Kommentar

Klimapolitik zwischen Inkompetenz und grober Täuschung

Hanspeter Guggenbühl © bm

Hanspeter Guggenbühl /  Bürgerliche Politiker heucheln grundsätzlich Zustimmung zu Umweltabgaben und verhindern sie seit Jahrzehnten mit Fehlinformation.

Gerhard Pfister, Präsident der Verliererpartei CVP, wäre mir am Freitag fast sympathisch geworden, als ich begann, das Interview zu lesen, das die Tamedia-RedaktorInnen Raphaela Birrer und Markus Häfliger mit ihm führten. Die «Berner» und die «Basler Zeitung» sowie die Zürcher Landblätter veröffentlichten das Gespräch am 24. Mai unter dem attraktiven Titel «Die Bauern sind der Natur näher als Herr Köppel der Realität», während das Kopfblatt «Tages-Anzeiger» darüber titelte: «Frau Gössi macht einen Husarenritt.»

Inhaltlich kritisierte Gerhard Pfister sowohl den SVP-Hardliner und «Weltwoche»-Chef, der vom Treibhauseffekt etwa gleich viel versteht wie der Schreibende vom Fussball, als auch den opportunistischen klimapolitischen Kurswechsel von Gössis FDP. Wer als Chronist registriert, wie die bürgerlichen Parteien, angeführt vom Freisinn, seit bald 50 Jahren «grundsätzlich» Zustimmung zu wirtschaftlichen Umweltschutz-Instrumenten wie Lenkungsabgaben heucheln und konkrete Vorlagen dazu jedes Mal ablehnen, der freut sich, wenn ein anderer bürgerlicher Politiker diese Heuchelei ebenfalls entlarvt.

Alte Mär, vom CVP-Präsidenten neu formuliert

Meine Sympathie zu Pfister schwand allerdings, als die InterviewerInnen ihn über seine eigene Meinung zu einer CO2-Lenkungsabgabe auf Treibstoffen oder zu einer Flugticket-Abgabe befragten. «Grundsätzlich geht es nicht ohne Massnahmen im Verkehr», lavierte darauf der CVP-Präsident, und zur Flugticket-Abgabe sagte er: «Fliegen ist klar zu billig», aber: Mit einer hohen Abgabe auf dem Flugverkehr «würde das Fliegen wieder zu einem Luxus». Denn, sagte Pfister weiter: «Manager könnten immer noch wöchentlich London retour fliegen. Eine Mittelstandsfamilie hingegen könnte es sich nicht mehr leisten, einmal pro Jahr nach Mallorca zu fliegen.»

Da ist sie wieder, die tausendfach verbreitete Fehlinformation, die dem Schreibenden jedes Mal die Zornesröte ins Gesicht treibt, weil sie die Mehrheit glauben macht, Lenkungsabgaben würden den Leuten mit mittlerem oder tieferem Einkommen schaden und zu einer «Zweiklassengesellschaft» (Pfister) führen. Wahr ist: Eine Mittelstandsfamilie, die «einmal pro Jahr nach Mallorca fliegt», würde an einer Lenkungsabgabe verdienen, je höher die Abgabe ist, desto mehr.

Denn generell gilt: Wer in der Schweiz weniger Energie konsumiert, weniger CO2 produziert oder weniger fliegt als der Durchschnitt, der erhält mit einer Lenkungsabgabe – sei es eine Energie-, CO2- oder Flugticket-Abgabe – mehr Geld zurückerstattet, als er oder sie mit dieser Abgabe bezahlt. Denn der Ertrag einer reinen Lenkungsabgabe, wie sie bürgerliche Parteien seit Jahrzehnten grundsätzlich begrüssen und politisch stets bekämpfen, wird pro Kopf der Bevölkerung zurückverteilt. Wer also weniger Energie konsumiert oder fliegt als der Durchschnitt, erhält unter dem Strich mehr Geld zurückerstattet, als er bezahlt. Es gibt Ökonomen wie Ruedi Meier oder Rolf Iten und Journalisten, die sich seit Jahrzehnten die Finger wund schreiben, um diesen einfachen Sachverhalt zu kommunizieren. Sie scheitern immer wieder an der gegenteiligen Fehlinformation von Politikerinnen und Politikern.

Wer weniger als 9000 Kilometer fliegt, bekommt Geld

Am konkreten Beispiel des einmaligen Flugs nach Mallorca, den Gerhard Pfister erwähnt, lässt sich das präzis belegen. Und ich tue das hier wie ein Primarlehrer, weil viele Leute Franken und Rappen besser verstehen als Durchschnitts-Rechnungen:

o Eine in der Schweiz wohnhafte Person fliegt pro Jahr im Durchschnitt rund 9000 Kilometer weit. Das zeigt der Mikrozensus Verkehr aus dem Jahr 2015, über den «Infosperber» zum Beispiel hier oder hier informierte.

o Erhebt man pro Passagier und geflogenem Kilometer eine Abgabe von – sagen wir – zehn Rappen, so resultiert pro Person ein Ertrag von 900 Franken, der pro Kopf und Jahr zurückerstattet wird. Eine vierköpfige «Mittelstandsfamilie», wie sie der Familienpolitiker Pfister ins Feld führt, bekäme also 3600 Franken pro Jahr zurückerstattet; davon müssten allenfalls einige Franken für die Administration abgezogen werden.

o Die Flugstrecke Zürich-Palma di Mallorca retour misst 2000 Kilometer. Dafür müsste die vierköpfige Familie mit der erwähnten Abgabe von 10 Rappen/km 800 Franken bezahlen.

o Unter dem Strich «verdiente» die vierköpfige Familie, die «einmal pro Jahr nach Mallorca fliegt» (Pfister), mit dieser Flugticket-Abgabe also 2800 Franken pro Jahr (3600 Fr. Rückerstattung minus 800 Fr. Abgabe). Möglicherweise aber ersetzt in diesem Fall die vierköpfige Familie den Flug nach Mallorca, der sie 800 Franken Flugticket-Abgabe kostet, mit einer Bahnreise nach Italien, wo es ähnlich aussieht wie in Mallorca. Damit würde der klimapolitische Zweck der Flugticket-Abgabe erfüllt.

o Bleibt der Manager, der wöchentlich nach London fliegt. Als Alleinstehender erhielte er aus der erwähnten Abgabe eine Rückerstattung von 900 Franken. Der wöchentliche Flug London retour aber belastet sein Konto mit rund 80 000 Flugkilometern oder einer Abgabelast von jährlich 8000 Franken. Diese Kosten werden ihn möglicherweise nicht hindern, weiterhin wöchentlich nach London zu fliegen. Aber immerhin zahlt der Manager künftig 7100 Franken pro Jahr an Nichtfliegende, die weniger reich sind als er.

Kann er nicht rechnen, oder trickst er?

Nach dieser Primarschul-Rechnung stellt sich die Frage, warum der CVP-Präsident und Akademiker Gerhard Pfister die alte Mär von der angeblich unsozialen Flugticket- oder CO2-Abgabe weiter verbreitet. Kann er nicht rechnen? Dann hätte er es kaum an die Hochschule und Spitze der CVP geschafft. Liegt dem Familienpolitiker der Manager halt doch näher als die einfache Familie? Das ist wahrscheinlicher. Ärgerlich aber ist, dass es tricksenden Politikern aller Parteien immer wieder gelingt, mit einer leicht widerlegbaren Fehlinformation Lenkungsabgaben als wirkungsvollste Instrumente im Umwelt- und Klimaschutz zu verhindern.

Klimademo, 24. Mai 2019, Zürich (Bild: Jürgmeier)


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

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5 Meinungen

  • Portrait_Benno_Beler
    am 25.05.2019 um 12:27 Uhr
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    Der Artikel trifft 100% zu — aber was sind die wirklichen Ursachen für die permanente Enttäuschung wegen unehrlicher Argumente und falscher Positionen? Ist es Nichtwissen(-wollen)? Logisch-analytische Denkdefizite? Eigeninteressen? Denkfaulheit gepaart mit dem Drang sich seinem Umfeld anzupassen (vulgo Feigheit)? Druck von Öffentlichkeit und Medien bezüglich was «richtig» ist (Zeitgeist)? Vermutlich spielen diese und weitere Kräfte alle zusammen mit, je nach Person und Umstände in unterschiedlicher Gewichtung. Was mich persönlich am meisten pessimistisch stimmt ist die Beobachtung, dass nur eine kleine Minderheit — und auch nur in seltenen Momenten — in der Öffentlichkeit ehrlich und redlich kommuniziert und auf Argumente und Gesprächspartner tatsächlich eingeht. Dies ist ja die eigentliche Grundlage einer langfristig rationalen Entscheidungsfindung. Aber das sind altmodische Werte welche schon lange den wechselhaften zeitgeistigen Strömungen gewichen sind. Dabei haben die Medien und Journalisten einen nicht unerheblichen Anteil an der heutigen Debattenkultur.

  • am 25.05.2019 um 19:46 Uhr
    Permalink

    Die Schweizerische Klimaschuld ist riesengross — und das UVEK täuscht schlaumerisch.
    Gemäss (2011):
    https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_L%C3%A4nder_nach_CO2-Emission#L%C3%A4nderliste_der_CO2-Emissionen_pro_Kopf
    war die C02-Emmission pro Kopf der schweizerischen Bevölkerung 23.0 Tonnen CO2 (Konsumprinzip, USA 27.9, Deutschland 18.3).
    Der Bund (UVEK) brüstet sich mit der Angabe von heute nur 4.5 Tonnen Pro Kopf (reines Produktionsprinzip). Das ist zwar kein Betrug aber eine sehr hässliche Schlaumeierei. BR Doris Leuthard hatte das geflissentlich übersehen. Hoffentlich merkt BR Smonetta Somaruga diese kolossale Verschleierung.

  • am 25.05.2019 um 19:52 Uhr
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    Mühsam an diesen linken, ewigen Brüeli ist, dass wir ein Umweltproblem haben, dass wir uns bewegen müssen, aber nie ein Satz, dass wir, die Wirtschaft, schon sehr viel gemacht haben. Immer negativ, schade..,

  • am 27.05.2019 um 17:24 Uhr
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    vielleicht würde es ja helfen, dies mal auf einfache Weise in einem Video darzustellen. Dann könnten sich möglicherweise mehr Menschen damit anfreunden.

    Immer mehr Politiker nutzen Youtube als «Werbeplattform für deren Tatsachen» (Beispiel Thomas Matter).

    Vielleicht wäre es ja ein Versuch wert?!

  • am 4.06.2020 um 12:23 Uhr
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    Bei dieser Betrachtung wird der Rebound-Effekt vergessen. Ja, die Familie hat mehr Geld, wie gibt sie es aus? «Dank CO2 Rückgabe konnte ich zweimal voll tanken». Also, solange die Wirtschaft vom Energieverbrauch abhängt, nützt dies nur wenn die Energiequelle selbst CO2-frei.
    Sonst ist es ein Nullsummenspiel. Sind wir zu früh aus der Atomtechnik ausgestiegen?

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