Bundesrat schiebt Ökosteuer auf die lange Bank

Hanspeter Guggenbühl /  Der Bundesrat verzögert die ökologische Steuerreform und will Atomstrom vorübergehend durch Gaskraftwerke ersetzen.

Seit einem halben Jahr kündigt Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf an, sie plane eine ökologische Steuerreform. Und schon im Mai 2011, als die Bundesrats-Mehrheit den Verzicht auf neue Atomkraftwerke beschlossen hatte, erwog Energieministerin Doris Leuthard eine Lenkungsabgabe, um das Energiesparen zu fördern.

In seiner Klausursitzung vom Mittwoch hat der Bundesrat diese Pläne zwar zur Kenntnis genommen, aber offensichtlich auf die lange Bank geschoben. Das illustrieren die Informationen, welche die Bundesrätinnen Leuthard und Widmer-Schlumpf am Donnerstag den Medien präsentierten.

Öko-Steuer «vertieft überprüfen»

Statt einen Grundsatz-Entscheid zu fällen, beschloss der der Bundesrat die Ökosteuer vorerst «vertieft überprüfen» zu lassen. Dazu beauftragte er Widmer-Schlumpfs Finanzdepartement, gemeinsam mit dem Energie-Departement UVEK und dem Departement des Innern (EDI) bis Mitte 2012 «verschiedene Varianten einer ökologischen Steuerreform zu prüfen und dem Bundesrat Empfehlungen zum weiteren Vorgehen zu unterbreiten».

Offen bleibt damit, ob der Bundesrat eine Energieabgabe oder Ökosteuer überhaupt wünscht, wie hoch eine allfällige Abgabe ausfallen soll, und welche Energieträger darunter fallen. Ebenfalls unentschieden ist, was mit dem Ertrag aus einer allfälligen Abgabe geschehen soll. Denkbar ist sowohl die Rückverteilung pro Kopf und Arbeitsplatz als auch die Kompensation bei andern Steuern (siehe Kapitel über «Ökosteuer-Modelle» am Schluss dieses Textes).

Laut Doris Leuthard gebe es im Bundesrat «keine Präferenzen» für die eine oder andere Lösung. Leuhard selber bekannte gestern: «Ich bin immer noch skeptisch gegenüber Lenkungsabgaben.» Die Einführung einer solchen Abgabe sei ab 2020 denkbar, falls Förderabgaben bis dann nicht brächten, was sie versprechen.

Energiestrategie «konkretisiert»

Die Pläne für Öko-Steuern sind verknüpft mit der neuen Energiestrategie, die der Bundesrat mit seinem Beschluss zum AKW-Neubauverbot im Mai einleitete. Dabei geht es darum, die Energieversorgung in der Schweiz mittel- und langfristig zu sichern, wenn ab 2020 die alten AKW abgeschaltet werden.

Der dazu notwendige Umbau soll mit «Massnahmen in den Bereichen Energieeffizienz, erneuerbare Energien, fossile Kraftwerke, Netze und Forschung» sicher gestellt werden. Mit diesen Worten «konkretisierte» (respektive wiederholte) der Bundesrat, was er schon im Mai angekündigt hatte. Fossile WKK-Anlagen und Gaskombi-Kraftwerke seien zur Überbrückung der Atomstrom-Lücke notwendig, bekräftigte Doris Leuthard und ergänzte: «Je mehr Strom aus erneuerbaren Energien wir produzieren, desto weniger Gaskraftwerke braucht es.»

Laut provisorischen Berechnungen des Bundesamtes für Energie (BFE) lässt sich die Stromproduktion aus neuer erneuerbarer Energie (Biomasse, Solar-, Wind- und Wasserkraft) bis 2035 um 13 Milliarden Kilowattstunden (kWh) erhöhen. Das entspricht etwa der Hälft der heutigen Produktion von Atomstrom. Im gleichen Zeitraum könnten Massnahmen zur Steigerung der Stromeffizienz den – trendmässig wachsenden – Stromverbrauch auf dem heutigen Niveau stabilisieren. Die Umweltverbände rechnen mit einem höheren, die Stromunternehmen mit einem tieferen Spar- und Substitutionspotenzial als das BFE.

Einspeisevergütung anpassen

Um die Verstromung von erneuerbarer Energie besser fördern zu können, plant Doris Leuthard eine Anpassung der Kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV). Demnach soll die KEV vorrangig grosse Anlagen quersubventionieren. Kleine Photovoltaik-Anlagen auf Hausdächern will Leuthard künftig nicht mehr mit der KEV sondern durch Investitionsbeiträge fördern.

Modelle für Ökosteuern

Der Begriff «Ökologische Steuerreform» umfasst alle Modelle, die dazu dienen, knappe natürliche Ressourcen ins marktwirtschaftliche Preissystem zu integrieren.

Die Basis jeder Öko-Steuer bildet eine Lenkungsabgabe, welche meist die Energie als Urquelle des Naturverbrauchs belastet. Damit werden Investitionen zur Einsparung oder zum Ersatz von Energie ohne Subventionen rentabel. Folge: Der Energiebedarf sinkt, die Natur wird geschont.

Damit die Energieabgabe lenkt, muss sie hoch sein. Sie soll aber die Staatseinnahmen nicht erhöhen. Damit fragt sich, was mit dem Ertrag geschehen soll. Zwei Möglichkeiten stehen im Vordergrund:

– RÜCKVERTEILUNG Der Ertrag der Abgabe wird – wie bei einem Teil der CO2-Abgabe auf Brennstoffen – pro Kopf oder Arbeitsplatz an die Bevölkerung zurück verteilt. Resultat: Wer mehr Energie verbraucht als der Durchschnitt, wird unter dem Strich finanziell bestraft, wer Energie spart, wird belohnt. Damit erhalten alle einen Anreiz, Energie zu sparen.

– KOMPENSATION Der Ertrag der Energieabgabe wird kompensiert durch die Senkung von andern Steuern oder Abgaben. Vorteil: Wenn der Ertrag zum Beispiel zur Senkung der AHV-Beiträge verwendet wird, resultiert eine «doppelte Dividende», indem nicht nur Energie verteuert, sondern gleichzeitig die Arbeit verbilligt wird. Nachteil: Es ist problematisch, eine Lenkungsabgabe mit einer Finanzierungsabgabe wie der AHV zu verknüpfen. Denn wenn die Abgabe den Energieverbrauch wie erwünscht senkt, sinken auch die AHV-Einnahmen. Zudem kann man ewig darüber streiten, welche Steuern die Energieabgabe kompensieren soll.

Neben Lenkungs- gibt es die tieferen Förderabgaben. Diese dienen primär dazu, erneuerbare Energie oder das Energiesparen (etwa mittels Gebäudesanierungen) zu subventionieren. Vorteil: Schon mit einer kleinen Abgabe lässt sich eine schnelle Wirkung erzielen. Nachteil: Subventionen verfälschen den Markt.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

SolaranlageBauernhof-1

Energiepolitik ohne neue Atomkraftwerke

Erstes, zweites und drittes Gebot: Der Stromverbrauch darf nicht weiter zunehmen.

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