23760497308_84e52bf359_b

Ein Blassfuss-Sturmtaucher (flesh-footed Shearwater) vor Ball's Pyramid, einem Felsen bei Lord Howe Island. © cc-by patrickkavanagh/Flickr

Selbst auf abgelegenen Inseln: Wie Plastik Sturmtaucher tötet

Daniela Gschweng /  Sturmvögel auf einer australischen Insel verhungern mit vollem Magen. Sie fressen so viel Plastik, dass sie knirschen.

Alexander Bond hat einen Arbeitsplatz, den sich wohl viele wünschen würden: Jedes Jahr verbringt der Biologe einen Teil seiner Arbeitszeit auf Lord Howe Island, einer Vulkaninsel zwischen Australien und Neuseeland.

Die Insel ist ein kleines Paradies mit Stränden, Dünen, Bergen und einer Korallenlagune. Im subtropischen Klima wachsen üppige Wälder, dazu gibt es sowohl sehr tiefes wie auch sehr flaches Meerwasser. Lord Howe Island ist die einzige grössere Insel in mehreren hundert Kilometern Umkreis.

Tieren müsste es auf der Insel eigentlich gut gehen

Gut gehen müsste es deshalb auch den zahlreichen Tieren in und um die Insel – der Grund, weshalb der Wissenschaftler überhaupt auf der Insel ist. Die Bedingungen auf Lord Howe Island sind auch für zahlreiche Vögel paradiesisch – oder sollten es sein.

Die Gegend ist Schutzgebiet und UNESCO-Naturerbe. Auf der Insel brüten unter vielen anderen Blassfuss-Sturmtaucher. Obwohl die Insel so abgelegen ist, sind sie extrem mit Plastik belastet. Ihr Gesundheitszustand verschlechtert sich seit Jahren. Keilschwanz-Sturmtaucher und Blassfuss-Sturmtaucher sind die am meisten mit Plastik verschmutzten Vögel der Welt. Krummschnabel-Sturmtaucher, die nahe mit ihnen verwandt sind, fressen aber viel weniger davon.

Ein Vogel aus 20 Prozent Plastik

Bond und sein Team wollen herausfinden, warum. Sie verbringen einen grossen Teil ihrer Zeit damit, die Mägen verendeter Vögel zu untersuchen, die sie fast täglich am Strand finden. Zusätzlich testen die Forschenden die Tiere auf giftige Stoffe, die zusammen mit dem Plastik in ihre Körper gelangt sind.

In den Vogelmägen finden die Forscherinnen und Forscher sehr viel Kunststoff – bis zu 778 Plastikteile in einem einzigen Vogelmagen. Einige sind sogar erkennbar: Legosteine, Flaschenverschlüsse, das Plastikrad eines Spielzeugautos.

Woran ein Vogel gestorben sei, sei oft schwer festzustellen, sagt Bond. Ob an Plastik, Hunger, Krankheit oder den Toxinen, die die Kunststoffe aus dem Meerwasser aufnehmen.

Manche Küken tragen bis zu 20 Prozent ihres Körpergewichts an Plastik mit sich herum. «Kein Mikroplastik, sondern Teile bis zur Grösse eines Tetrapak-Deckels», sagt der Kanadier, der beim Natural History Museum in London angestellt ist gegenüber der «Washington Post».

Die Küken verhungern mit vollen Mägen

Die Elterntiere verwechseln die im Wasser treibenden Kunststoffteile mit Beute und füttern damit ihre Küken, die normalerweise Fisch- und Tintenfischstücke bekommen sollten. Sie werden davon nicht satt, sondern verhungern mit vollen Mägen. Manche lebende Vögel knirschten, wenn man ihnen auf den Bauch drücke, so viel Plastik hätten sie bereits im Körper, sagt Bond. Ihre Mägen seien vernarbt und entzündet von der ständigen Reizung durch Plastik. Seit einigen Jahren hat dieser Zustand einen Namen: Plastikose.

shearwater-necropsy-vertical-sbs-L.jpg.thumb.960.960
In den Mägen verendeter Vögel finden sich Unmengen Plastik. Ob die Vögel daran gestorben sind, ist trotzdem nicht leicht zu sagen.

Sturmvögel, zu denen die Sturmtaucher gehören, verbringen ihr ganzes Leben auf See – auch unter widrigsten Umständen. Nur zum Brüten kommen sie an Land. Ein Vogelpaar legt pro Jahr ein Ei, das Küken schlüpft Ende Januar. «Die nächsten drei Monate verbringen die Eltern damit, Futter zu suchen», erklärt Bond. Oder Plastik.

Wenn die Küken nach etwa 90 Tagen für ihren ersten Flug das Nest verlassen, sind viele zu schwach. Sie werden von Wellen überrollt und ertrinken. Diejenigen, die ihren ersten Flug überstehen, schaffen es unter Umständen nicht, bis nach Japan zu fliegen, wohin die Vögel jährlich migrieren. Die Wissenschaftler:innen fangen die Jungvögel ab und spülen ihre Mägen mit Meerwasser, bevor diese ins Leben starten. Sie sammeln dabei schüsselweise Plastik.  

«Backsteinvögel» und Plastikrekorde

Die Plastikteile können im Magen der Vögel auch zu steinharten Klumpen zusammenbacken. «Wahrscheinlich aufgrund ihrer öligen Meeresnahrung», sagt Jack Rivers-Auty, Dozent für Biomedizin an der Universität von Tasmanien, ebenfalls gegenüber der «Washington Post». Das Team nenne solche Tiere «Backsteinvögel». Früher sei so etwas extrem selten gewesen, inzwischen beschleunige sich die Plastikkrise. Die Rekordzahl an Plastikstücken in einem Vogelmagen lag laut Bond im vergangenen Jahr noch bei etwa 400 Stück – sie hat sich mit 778 in diesem Jahr also fast verdoppelt.

Dass ausschliesslich oder überwiegend in der Luft lebende Vögel so stark von Plastikverschmutzung betroffen sein könnten, wurde auch hierzulande lange übersehen. Eine im vergangenen Jahr veröffentlichte Studie unter Leitung eines spanischen Teams fand, dass im Mittel 36 Prozent aller Segler-Nester in Europa mit Plastik verunreinigt sind, bei Fahlseglern sogar 85 Prozent.

Untersucht hatte das Team 500 Nester von Mauer-, Alpen- und Fahlseglern in der Schweiz und Europa. An der Studie hat auch die Vogelwarte Sempach teilgenommen und mehrere Standorte in der Schweiz untersucht. Die Auswirkungen des Plastiks untersuchten die Forschenden nicht. Sie halten es aber für möglich, dass es als «Baumaterial» den Vögeln auch nützen könnte, obwohl sie sich darin verheddern können.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
➔ Solche Artikel sind nur dank Ihren SPENDEN möglich. Spenden an unsere Stiftung können Sie bei den Steuern abziehen.

Mit Twint oder Bank-App auch gleich hier:



_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Schmetterling Mathisa

Artenvielfalt / Biodiversität

Genetische Vielfalt und ökologische Stabilität sind überlebenswichtig. Doch zu viele Tiere- und Pflanzenarten sterben zu rasch aus.

goldstein

Plastik-Abfälle für die Ewigkeit

Kunststoffmüll wird zum Problem künftiger Generationen. Weltweit gelangen fast 80% in Umwelt und Deponien.

Wald

Schutz der Natur und der Landschaft

Nur so weit es die Nutzung von Ressourcen, wirtschaftliche Interessen oder Freizeitsport zulassen?

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...