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Für eine berufstätige Person sei ihre Solawi-Wochenration fast zu viel, sagt Heike Reinhardt, die sich auch organisatorisch in der Solawi3Land engagiert. © copyright Daniela Gschweng

Weg vom Wegwerf-Discounter zur regionalen Gemüsekiste

Daniela Gschweng /  Konsumenten lösen ein Abo für das, was die Erde hergibt. Das löst nicht alle Probleme des Lebensmittelhandels, aber einige schon.

«Das ist meine», sagt die junge Frau neben mir und zieht eine grüne Plastikkiste aus dem Holzregal vor uns. Wir stehen in einem Wohngebiet der Stadt Lörrach, nicht weit von der Schweizer Grenze.

Das Regal ist ein Depot der Solawi. So heissen die Verteilstationen der Solidarischen Landwirtschaft, abgekürzt Solawi oder SoLaWi. Die Frau heisst Heike Reinhardt und der Inhalt der Kiste ist ihr Ernteanteil des Vereins Solawi3Land.

Sie schlägt die Plastikfolie in der Kiste beiseite. Vor uns liegen frischer Fenchel, Lauch, Rüebli, zwei kleine Rettiche, Sellerie, einige Kartoffeln und mehrere Salate.

Die grüne Kiste stammt von der in der Gegend bekannten Gärtnerei Berg, die seit fast 40 Jahren ein Gemüse-Abo in den Ländern des Dreiländerecks vertreibt und ihre Demeter-Produkte auf Märkten verkauft. 40 Hektaren ihrer Äcker sind für die Solawi3Land reserviert.

Es gibt das, was gerade reif ist

Deren Mitglieder teilen sich den Ertrag und bezahlen dafür Abo-Gebühren. Wer möchte, kann «seine» Gemüsekiste auch direkt auf dem Hof abholen oder nach Hause liefern lassen. Im Regal liegen noch weitere mit Namen beschriftete grüne Kisten, die auf Abholer:innen warten.

Wer ein Abo hält, bekommt das, was die Erde gerade hergibt. Reinhardt zeigt auf den Salat. «Der ist wahrscheinlich heute Morgen geerntet worden», sagt sie. «Für zwei berufstätige Personen ist diese Menge passend, für eine Person fast zu viel», antwortet sie auf entsprechende Fragen. «Wenn ich alles aufessen oder verwerten will, muss ich mich ranhalten.»

Mehr gibt es aber auch nicht. Die Solidarische Landwirtschaft basiert auf dem Solidarprinzip. Ein Erzeugerbetrieb erhält übers Jahr eine festgelegte Summe von den Mitgliedern. Wenn der Ertrag schlecht ausfällt, teilt sich die Erzeugergemeinschaft das Risiko. Wer sich für ein Abo entscheidet, muss ein Jahr dabeibleiben; dafür bekommen die Abonnenten regelmässig frisches, regionales und saisonales Obst und Gemüse.

Es wird gegessen, was in die Kiste kommt

Ich schaue prüfend in die Kiste. Der zugegeben knackfrische Fenchel wäre für mich ein No-Go. Und wenn jemand keinen Rucola mag? Der müsse dann kreativ werden, sagt Reinhardt. «Es wird gegessen, was in die Kiste kommt?», frage ich. «Ja», sagt die Pädagogin und lacht. Die Solawi3Land versuche aber für Mitglieder, die zu viel in der Kiste haben, Produkte tauschen möchten oder nicht mögen, eine Lösung zu finden.

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Jede Woche das, was der Boden hergibt: ein Ernteanteil der Solawi3Land.

Zu organisieren gibt es auch sonst viel. Die Solawi3Land ist im Mai gerade ein Jahr alt geworden und in die zweite Saison gestartet. Die meisten Entscheidungen werden gemeinsam getroffen. Als Solawista müsste ich mit dem Fenchel zwar erst einmal leben, könnte ihn mittelfristig aber loswerden. Wenn viele Leute etwas nicht mögen, werde in der nächsten Saison weniger davon angebaut, erklärt Reinhardt, die sich auch ehrenamtlich in der Organisation der Solawi engagiert. «So gibt es immer eine direkte Rückmeldung, wie der Bedarf ist.»

Raus aus dem Discounter-Karussell

Damit spricht sie ein wichtiges Thema an: Ein bedarfsgerechtes Angebot ist im Lebensmittelmarkt sonst meist ein vages Ziel. Vor allem Discounter werfen täglich viele Tonnen Lebensmittel weg, weil sie nicht mehr frisch genug aussehen, die nächste Charge schon bestellt ist, das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist oder die Käuferlaune der Bestellung hinterherhinkt. Im südlichen Europa schuften Arbeitskräfte dafür zu Hungerlöhnen. Konsument:innen haben darauf nur wenig Einfluss.

In der Solawi3Land bestimmt der Bedarf die Produktion. Es gibt nach Möglichkeit keinen Foodwaste. Entstehen Überschüsse, werden sie haltbar gemacht. Im vergangenen Jahr trafen sich die Mitglieder beispielsweise zu einem Fermentier-Workshop. Das stärkt nebenbei die Gemeinschaft. Auch Brot- und Pizzabacken standen hoch im Kurs.


Bio-Gemüse im Abo auch in der Schweiz

Einen Direktverkauf von Bio-Gemüsen gibt es in vielen Hofläden, aber auch per Abonnement in der Schweiz. Ein paar Produzenten, welche in die ganze Schweiz zustellen:

Bio-Gemüse im Kanton Solothurn

Bio-Gemüse im Kanton Zürich

Bio-Gemüse im Kanton Thurgau

ÜBERSICHT zu Angeboten in der ganzen Schweiz: Nachhaltigleben.ch.

Solawi finanziert Landwirtschaft, nicht einzelne Produkte

Solawis finanzieren die lokale Lebensmittelproduktion und nicht die Grossverteiler. Der festgelegte Beitrag sichert die Erzeuger in schlechten Jahren ab und gewährleistet eine faire Bezahlung von Mitarbeitenden. Ein Betrieb kann so beispielsweise Sorten anbauen, die nicht im Discounter-Mainstream liegen, oder die Art der Bodenbearbeitung selbst festlegen. Das ist wünschenswert, denn mit der Sortenvielfalt im Supermarkt ist es nicht weit her (Infosperber: «Landwirtschaft: Warum alte Sorten nicht immer besser sind»).

3Land ist auch nicht allein. Die nächsten in Solawi betriebenen Höfe in der Region Basel sind die Gmüeserei in Sissach, der Birsmattehof in Therwil, BL, und die Nuglar Gärten im Kanton Solothurn, die in Basel mehrere Depots unterhalten.

Anders als das gemischte Modell der Gärtnerei Berg entsteht ein Solawi-Betrieb meist durch die Übernahme eines bestehenden Hofs. Darüber hinaus gibt es fast so viele Organisationsformen, wie es Solawis gibt, von Abo-Direktverträgen bis zur Miteigentümerschaft.

Die Ausgestaltung hängt von der Art der Produkte, Art und Grösse der Gemeinschaft und den lokalen Gegebenheiten ab. Einen Überblick gibt es beispielsweise auf Wikipedia, beim Netzwerk Solidarische Landwirtschaft (D) oder der Kooperationsstelle für solidarische Landwirtschaft (CH).

Die meisten Solawi-Gemeinschaften bauen Bio-Gemüse und -obst an, einige produzieren auch Eier, Milch, Fleisch, Getreide und deren Produkte. In der Schweiz, wo Solawi auch als Regionale Vertragslandwirtschaft (RVL) bekannt ist, gibt es derzeit 30 bis 40 Solawi-Betriebe. In Deutschland waren es laut «Topagrar» Anfang letzten Jahres zwischen 300 und 400, nach Angabe der AG Solawi-Genossenschaften sind es fast 500.

Mehr Kontakt zur Lebensmittelerzeugung

Solawi-Mitglieder müssen neben ihrem Beitrag meist Arbeitseinsätze leisten, zum Beispiel bei der Ernte. Bei der Solawi3Land sind es pro Jahr mindestens zwei halbe Tage. Bei Ortoloco, der ersten und ältesten Solawi in der Schweiz, seien Mitglieder 10- bis 14-mal im Jahr gefordert, berichtet das Portal «Nachhaltigleben».

«Zehn Einsätze wären mir persönlich zu viel», sagt Reinhardt zum Ortoloco-Modell. Gemeinschaftliche Aktivitäten würden bei 3Land aber begrüsst. Die Mitglieder wollen einen direkteren Bezug zu dem haben, was sie essen. In der Solidarischen Landwirtschaft sehen sie ein Modell für eine nachhaltigere, gerechtere Lebensmittelproduktion.

Nicht für jeden, aber ausbaufähig

Abgesehen davon, dass es weder in Deutschland noch in der Schweiz genügend landwirtschaftliche Fläche gibt, um ausreichend Lebensmittel für alle Einwohner zu produzieren: Die Solidarische Landwirtschaft ist kein Modell für sämtliche Konsumentinnen und Konsumenten. Platz nach oben wäre aber auf jeden Fall.

Da wäre zunächst der Preis einer gerechteren Landwirtschaft. Bei der Solawi3Land kostet das reguläre Abo 22 Euro pro Woche, ein Solidar-Abo für finanziell weniger gut aufgestellte Mitglieder 15 Euro, ein Gönner-Abo entsprechend mehr. Dazu kommen unter Umständen noch Lieferkosten. Für Demeter-Produkte ist das nach deutschen Verhältnissen nicht allzu viel. Gemessen daran, dass Abonnenten andere Lebensmittel zusätzlich kaufen müssen, aber auch nicht wenig.

Bei Ortoloco zahlen Mitglieder für ein Vollabo mit Obst, Gemüse, Sonnenblumenöl, Fleisch und Getreideprodukten 2890 Franken im Jahr, für das Vegi-Abo 500 Franken weniger. Transport und Werbung belasten das Budget einer Solawi im Unterschied zum Handel wenig bis gar nicht, sagt Reinhardt, die sich auch mit anderen Kooperativen befasst hat.  

Auf Tomaten im Dezember muss man schon verzichten können

Feste Beteiligung, beschränkte Auswahl und der hohe Kommunikationsbedarf sind trotzdem nicht jedermanns Sache. Wer in seiner Lebensgestaltung flexibel sein muss und keine Arbeitseinsätze leisten kann, kommt mit dem Solawi-Prinzip kaum zurecht.

Wem Kohl, Wurzel- und Wintergemüse im Winterhalbjahr wenig zusagen, wird auch Schwierigkeiten haben. Auf Tomaten im Dezember oder ganzjährig Broccoli muss man schon verzichten können. Und auch nicht jeder Produzent mag sich von einer Solawi reinreden lassen.

Solawis scheiterten nicht nur am Winterblues, sondern auch an zu dünner Finanzdecke, rechtlichen Hürden und ideologischen Differenzen, listet Hanna Frick von Ortoloco gegenüber «Nachhaltigleben» auf. Nicht alle Interessierten unterstützen beispielsweise beheizte Gewächshäuser oder Tierhaltung. Mitglieder, die wie Reinhardt ehrenamtlich organisatorische Aufgaben wahrnehmen, unterschätzen den Aufwand oder sie scheiden aus anderen Gründen aus.

Schrumpft die Gemeinschaft, kann es schnell eng werden. Die Solawi3Land muss mindestens 20 Mitglieder haben, sonst rechnet sie sich nicht. Bis 80 Mitglieder dürfen es mit der derzeitigen Organisation werden, wobei die gemischte Kalkulation des Hofs eine gewisse Flexibilität erlaubt.

Andere Solawis sind deutlich grösser. Ortoloco hat derzeit 300 Mitglieder, das Kartoffelkombinat in der Nähe von München, das 2020 noch 1700 Haushalte versorgte, produziert nach eigenen Angaben inzwischen für 3000 Haushalte.

Regionale, saisonale Landwirtschaft stösst zunehmend auf Interesse

Die Unsicherheiten halten vor allem junge Bäuerinnen und Bauern nicht davon ab, es mit einer Erntegemeinschaft zu versuchen. Sei es, weil sie die finanzielle Verantwortung für einen Betrieb nicht allein stemmen können, weil sie dem Druck der Grossverteiler entkommen wollen oder weil sie ihre Vorstellung von Landwirtschaft verwirklichen können. Auch Quereinsteiger sind unter den Produzent:innen häufig.

Und es gibt zunehmend mehr Interessenten. Während der Corona-Pandemie sei das Interesse an der Lebensmittelproduktion sprunghaft angestiegen, berichteten viele Erntegemeinschaften und Direktvermarkter zuletzt. Solawi-Betriebe werden zudem häufig von Umweltorganisationen, Stiftungen oder mit lokalen Fördergeldern unterstützt.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Weiterführende Informationen

Zum Infosperber-Dossier:

Bio_Label

«Fair Trade» und «Bio»

Viele zahlen für fairen Handel und für echte Bio-Produkte gerne mehr. Das öffnet Türen für Missbrauch.

Kuh

Landwirtschaft

Massentierhaltung? Bio? Gentechnisch? Zu teuer? Verarbeitende Industrie? Verbände? Lobbys?

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3 Meinungen

  • am 21.05.2023 um 23:11 Uhr
    Permalink

    Danke für dem Artikel! Wir sind auch schon fast ein Jahrzehnt in der Solawi-Szene und es funktioniert wunderbar! Wäre toll, wenn im Artikel auf diese Übersichtsseite hingewiesen wird https://www.solawi.ch/vernetzungsplattform/#/ so ist schnell die nächste Kooperative in der Nähe gefunden (statt nur die schweizweiten Gemüselieferdienste in der Infobox). Aktuell sind wir bei Pura Verdura in Zürich https://www.puraverdura.ch

    • alex_nov_2014_1_3_SW(1)
      am 22.05.2023 um 07:29 Uhr
      Permalink

      Guten Tag, die Links hinter der Gmüserei und den Nuglargärten gehen genau auf diese Seite.

  • am 22.05.2023 um 12:32 Uhr
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    Super Artikel! In Ö boomen die Selbsternteparzellen, bei denen man außer Beratung, Ackervorbereitung und Jungpflanzen alles selber macht. Der Arbeitsaufwand sind 1-2 Tage die Woche. Bei vielen Schädlingen und Unkraut etwas mehr. Dafür kann man sich auf dem freien Feld mit eigenen Pflanzideen und Beetgestaltung ausprobieren. Der Ertrag reicht natürlich nicht für eine Selbstversorgung, aber man bekommt ein Gefühl fürs Gärtnern, lernt eine Menge über den Gemüseanbau und erhält zum Dank bereits ab Mai eine kostenlose Urlaubsbräune.

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