicker von Weltrang. Was die beiden in ihrem Privatleben für politische Positionen haben, ist ihre Sache und geht mich nichts an. Sie haben das Recht, für Albanien und den Kosovo zu werben, wenn dies ihre Überzeugung ist. Nur auf dem WM-Spielfeld haben sie dieses Recht nicht.
Die Schweiz habe anscheinend „ein Problem, jenen Bürgern zu vertrauen, die in ihrem Herz auch die Liebe zu einer anderen Nation tragen“, wird heute im Zürcher Tagesanzeiger kommentiert. Nein, das hat die Schweiz nicht, und es ist eine falsche Schlussfolgerung auf Grund einer falschen Prämisse. Da gab es zwar Leute, die Xhaka und Shaqiri ihren grossalbanischen Nationalismus wegamputieren und einen besseren Schweizer-Nationalismus implantieren wollten. Doch das war ganz offensichtlich nicht das Problem, das hier zur Debatte stand.
Denn ob Xhaka und Shaqiri hinreichend integriert sind, ist eine sinnlose Frage. Es gibt in der Schweiz hunderttausende von Bürgerinnen und Bürgern, die aus Familien ausländischer Herkunft stammen. Selbstverständlich haben sie alle das Recht, auf ihre Ursprünge stolz zu sein und sie nicht zu verleugnen.


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6 Meinungen

  • am 8.12.2018 um 12:12 Uhr
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    Das Problem ist viel tiefer: Mich haben Freunde aus Kanada angerufen, ob wir ein Problem mit Jugoslawien haben. Die Welt kennt die Zusammenhänge, die mein Land Schweiz überhaupt nicht betreffen, nicht. Als Anerkennung wird Xhaka sogar noch Kapitän, eine reine Provokation …

  • am 8.12.2018 um 15:19 Uhr
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    Die Abhandlung negiert den jeweiligen Kontext. Nach den massiven rassistischen medialen Angriffen vor dem Match auf die Schweizer Spieler mit kosovarischen Wurzeln und insbesondere im Stadion mit übelsten Beschimpfungen, haben die beiden Spieler den Adler gezeigt. Zusammen mit Captain Lichtensteiger, der sich mit ihnen solidarisiert hat.
    Die gereckten Schwarzen Fäuste der schwarzen Leichtathleten Tommie Smith und John Carlos an der Olympiade in Mexiko 1968 richteten sich damals bewusst gegen Rassismus in der eigenen Heimat USA. Die Sportler wurden danach völlig gedemütigt.
    Eine Quintessenz: Wer die Kontexte der Handlungen ausblendet, macht es sich zu einfach und dürfte sich hinterfragen: Wieso er/sie sich so einen Tadle als Mitglied der Mehrheitsgesellschaft in der Schweiz sich leistet bzw. leisten kann.

  • am 8.12.2018 um 18:42 Uhr
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    Das ist der schwächste Kommentar den ich je, bei Infosperber gelesen habe. Die Reaktion der beiden hatte keinen politischen Hintergrund, vielmehr einen emotionalen Heimatverbunden, der von der Presse politisch hoch stilisiert wurde.

  • am 10.12.2018 um 17:15 Uhr
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    Dieser Artikel erstaunt mich doch ein wenig. Müssen sich denn Fussballer alles gefallen lassen? Rechtsradikale Gesänge der serbischen Fans, Affenlaute, wenn die dunkelhäutigen Schweizer am Ball sind?
    Dieser Artikel könnte genau so gut im Blick erschienen sein.

  • am 23.12.2018 um 20:53 Uhr
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    Endlich einmal eine Zeitung die Tacheles redet. Das hat nicht damit zu tun das sie Kosovaren sind. es war einfach eine dumme Handlung die viel härter bestraft werden müsste. Politik gehört nie auf das Spielfeld.

  • am 28.12.2018 um 21:03 Uhr
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    In der NZZ ist der Kontext des Matches nochmals glasklar dargestellt und damit die kollektive und solidarische Reaktion der Spieler bestens nachvollziehbar:"Vor der Partie hatte der serbische Aussenminister Ivica Dacic die Stimmung angeheizt, indem er provokativ fragte, gegen wen eigentlich die Partie stattfinden würde: gegen die Schweiz, Albanien oder Pristina? Er spielte auf die Schweizer Fussballer mit albanischem Hintergrund an wie Xhaka, Shaqiri, Valon Behrami oder Blerim Dzemaili. Im Stadion Kaliningrads sangen dann serbische Rechtsextreme «Kosovo ist Serbien» oder «Tötet die Albaner».» In NZZ 28.12.2018, Seite 12., unter dem Titel: «Xhaka gebührt Lob für seinen Mut zum Doppeladler"

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