Kommentar
Tamedia-Zeitungen als Sprachrohr von Bund und FDP
Über zwei Seiten breitete Tamedia-Verleger Pietro Supino sein «Plädoyer für eine aufgeklärte Medienpolitik» aus. Er schrieb, «professioneller Journalismus» sei «wichtig für die Demokratie». Und er fuhr fort: «Es geht darum, dass Bürgerinnen und Bürger sich bei zuverlässigen Quellen informieren und ihre eigenen Meinungen bilden können.»
Er schrieb, Medien nähmen «eine Kontrollfunktion gegenüber Institutionen, Organisation und Menschen wahr, denen Verantwortung anvertraut» sei. Und er kritisierte «vorauseilenden Gehorsam» und «Hofberichterstattung».
Und am nächsten Tag das! Die Tamedia-Zeitungen schrieben auf ihren Titelseiten: «Der Bundesrat sieht im Kampf gegen das steigende AHV-Defizit von einer Erhöhung des Rentenalters ab.»
«Steigendes Defizit»? Infosperber hat die AHV-Ergebnisse der letzten zehn Jahre zusammengetragen:
Jahr | Gewinn in Milliarden Franken | Verlust in Milliarden Franken |
2015 | 0,6 | |
2016 | 0,4 | |
2017 | 1,1 | |
2018 | 2.2 | |
2019 | 1,7 | |
2020 | 1,9 | |
2021 | 2,6 | |
2022 | 2,7 | |
2023 | 2,9 | |
2024 | 5,5 | |
Die Zahlen zeigen: Keine Spur von einem «steigenden Defizit». In sieben von zehn Jahren hat die AHV einen schönen Gewinn geschrieben. Den letzten Verlust verbuchte sie 2022 – als es mit der Börse bergab ging. Im letzten Jahr lag der Gewinn bei 5,5 Milliarden Franken. Das AHV-Vermögen stieg auf 55,5 Milliarden. Beides sind absolute Rekordwerte.
Und wie war das noch mal mit der «Kontrollfunktion gegenüber Institutionen, Organisation und Menschen, denen Verantwortung anvertraut» ist?
Alles vergessen – schon am Tag nach Supinos «Plädoyer»: Die Tamedia-Zeitungen machten sich zum Sprachrohr der AHV-Schwarzmaler bei Bund und FDP.
Das Schlechtreden der AHV und das Ausbreiten angeblicher Probleme gehören ja bei vielen Schweizer Zeitungen schon länger zum guten Ton.
Tamedia-Verleger Pietro Supino müsste sein «Plädoyer» nicht nur wegen der verfehlten AHV-Berichterstattung überdenken. Denn auch sonst glänzen die Tamedia-Zeitungen manchmal nicht mit dem «professionellen Journalismus», der Supino vorschwebt, sondern betreiben eher die «Hofberichterstattung», die er kritisiert.
In der gleichen Ausgabe, in der die Tamedia-Zeitungen über die angeblich steigenden AHV-Defizite berichteten, stellten sie das neue Dress der Schweizer Frauen-Fussballnationalmannschaft vor. Dabei druckten die Zeitungen die Medienmitteilung des Fussballverbandes in leicht gekürzter Form praktisch wörtlich ab.

Das klang dann so: «Das klassische Rot des Heimtrikots wurde mit einem extra kreierten Muster im Stile edler Stoffe versehen – so befinden sich über das gesamte Trikot verteilt Prägungen des Schweizer Kreuzes kombiniert mit dem SFV-Logo.» Und: «Ein dunkelroter Rundhalsausschnitt, dunkelrote Ärmelenden sowie das weisse SFV- und Puma-Logo auf der Brust sorgen für zusätzliche, dezente Details.»
Abschliessend: «Das Trikot ist ab Donnerstag, 15. Mai, bei Ochsner-Sport, im Fachhandel und bei Puma erhältlich.»
Wie hatte Pietro Supino am Vortag noch geschrieben? «Journalismus bedeutet, etwas zu bringen, von dem andere nicht wollen, dass es veröffentlicht wird. Alles andere ist Werbung.»
In diesem Sinne: Die Tamedia-Zeitungen machen beste Werbung – für die FDP, für den Fussballverband, für Puma.

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
_____________________
➔ Solche Artikel sind nur dank Ihren SPENDEN möglich. Spenden an unsere Stiftung können Sie bei den Steuern abziehen.
Mit Twint oder Bank-App auch gleich hier:
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Wichtiger und guter Text. Danke.
Es ist höchste Zeit, dass dem Geschimpfe, dass die «Baby-Boomer» die AHV ruinieren etwas entgegen gehalten wird. Diese Leute haben über 40 Jahre in die AHV einbezahlt – zum Teil auch für Menschen die nichts oder sehr wenig entrichtet haben.
Und jetzt versucht man ihnen ein schlechtes Gewissen zu machen…
Das sieht man auch daran, wie die Auszahlung der 13. AHV-Rente hinausgezögert wird.