Kalaschnikov-Schiesstour

Im Reisebüro ChernobylX buchbar: Kalaschnikow-Schiesstouren auf einem privaten Schiessplatz in der Nähe von Kiew. © Screenshot

Krieg stoppt Tschernobyl-Trips ins verstrahlte Gebiet

Esther Diener-Morscher /  Interessante Bildungs-Touren an geschichtsträchtige Orte – oder makabrer Katastrophen-Tourismus für sensationslüsterne Gaffer?

Das Ukraine-Geschäft mit Besuchen im verstrahlten Tschernobyl ist für den Anbieter ChernobylX wegen des Kriegs völlig zum Erliegen gekommen. Das Reisebüro hat nun auf andere Destinationen umgesattelt.

Die Touren propagierte das Reisebüro kürzlich ausgerechnet als spezielles Geschenk für den Valentinstag, also für den Tag der Liebe: Im Programm sind unter anderem Titos Kroatien-Tour oder eine Japan-Tour mit Besuch im Unglücksreaktor von Fukushima. Diese Geschenk-Ideen empfiehlt übrigens die ChernobylX-Mitarbeiterin Helga Volianska «mit radioaktiven Wünschen».

Auf Titos und Husseins Spuren

Es sind zweifellos spektakuläre Touren, welche ChernobylX ermöglicht. Auf der Tito-Tour ist etwa ein Besuch des «europäischen Alcatraz» vorgesehen. Damit ist die gespenstische Ruine eines ehemaligen Umerziehungslagers für politische Gefangene auf der kroatischen Gefängnisinsel Goli otok gemeint. In der Tito-Tour ist ausserdem ein «Spaziergang in Saddam Husseins Fussstapfen» inbegriffen. Zu diesem Zweck werden die Ruinen des ehemaligen Haludovo Palace-Hotels auf der kroatischen Insel Krk besucht. Die Tour wird als die «dunkle Seite des sonnigen Kroatiens» angepriesen.

Haludovo Hotel Krk
Auf den Spuren von Saddam Hussein wird diese Hotel-Ruine auf der kroatischen Insel Krk besucht.

Noch dunkler wird es auf der zehntägigen Japan-Tour, welche ab 3000 Euro buchbar ist. Zu entdecken sind «alle No-go-Locations», die das Land zu bieten hat. Und von diesen gibt es in Japan zahlreiche: «Wo sonst kann man die verlassenen Gebiete einer Nuklearkatastrophe, die Folgen eines natürlichen Tsunamis, die von Atombomben zerstörten Städte und die Ruinen einer Geistermine auf einer Insel besuchen?» So lauten die Anpreisungen von ChernobylX.

Diese Touren sind der Versuch, einen Ersatz für die bis 2019 boomenden Tschernobyl-Reisen zu finden. ChernobylX hatte einst 11’000 Kunden pro Jahr – die meisten aus Europa und männlich. Nun sind es noch 200 bis 300.

Die Tschernobyl-Zone ist vorübergehend für Touristen geschlossen. Derzeit bietet das Reisebüro deshalb nur Video-Touren für 29 Euro an. Andere Ukraine-Touren – etwa die Kalaschnikov-Schiesstouren in einem Schiessstand am Stadtrand von Kiew – wären zwar möglich. Aber die Touristen bleiben aus.

Ohne Waffenschein eine Kalaschnikov

Jetzt, da in der Ukraine bitter gekämpft wird, mutet es fast zynisch an, wenn das Reisebüro die Schiesstour auf ihrer Website als «einer der wenigen Orte in der Welt» anpreist, «wo Sie ein automatisches Gewehr AK-47 legal und ohne Waffenschein schiessen können.» Und unter dem Stichwort Adrenalin heisst es: «Fühlen Sie, wie Ihr Herz wie eine Trommel schlägt.»

Dominik Orfanus ist der Gründer des Tschernobyl-Reisebüros. Der Slowake vermarktet sich als professionellen Unternehmensgründer, der nach eigenen Angaben schon über 25 Firmen zum Erfolg verholfen hat – «als ihr Begleiter auf der Reise vom Guten zum Grossartigen».

Er hat die Touren ins verstrahlte Gebiet um den Atomreaktor vor acht Jahren lanciert. Tschernobyl sei seine Leidenschaft, erklärt er auf seiner Website und schreibt über das, was ihn antreibt: «Ich liebe diesen Ort. Wenn wir die Leute herumführen, können sie verstehen, was passiert ist, sie sehen, wie sich das Leben der Menschen von einem Tag auf den anderen verändert hat.»

Von einem Geschäft mit dem Tschernobyl-Tourismus ist nicht die Rede: «Der Besuch von Tschernobyl hat eine grosse menschliche und emotionale Seite.» Orfanus betont auch, wie er mit seinen Angeboten das Leben in der Tschernobyl-Zone zum Besseren verändere. Vor dem Krieg habe man ein Prozent der Einnahmen an Tschernobyl-Babuschkas gespendet, den Grossmüttern, die nach der Evakuierung zurückgekehrt sind, um den Rest ihres Lebens unter sehr, sehr einfachen Bedingungen, aber in ihrem Heimatland zu verbringen.

Dominik Orfanus ist der Gründer des Tschernobyl-Reisebüros
Dominik Orfanus ist der Gründer des Tschernobyl-Reisebüros.

Dank der Besucher könne die Zone zu einem besseren Ort werden. Es werden auch Wohltätigkeits- und Aufräumtouren angeboten. Für Dominik Orfanus ist das Tschernobyl-Reisebüro «ein wahr gewordener Traum – damit ich die Zone weiterhin besuchen und anderen ihre wahre Schönheit, ihre unerzählten Geschichten und ihr unsichtbares Erbe zeigen kann». Was soll man von solchen Bekenntnissen halten? Kommen Sie aus tiefstem Herzen? Oder von einem guten Werbetexter?

Abenteuer oder Voyeurismus?

Feriengäste, welche die Schauplätze von Katastrophen besuchen, wurden früher Katastrophentouristen genannt. Orfanus, der seine Kunden nach Tschernobyl, Fukushima oder zu Titos Jugoslawien führt, nennt sie Abenteuertouristen. Er ist nicht der einzige, der solche Reisen anbietet.

Auch Dylan Harris ist auf Reisen in ehemalige Katastrophen- und Kriegsgebiete spezialisiert. Er ist Inhaber des britischen Reiseunternehmens Lupine Travel, zu dessen Katalog Tschernobyl, Nordkorea, Irak, Iran, Eritrea, Somalia und Turkmenistan gehören. Und auch Harris muss sich oft kritische Fragen gefallen lassen. Gegenüber der britischen Tageszeitung The Guardian sagte er, er könne verstehen, warum manche solche Reisen als «morbide und voyeuristisch» ansehen.

Weckt es ein tieferes Verständnis?

Aber er erklärt: «Ich glaube wirklich nicht, dass das der Grund ist, warum die meisten Menschen diese Orte besuchen wollen. Ich glaube, dass man dadurch ein viel tieferes Verständnis für die Geschehnisse dort bekommt. Jeder hat schon vom Holocaust gehört, aber nichts kann einen auf die Gefühle vorbereiten, die einen bei einem Besuch in Auschwitz überkommen.»

Doch zurück zu Dominik Orfanus:Trotz all dieser Beteuerungen fragt man sich doch immer wieder, wie viel Wohltätigkeit und Bildung in den Reiseangeboten steckt. ChernobylX hat auch einen Shop. Dort lässt sich ein Stück Tschernobyl in Form eines makabren Souvenirs nachhause bestellen. Erhältlich sind etwa sowjetische Gasmasken GP-5 für knapp 20 Franken oder Geigerzähler für 300 Franken – mit der Empfehlung der Anbieter:  «Wir empfehlen ausdrücklich, mindestens einen zuhause zu haben, auch in Friedenszeiten.»

Nicht zu vergessen die Anmerkung: «Fünf Prozent des Verkaufspreises geht «an die tapferen Siedler der Chernobyl Exclusion Zone.»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Eine Meinung zu

  • am 22.02.2023 um 12:59 Uhr
    Permalink

    Gleich nach der Katastrophe hieß es, diese Gebiete ’seien auf zehntausende Jahre unbewohnbar› – Greenpeace behauptet das auch 2022 noch. Nicht mal dreißig Jahre später arbeiten nicht nur wieder Menschen dort (wenn auch nur auf begrenzte Zeit) es gibt auch Massentourismus dorthin. Ein paar unerschrockene, vor allem ältere Menschen leben auch schon wieder in der Zone. Erlebe ich vermutlich nicht mehr, aber wäre neugierig zu erfahren, wie es in weiteren dreißig Jahren dort zu und her geht.

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