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Synes Ernst: Spiel-Experte © cc

Der Spieler: Die Steigerung von „Uno“ heisst „Frantic“

Synes Ernst. Der Spieler /  Es gibt Menschen, die schon bei „Uno“ Mühe haben, Frustrationen zu ertragen. Ihnen kann man nur raten: Hände weg von „Frantic“!

Ein Kind, das „Uno“ nicht kennt? Gibt es nicht. Für Millionen von Menschen auf allen Kontinenten der Erde ist es das Kartenspiel schlechthin. Eltern lehren es ihren Kindern, und diese wiederum spielen es mit ihren Freunden. Spezielle Werbung benötigt „Uno“ längst nicht mehr – wer es einmal gespielt hat, empfiehlt es weiter, Schneeballeffekt in reinster Form.

Das ist seit 1969 so, seit der US-Amerikaner Merle Roberts mit seiner Familie das auf einer traditionellen Spielidee basierende „Uno“ entwickelt hat. Bereits die 1971 produzierte Startauflage von 5000 Exemplaren ging weg wie frische Weggli. Weil das nebenbei betriebene Geschäft mit Produktion und Vertrieb Coiffeurmeister Roberts über den Kopf zu wachsen drohte, überliess er die Rechte für 50’000 US-Dollar und 10 US-Cent für jedes verkaufte Exemplar seinem Freund Robert Tezak, der die Firma International Games zur weltweiten Vermarktung von „Uno“ gründete. 1992 übernahm der Spielzeug-Riese Mattel das erfolgreiche Unternehmen, das ab 1980 mit dem Kartenspiel „Skip-Bo“ einen zweiten Umsatzrenner im Sortiment hatte. Mit dem Deal wollte Mattel in erster Linie seiner damals neu geschaffenen Division Gesellschaftsspiele einen tüchtigen Schub verleihen, was auch gelang.

Globaler Selbstläufer

Dass „Uno“ ein globaler Selbstläufer ist, erstaunt nicht. Man bekommt für relativ wenig Geld gute Unterhaltung, und dank des handlichen Formats kann man es überallhin mitnehmen, vor allem in die Ferien, auf Reisen, in Sport- und Klassenlager, kurz, dorthin, wo die Menschen Zeit und Musse haben, zu spielen. Die Regeln sind einfach, die Abläufe logisch und transparent, weshalb „Uno“ auch eines der Spiele ist, bei dem sich Kinder mit den Grundlagen und ersten Geheimnissen des Kartenspiels generell vertraut machen können. Sie lernen Farben und Formen kennen, sie lernen, wie man sich konzentrieren und an eine bestimmte Reihenfolge halten muss, sie erfahren, wie eine Regelverletzung („Uno“-Ansage vergessen!) gleich sanktioniert wird (Karten aufnehmen), und erleben hautnah, wie die Spannung gegen das Spielende hin wächst. Für die Entwicklung ihrer späteren Spielerbiographie ist es wichtig, wie sie die damit verbundenen Emotionen erleben. Als etwas Lustvolles? Das ruft nach Wiederholung, auch mit anderen Spielen als „Uno“. Als etwas Frustrierendes oder gar Negatives? Trifft das zu, wird sich das betreffende Kind als Erwachsener kaum je mit anderen zum Spielen treffen. Es gibt aber auch Erwachsene, die selbst auf diesem niedrigen, sprich: kindergerechten Niveau mit den von „Uno“ ausgelösten Frustrationen Mühe bekunden und es kaum verkraften können, wenn sie zum Kartenaufnehmen verdonnert werden (was einmal mehr beweist, wie entlarvend selbst einfachste Spiele sein können …).

Zur Erfolgsstory von „Uno“ gehört auch, dass es nicht mehr allein auf dem Markt ist, sondern als Teil einer von Mattel nach allen Marketingregeln entwickelten Familie. Indirekt zählen zur grossen „Uno“-Familie aber auch die zahlreichen Sprösslinge und Nachahmungen, die ohne Mattel-Label und „Uno“-Logo um die Gunst des Publikums kämpfen.

Kultspiel aus St. Gallen

Eines dieser Produkte stammt aus der Schweiz und hat sich in jüngster Zeit zu einem Geheimtipp in der Spielszene entwickelt: „Frantic“. Geschaffen haben es Fabian Engeler, Pascal Frick, Stefan Weisskopf und Pierre Lippuner (Grafik), vier junge Spielbegeisterte aus St. Gallen. Nach den erfolgreichen Tests mit Prototypen sicherten sie sich über Crowdfunding die nötigen Mittel für eine erste grössere Auflage – eine Entstehungsgeschichte, die stark an jene von „Uno“ erinnert, inklusive die Mund-zu-Mund-Propaganda, dank der ein an sich schon gutes Spiel erst zum Kultspiel wird.

Mit den „Uno“-Regeln vertraute Spielerinnen und Spieler können, wenn sie die sieben „Frantic“-Karten auf die Hand bekommen haben, gleich los legen. Ziel ist es, sich seiner Karten so schnell wie möglich zu entledigen. Zahl auf Zahl oder Farbe auf Farbe, wer nicht ablegen kann, passt und zieht eine Karte nach – kennen wir das nicht schon? Klar, „Uno“-Spielprinzip. So weit so gut, bis dahin nicht besonders aufregend. Wir würden Karten wohl wieder einpacken und das Spiel beiseite legen, wenn uns die Warnung auf dem Cover nicht neugierig gemacht hätte: „Das hinterhältige Kartenspiel“.

Unglaubliche Dynamik

Seine hinterhältige, gar heimtückische Not bekommt „Frantic“ durch das Ausspielen von Sonderkarten. Bei den Zahlkarten spielen die schwarzen Karten eine besondere Rolle, indem sie immer ein Ereignis auslösen. Welches es ist, wird jeweils durch das Aufdecken einer entsprechen Karte bestimmt. Die Spezialkarten sind entweder farbabhängig oder -neutral. Wer sie ausspielt, kann entweder Farben bzw. Zahlen wünschen (was noch harmlos ist) oder aber einem Mitspielenden seiner Wahl ein „Geschenk“ machen, wobei die Anführungszeichen bewusst gesetzt sind, weil es sich vornehmlich um vergiftete Geschenke handelt. Bei der nächsten Runde aussetzen, kann ein solches Geschenk sein, Kartentausch ein anderes. Keine Freunde schafft sich, wer einem Mitspieler, der sich bereit macht, die Runde zu beenden, entweder zwei seiner eigenen Karten schenkt oder mit dem Reinwerfen der „Nice Try“-Karte zwingt, nochmals drei Karten auf die Hand zu nehmen. Schliesslich ist da noch die „Fuck you“-Karte. Wer sie hat, bringt sie kaum mehr los. Das Risiko, 42 Minuspunkte zu kassieren, ist enorm hoch.

Total über den Haufen werfen können den Spielablauf die auf den entsprechenden Karten aufgeführten Ereignisse. So bedeutet „Doomsday“ etwa das sofortige Ende der Runde sowie 50 Strafpunkte für alle Teilnehmenden. Bei „Vandalism“ werfen alle Spieler die Handkarten der Farbe ab, welche als letzte ausgespielt worden ist (die Farbe wird wohl für Sprayereien benötigt …). Und wenn ein „Tornado“ wütet, werden alle Handkarten zusammgelegt, gemischt und neu verteilt – ein völliges Durcheinander. Das Spiel ist beendet, wenn der erste Spieler, der gleichzeitig auch Verlierer ist, eine zu Beginn bestimmte Punktzahl erreicht oder überschreitet. Der Spieler mit der niedrigsten Punktzahl gewinnt.

„Frantic“ besticht durch eine unglaubliche und von Beginn an fesselnde Dynamik. Im Vergleich dazu ist der Verlauf einer normalen „Uno“-Runde geradezu betulich. Das ist nicht abwertend gemeint. Das St. Galler Spiel beweist vielmehr, wie man ein solides Prinzip mit einigen witzigen Zusatzelementen weiterentwickeln und daraus ein faszinierendes neues Produkt machen kann. Dass das möglich ist, spricht letztlich wieder für die Qualität der Grundidee. „Frantic“ gefällt mir, weil es sehr viel Interaktion bietet, indem ich immer wieder aufgefordert werde, jemanden aus der Runde aufzufordern, etwas Bestimmtes zu tun. Dabei muss ich mir gut überlegen, wen ich zur Zielscheibe meiner Aktion machen will. Und ich sollte mir auch immer bewusst sein, dass Rache zwar süss ist, mitunter aber sehr schmerzen kann. Solches provoziert Emotionen, genau das also, was wir beim Spielen suchen. Deshalb erstaunt es auch nicht, dass „Frantic“ so schnell Kultstatus erreicht hat.

Frantic: Kartenablegespiel von Fabian Engeler, Pascal Frick, Stefan Weisskopf und Pierre Lippuner (Grafik) für 2 bis 8 Spielerinnen und Spieler ab 12 Jahren. Verlag Rule Factory, St. Gallen für die Schweiz und Game Factory für Deutschland, ca. Fr. 22.-


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied, in dieser Funktion nicht mehr aktiv an der Juryarbeit beteiligt.

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