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Zehn Jahre nach Infosperber entdeckt auch die NZZ die Worthülse

Urs P. Gasche /  Die Einsicht erfolgt spät, aber radikal: Mit dem Wort «nachhaltig» werde die Öffentlichkeit betrogen und belogen, so die NZZ.

Bereits im Jahr 2012 schrieb Hanspeter Guggenbühl im Infosperber:

«Nachhaltig wird heute nicht nur gewachsen, gelebt, gehandelt, gearbeitet, gebaut, geschenkt oder investiert. Heute gibt es auch nachhaltiges Bewusstsein, Management, Spielzeug, etc. und von Toyota sogar ein «nachhaltiges Autohaus». Mit dem schwammigen Wort «nachhaltig» lässt sich heute alles und auch das Gegenteil schönfärben und rechtfertigen. Die Nachhaltigkeit wandelte sich zur Beliebigkeit.»

Mehr als zehn Jahre später, im Januar 2023, doppelte NZZ-Redaktor Fabien Urech nach:

«Glaubt man der Werbung, kann, wer will, seine Ferien in ‹nachhaltigen Hotels› verbringen und ‹nachhaltige› Mode kaufen. Die ‹nachhaltige› Schokolade gibt es für weniger als einen Franken pro Tafel. ‹Nachhaltige› Fonds versprechen eine bessere Welt und hohe Profite gleichermassen. Selbst beim Fussballschauen musste einen das schlechte Gewissen jüngst nicht plagen: Katars Wüsten-WM war laut den Organisatoren ‹nachhaltig› – was denn sonst […] ‹Selbstverständlich nachhaltig› lautete der Werbeslogan eines grossen Möbelgeschäfts im Herbst. Diese pauschale Selbstbeweihräucherung ist Unfug.» [Red. Es war die Ikea.]

Weil immer mehr Menschen gerne «nachhaltig» einkaufen möchten, seien «nachhaltige» Produkte zu einem lukrativen Wachstumsmarkt geworden, stellte Fabian Urech fest. «Doch was auf den Produkten, in der Werbung und auf Hochglanzpapier der Unternehmen als nachhaltig angepriesen wird, ist inzwischen oft vor allem eins – eine Mogelpackung.»

Die NZZ zitierte eine Studie der EU-Kommission, wonach Behauptungen zur Nachhaltigkeit in 42 Prozent der Fälle «übertrieben, falsch oder irreführend» waren. Diese Schönfärberei beziehungsweise das Greenwashing habe in den letzten Jahren klar zugenommen.

Auch auf dem Finanzmarkt sei es zu einem «regelrechten Wildwuchs von Anlageprodukten gekommen, die angeblich besonders ökologisch, grün oder sozial sein wollen». Urteil der NZZ: «Das ist in vielen Fällen schlicht gelogen.»

Verwässerter Begriff

Schon vor zehn Jahren hatte Hanspeter Guggenbühl aufgezeigt, wie stark das Wort «nachhaltig» bereits damals verwässert war. Das Wort stammt aus der Waldwirtschaft. Forstleute wissen genau, was es bedeutet: «Nur soviel Holz schlagen, wie nachwächst.» Oder bezogen auf die Natur als Ganzes: Nur soviel nutzen, wie die Natur erneuern respektive regenerieren kann. Die Schweizer Volkswirtschafts-Professorin Heidi Schelbert dehnte den ökologischen Begriff später sinngemäss auf die Ökonomie aus: «Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung heisst, von den Zinsen leben und das Vermögen nicht aufessen.»

Diesen Nachhaltigkeits-Anspruch hatte 1987 die Weltkommission für Umwelt und Entwicklung (Brundlandt-Kommission) auf die Menschheit als Ganzes erweitert: «Nachhaltige Entwicklung deckt die Bedürfnisse der Gegenwart, ohne zukünftigen Generationen die Grundlagen für deren Bedürfnisbefriedigung zu nehmen.» Mit dieser abstrakten Definition öffnete die Brundlandt-Kommission den Spielraum für Interpretationen: Wo enden die Bedürfnisse der Gegenwart – beim Lebensstandard in der Schweiz oder in Indien? Und inwieweit vermindert der Raubbau an Erdöl und anderen nicht nachwachsenden Rohstoffen die Möglichkeit späterer Generationen, ihre Bedürfnisse zu befriedigen?

Am Erdgipfel von 1992 in Rio de Janeiro, an dem die drei grossen Themen Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft erstmals an einer Regierungskonferenz gemeinsam behandelt wurden, definierte das «Business Council for Sustainable Development», welches dort die Interessen der Wirtschaft vertrat, die Nachhaltigkeit nochmals einseitiger: «Das Konzept der nachhaltigen Entwicklung gründet auf der Erkenntnis, dass Wirtschaftswachstum und Umweltschutz untrennbar miteinander verbunden sind.» In der Folge ersetzten auch die meisten Regierungen die neutrale Formulierung «nachhaltige Entwicklung» mit der Forderung nach «nachhaltigem Wachstum».

Die Vertreter von Politik und Wirtschaft verschoben damit das Gewicht in der Nachhaltigkeits-Debatte zu Gunsten der Wirtschaft und zu Lasten von Natur und Gesellschaft. Denn Wirtschaftswachstum bietet keine Garantie, weder für soziales Wohlergehen noch für ökologische Nachhaltigkeit. Im Gegenteil: Während die Weltwirtschaft, begrünt mit der Etikette «Nachhaltigkeit», weiter wuchs, blieb die soziale und ökologische Nachhaltigkeit auf der Strecke.

Von nachhaltiger Entwicklung war in der Folge denn auch wenig zu spüren: Der ökologische Fussabdruck der Menschheit überschritt die ökologische Kapazität des Planeten Erde im Jahr 1992 um 22 Prozent, im Jahr 2008 um 53 Prozent und heute noch deutlich mehr.

Nochmals Fabian Urech in der NZZ:

«Die Folgen dieser begrifflichen Sinnentleerung sind gefährlich. Pseudo-Nachhaltigkeit und Scheinlösungen sind genau das Gegenteil von dem, was wir zur Bewältigung der heutigen Krise bräuchten. Das gilt nicht nur mit Blick auf die Klimakrise, es gilt auch für die Bekämpfung der Armut und Menschenrechtsverletzungen sowie für die Suche nach Massnahmen gegen die Biodiveritäts-Krise.»

Hanspeter Guggenbühl beendete seinen Artikel wie folgt:

«Die ‹Nachhaltigkeit› ist zur ‹Metapher› geworden, aber nicht nur für ein Thema allein, sondern für drei: Ökologie, Ökonomie und Gesellschaft. ‹Nachhaltigkeit› verknüpft die Unverbindlichkeit des Begriffs mit der Illusion, Wirtschaftswachstum, soziale Gerechtigkeit und Naturerhaltung liessen sich konfliktfrei unter einen Hut bringen. Das geht nicht. Wer eine nachhaltige Entwicklung im ursprünglichen Sinn des Wortes anstrebt, muss Prioritäten setzen. Und dabei wird klar werden: Die Natur kann ohne Wirtschaft und Gesellschaft leben. Ohne Natur aber ist alles andere nichts.»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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Eine Meinung zu

  • am 21.01.2023 um 13:36 Uhr
    Permalink

    Eine fortgesetzte Entwicklung ins negative ist auch nachhaltig, wenn auch nachhaltig negativ. Man sollte dem Begriff nicht zuviel zumuten, dafür gibt unsere Sprachliche Begrifflichkeit zuviele Möglichkeiten.
    Kehre ein jeder in sich und überlegen was er/sie wirklich brauche und ziehe die Konsequenzen aus unserem Konsumdschungel. Nachhaltig nachgefragt und recherchiert ob umweltbewusst und fair beim Anbieter, und dann so gekauft, ist die einzigste Möglichkeit auf so etwas Einfluss zu nehmen.
    Von der Politik ist da sicherlich nichts zu erwarten.

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