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Janwillem Acket: Vertreter der Bank Julius Bär als Experte befragt © srf

Die Tagesschau wird zur Bankershow

upg /  Immer wieder lässt die Tagesschau Vertreter von Banken als alleinige «Experten» zur Banken-, Schulden- und Finanzkrise auftreten.

Das aktuellste Beispiel ist die Abend-Tagesschau vom Dienstag. Zuerst trat Janwillem Acket von der Bank Julius Bär kurz vor der Tagesschau als Experte in der Börsensendung auf. Kein Wunder, denn diese Sendung wird von einer Bank gesponsert.
Dann lud ihn die Tagesschau gleich noch in die Hauptsendung ein, um die aktuelle Lage der spanischen Bankenkrise darzulegen. Der Sprecher der Tagesschau nannte ihn «Ökonom» und «Bankenökonom». Der Bär-Banker wurde nicht – wie es bei Interessenvertretern Pflicht sein sollte – kritisch befragt, sondern als Experte, der seine Statements ohne Gegenfrage zum Besten geben konnte.
Nur wer den Einblender las, konnte feststellen, dass es sich weder um einen neutralen, auf Banken spezialisierten Ökonomen, noch um einen einigermassen unabhängigen Experten handelte, sondern um den «Chefökonom Julius Bär», also um einen Interessenvertreter der Banken.

Banken sind in Finanzkrise direkt verwickelt

Vertreter von Banken vertreten gemäss ihrer Arbeitsverträge die Interessen ihrer Bank. Die Banken aber sind in diesem Finanz- und Schuldenschlamassel direkt involviert und deshalb Partei. Sie haben namhafte Interessen zu verteidigen:
• Die Banken wollen Zeit gewinnen, um die gefährdeten griechischen, spanischen und andern Staatsobligationen, in die sie fahrlässig investiert hatten, vor einem grösseren Crash noch los zu werden.
• Die Banken haben ein Interesse daran, dass der Staat (oder die Europäische Zentralbank oder der Rettungsfonds) gefährdeten Banken in Griechenland, Spanien, Italien usw. direkt oder indirekt mit Steuermitteln aus dem Dreck hilft. Denn viele unserer Banken haben Obligationen und Aktien dieser gefährdeten Banken in ihren Portefeuilles.
• Die Banken kämpfen mit allen Mitteln gegen schärfere staatliche Auflagen, zum Beispiel bei der Spekulation mit Eigenmitteln. Denn auf dem Spiel steht eine zeitweise lukrative Geschäftssparte. Geht es mit der Spekulation in die Hosen, haben sie die Gewinne eingesteckt und können für die Verluste den Staat rufen.
• Die Banken lobbyieren in allen Parlamenten gegen die Einführung einer Kapitaltransaktionssteuer.

Glaubwürdigkeit längst verloren

Als glaubwürdige Experten oder Ökonomen taugen Vertreter von Banken ohnehin kaum, auch wenn sie sich als «Chefökonomen» ausgeben:
• Sie hatten als angebliche «Risikoexperten» die Misere in Griechenland nicht vorausgesehen und in griechische Staatsanleihen Milliarden investiert.
• Sie hatten vor 2008 weder Politiker noch die Öffentlichkeit davor gewarnt, dass die Spekulationsblase jederzeit platzen kann.
• Sie hatten sich gegen eine höhere Eigenkapitaldecke der Banken so gut sie konnten gewehrt.
• Sie machen keine tauglichen Vorschläge, um die faktische Staatsgarantie für Grossbanken und Versicherungskonzerne abzuschaffen.
Keine kritischen Gegenfragen
Obwohl Banker Interessenvertreter sind, lässt sie die Tagesschau zu Entwicklungen der Schulden- und Finanzkrise in Europa immer wieder – ohne kritische Gegenfragen – als «Experten» oder «Ökonomen» auftreten. Es wird der falsche Eindruck geweckt, es handle sich um neutrale, rein sachliche Einschätzungen.

In der Tagesschau der ARD oder des ZDF wäre dies unmöglich.

Im Schweizer Fernsehen jedoch handelt es sich um ein Déjà-vu. Nach den Wahlen in Griechenland und Frankreich zum Beispiel hatte die Tagesschau gefragt «EU wie weiter?». Die Unsicherheit sei gross, die Sorge, wie es in Europa weitergehen soll, ebenfalls. Die Antwort holte die Tagesschau bei zwei Vertretern von Banken, die von der Redaktorin als Experten befragt wurden.
Das abwechselnde Auftreten von Vertretern verschiedener Banken und Vertreter von Beratungsbüros wie «Professor» Klaus Wellersdorf der «Wellerhoffs & Partners», der im Nebenamt als Honorarprofessor an der Universität St. Gallen lehrt, ist auch andern schon aufgefallen. Peter Bodenmann schrieb kürzlich in der Weltwoche auf seine provozierende Art: «Die Banken haben mit ihren Analysten inzwischen auch die parastaatliche SRG endgültig ­gekapert. Jeden Tag geht uns irgendein Bank­analystenbubi auf den Wecker.»
Die entscheidenden Fragen werden nicht gestellt
Im kürzlich erschienenen Buch «Finanzjournalismus» wird Andreas Henry zitiert, der bis vor kurzem Korrespondent der «Wirtschaftswoche» in New York war: «Journalisten, die sich bei ihrer Arbeit stark auf das Urteil und die Berichte von Analysten verlassen, sind entweder zu faul oder nicht in der Lage, sich durch Recherchen…ein eigenes Bild zu machen.» Ein guter Journalist liefere den Analysten Informationen, und nicht umgekehrt. Vor allem sollten Journalisten wissen, in welchen Interessen sich Analysten äussern.
Die Griechenland-Krise sei ein gutes Beispiel dafür, wie Medien die «toughen» Fragen zum Gebahren der EU-Institutionen gar nicht mehr stellen, weil sie entweder ihre EU-freundlichen oder EU-skeptischen Vorurteile kultivierten.
Sparer, Rentner und Steuerzahler
Folgende Fragen drängen sich jedenfalls auf: Warum stellt die Tagesschau in dieser finanziellen, wirtschaftlichen, sozialen, gesellschaftlichen und demokratischen Krise die Interessen der Banken derart in den Vordergrund? Warum berücksichtigt die Tagesschau nur selten kritische Finanzmarktspezialisten unserer Hochschulen? Und vor allem: Warum kommen praktisch keine Interessenvertreter von Sparern, Rentnern und Steuerzahlern zu Wort? Auf ihrem Buckel wird die Finanzkrise zur Zeit ausgetragen.


STELLUNGNAHME DER TAGESSCHAU
Infosperber hat die Tagesschau noch am Dienstag Abend um eine Stellungnahme gebeten und gefragt, nach welchen Kriterien die Tagesschau bei der Berichterstattung über die Banken-, Schuld- und Finanzkrise Banken-Vertreter zu Wort kommen lässt, und nach welchen Kriterien andere Interessenvertreter oder einigermassen unabhängige Experten.
Hier die Antwort von Marco Meroni, «Leiter Media Relations», die er im Namen der Tagesschau-Leitung verfasst hat:

«In den beiden Beiträgen wurde Janwillem Acket als Chefökonom von Julius Bär gekennzeichnet. Dass ein Bank-Ökonom in einem Beitrag zur spanische Banken-Krise Erläuterungen und Einschätzungen abgibt, ist statthaft. Er zieht daraus weder für sich noch für sein Finanzinstitut einen Vorteil. Experten, Wissenschaftler, aber auch hausinterne Spezialisten und Korrespondenten kommen dann zu Wort, wenn das Thema dies aus Sicht der Redaktion erfordert. In den genannten Beiträgen ging es darum zu erklären, wie spanische Banken aufgrund leichtfertiger Finanzierungen von Hypotheken in die Krise schlitterten. Dazu können sich Chefökonomen von Banken äussern. Entscheidend für die Tagesschau ist, dass sie bei aussenstehenden Experten ihre Herkunft transparent darstellt.»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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2 Meinungen

  • am 30.05.2012 um 13:33 Uhr
    Permalink

    Die sogenannte „Banker-Show“ ist im Prinzip ein Symptom für viele andere Shows, wie Polit-, Gesundheits-, Pharma-, Arbeitgeber- und sonstige Shows, die nicht zum Unterhaltungsbereich gehören. Damit sei die im Beitrag durchleuchtete Banker-Show keineswegs relativiert.

    Die am Ende publizierte Stellungsnahme der Tagesschau sagt im Grunde genommen nichts aus, verrät aber indirekt etwas über den Zustand vieler Medien einerseits und über die Qualität des Journalismus andererseits. Mancher mag sich bestimmt daran erinnern, dass es eine Phase der Arena-Sendungen gab, in der kein Blocher oder ein anderer SVP-Vertreter fehlen durfte. Dies nur am Rande.

    Die Bemerkung im Beitrag von Urs P. Gasche, „In der Tagesschau der ARD oder des ZDF wäre dies unmöglich“ möchte ich nicht unterschreiben. Wenn man sich ihre zahlreichen politischen Talkshows betrachtet, so ist die Auswahl je nach Thema ziemlich klein: Da betet eine Jungunternehmerin zum x-ten Mal ihr neoliberales Credo herunter, Parteigeneräle schlagen anderen Parteigenerälen zum x-ten Mal ihre Ideologien um die Ohren, Banken- und Wirtschaftsexperten erscheinen zum x-ten Mal, Namen von teilnehmenden Journalisten kennt man nach zwei Monaten auswendig, ja, und wenn es um Rechtspopulismus geht, dann ist ein Schweizer Chefredaktor der ideale Experte. Dies zu ARD und ZDF.

    In der Tat haben wir eine Medienvielfalt. Deswegen wird sie auch hochgejubelt. Aber Medienvielfalt heisst noch lange nicht, dass wir es, wenn wir genau hingucken, mit einer Meinungsvielfalt zu tun haben. Und wenn wir es mit einer mangelnden Meinungsvielfalt zu tun haben, können wir uns zwar eine Meinung bilden, aber sie ist nicht besser als die „einfältige“ Meinungsvielfalt.

    Vielleicht ist die Meinungsbildung über die Medien ein Märchen. Wie kann man sich eine Meinung bilden, wenn ein Interviewer akzeptiert, wenn der Interviewte Fragen nicht beantwortet, Fragen beantwortet, die nicht gestellt worden sind, Fragen als falsch bezeichnet oder vom Thema wegzieht. Können, wollen oder dürfen die Journalisten nicht. Zum Schluss die Gretchenfrage: Dienen viele Medien nur noch als Kampfplatz, damit politische, wirtschaftliche oder sonstige Interessengruppen ihre Meinungs- und Deutungshoheit bekunden.

  • am 5.06.2012 um 15:39 Uhr
    Permalink

    Mich stören die Interessenvertreter welche zu Wort kommen weniger sondern vielmehr die diletantischen Journalisten welche nie nachhaken.
    Ein Bsp. der angesprochene Herr Wellersdorf sagte in der Tagesschau zur Frankenstärke: Eine andere Möglichkeit zur Abschwächung des Frankens wäre eine vermehrte Geldaufnahme (Neuverschuldung) des Bundes. (ich war erstaunt den dies wäre auch meine Idee gewesen so könnte man 2 Fliegen mit einer Klappe schlagen. Den Franken schwächen und den Atomausstieg finanzieren). Er stellte dies aber im nachfolgenden Satz bereits wieder in Abrede indem er sagte das dies im Ausland nicht ernst genommen würde. Der Journalist ging mit keinem Wort darauf ein, sondern las einfach die nächste Frage von seinem Blatt.
    Ich hätte gerne gewusst wesshalb dies nicht ernst genommem würde und viel wichtiger, wäre dies das einzige Gegenargument gewesen?
    Gute Interviews sind immer gute Fragen und beantworten mehr als neue aufzuwerfen.
    Somit könnte es sogar sehr interessant sein Interessenvertreter zuzuhören, es bedingt aber kritischen Jounalismus und das vermisse ich in den Mainstream-Medien. Genau darum lese ich den Infosperber, und i like sehr.

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