Krieg Ukraine.Nastyaofly.Depositphotos

Hilferuf eines ukrainischen Buben © Nastyaofly/Depositphotos

«In der Ukraine herrscht wie anderswo ein Stellvertreterkrieg»

Chris Hedges /  Militaristen wollen Russland entmachten, um die globale Hegemonie der USA abzusichern. Das meint Chris Hedges.

upg. Einem Ende des fürchterlichen, von Russland entfachten Kriegs gegen die Ukraine stünde unter anderem entgegen, dass westliche Hardliner die Gelegenheit nutzen möchten, um mit einem anhaltenden Abnützungskrieg die konventionelle Schlagkraft Russlands empfindlich zu schwächen. Diese Meinung vertritt hier Chris Hedges, der viele Jahre Auslandkorrespondent der New York Times war. Im russischen Staatssender RT ist Hedges Gastgeber einer wöchentlichen Interviewshow, in der «dissidente Stimmen» zu Wort kommen.

Ein Staat hat viele Möglichkeiten, Macht zu demonstrieren und den Gegner zu schwächen, eine der zynischsten davon sind Stellvertreterkriege. Stellvertreterkriege zerstören die Länder, die sie vorgeben zu verteidigen. Grossmächte verleiten Nationen oder Aufständische dazu, für geopolitische Ziele zu kämpfen, die letztlich nicht in Interesse dieser Länder liegen. 

Beim Krieg in der Ukraine geht es weniger um die ukrainischen Freiheit, als vielmehr um die Schwächung des russischen Militärs und der Schwächung von Wladimir Putins Macht. Falls die Ukraine auf eine Niederlage zusteuert oder der Krieg ins Stocken gerät, wird die Ukraine wie viele andere Staaten geopfert. Eines der Gründungsmitglieder der CIA, Miles Copeland Jr., bezeichnete dies als «Spiel der Nationen» und «Amoralität der Machtpolitik».

Unkontrollierbar und hoch riskant für die Sponsoren

In meinen zwei Jahrzehnten als Auslandskorrespondent habe ich über Stellvertreterkriege berichtet, unter anderem in Mittelamerika, wo die USA die Militärregime in El Salvador und Guatemala sowie die Contra-Aufständischen bewaffneten, die versuchten, die sandinistische Regierung in Nicaragua zu stürzen. Ich berichtete über den Aufstand im Punjab, einen von Pakistan geschürten Stellvertreterkrieg. Ich berichtete über die Kurden im Nordirak, die vom Iran und von Washington mehr als einmal unterstützt und dann verraten wurden. Während meiner Zeit im Nahen Osten lieferte der Irak Waffen und Unterstützung an die Mudschaheddin-e-Khalq (MEK) [in Europa auch unter dem Begriff Volksmudschahedin bekannt. Red.], um den Iran zu destabilisieren. Als ich im ehemaligen Jugoslawien war, glaubte Belgrad, durch die Bewaffnung bosnischer und kroatischer Serben Bosnien und Teile Kroatiens in ein Grossserbien eingliedern zu können. 

Stellvertreterkriege sind bekanntermassen schwer zu kontrollieren, vor allem, wenn die Bestrebungen derjenigen, die kämpfen, und derjenigen, die die Waffen liefern, auseinanderklaffen. Sponsoren von Stellvertreterkriegen wie die USA in Vietnam oder Israel im Libanon riskieren, direkt in den Konflikt hineingezogen zu werden. 


Für Putins Krieg gegen die Ukraine gibt es keine Entschuldigung

Urs P. Gasche. Für die Bevölkerung ist ein Krieg das Schlimmste. Die Folgen sind komplett zerstörte Infrastrukturen und Wohnhäuser, kein Wasser, kein Strom, viele Tote und noch mehr schwer Verletzte, Vertriebene und jahrelange Rachegefühle. 

Deshalb sind militärische Einsätze völkerrechtlich nur zur Selbstverteidigung erlaubt, falls ein Land – wie die Ukraine – militärisch angegriffen wird. Dann können und dürfen andere Länder dem angegriffenen Land helfen, sich gegen den Aggressor zu wehren.

Präventivkriege gegen angebliche oder tatsächliche Bedrohungen sind verboten. Weder feindliche Raketen an der Grenze noch Faschistengruppen noch diktatorische Verhältnisse noch Attentate rechtfertigen einen Krieg oder die Aneignung eines fremden Territoriums. Das gilt für Russland in der Ukraine genauso wie für die Türkei in Syrien, für die saudische Koalition in Jemen oder wie früher für die USA im Irak und in Afghanistan.

Nichts, aber auch gar nichts rechtfertigt den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Waffen für die Ukraine auch auf dem Schwarzmarkt

Stellvertreterarmeen erhalten Waffen, für die sie kaum Rechenschaft ablegen müssen und in grossen Mengen auf dem Schwarzmarkt oder in den Händen von Warlords oder Terroristen landen. Der Nachrichtensender CBS News berichtete im vergangenen Jahr, dass lediglich etwa 30 Prozent der an die Ukraine gelieferten Waffen an der Front landen. CBS zog den Bericht unter starkem Druck aus Kiew und Washington teilweise zurück. Die weit verbreitete Abzweigung von gespendeter militärischer und medizinischer Ausrüstung für den Schwarzmarkt in der Ukraine wurde auch von der US-Journalistin Lindsey Snell dokumentiert. Die massenhaft in Kriegsgebiete gelieferten Waffen sind eine lukrative Ware.

Kriegsherren, Gangster und Schläger – die Ukraine gilt seit langem als eines der korruptesten Länder Europas – werden von den Sponsorenstaaten in heldenhafte Freiheitskämpfer verwandelt. Die Unterstützung derjenigen, die diese Stellvertreterkriege führen, wird in den USA als nationale Tugend gefeiert, was nach zwei Jahrzehnten militärischer Fiaskos im Nahen Osten besonders verführerisch zu sein scheint. Joe Biden, der in den Umfragen schlecht abschneidet, will für eine zweite Amtszeit als «Kriegs»-Präsident kandidieren, welcher der Ukraine zur Seite steht. Die USA haben denn auch bereits 113 Milliarden Dollar an militärischer, wirtschaftlicher und humanitärer Hilfe zugesagt. 

Als Russland in die Ukraine einmarschierte, «stand die ganze Welt vor einer historischen Prüfung», sagte Biden nach einem Blitzbesuch in Kiew. Und: «Europa wurde auf die Probe gestellt. Amerika wurde auf die Probe gestellt. Die NATO wurde auf die Probe gestellt. Alle Demokratien wurden auf die Probe gestellt.» 

Ich habe ähnliche Äusserungen gehört, um andere Stellvertreterkriege zu rechtfertigen.

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Dieser Beitrag erschien am 12. März auf Scheerpost.com. Bearbeitung: Stefan Frey.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Chris Hedges, geboren 1956, ist ein mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneter amerikanischer Journalist. Er war fünfzehn Jahre lang für die New York Times als Auslandskorrespondent und Büroleiter im Nahen Osten und auf dem Balkan tätig. Er lehrte an der Columbia University, der New York University, der Princeton University und der University of Toronto.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Ukraine_Sprachen

Die Ukraine zwischen Ost und West: Jetzt von Russland angegriffen

Die Ukraine wird Opfer geopolitischer Interessen. Die Nato wollte näher an Russland. Seit dem 24.2.2022 führt Russland einen Angriffskrieg.

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17 Meinungen

  • am 21.05.2023 um 12:49 Uhr
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    «Stellvertreterkrieg zur Erhaltung amerikanischer Hegemonie…» Diese Ansicht reicht mir, lesen muss ich das nicht. Nur Dank Meinungsfreiheit muss man solche Meinungen tolerieren.
    Fragen wir doch einen ukrainischen Kämpfer an der Front oder gar Selensky selbst, ob er für die Hegemonie der USA kämpfe. Gegen die Hegemonie Russlands zu kämpfen, einfach den Ukrainern überlassen, ist es das, was dem Autor vorschwebt?

    • am 22.05.2023 um 20:54 Uhr
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      Schon mal überlegt, dass die Ukraine sich ohne die amerikanische Aussenpolitik der letzten 30 Jahre gar nicht verteidigen müsste?

    • am 23.05.2023 um 09:36 Uhr
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      Ich möchte Sie nochmals daran erinnern, dass gerade die Meinungsfreiheit zu den Grundsäulen unserer Demokratie gehört. Selensky fragen? Haben Sie nicht auch den Eindruck, dass er genügend Bühne bekommt, um seine Ansichten und Meinungen in die Welt zu tragen? Es gibt keinen Weg zu Frieden, denn Frieden ist der Weg. Somit könnte man mal nebst der Sanktionspolitik, welche mehr Schaden als Nutzen brachte, auch mal die Waffenlieferungen kritisch hinterfragen.

  • ToniKoller
    am 21.05.2023 um 13:44 Uhr
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    Die einzige Alternative zum «Stellvertreterkrieg» in der Ukraine wäre ja wohl, Putins imperiale Ansprüche hinzunehmen und den Aggressor einfach gewähren zu lassen. Wer das besser fände, sollte wenigstens explizit dazu stehen.

    • am 22.05.2023 um 20:47 Uhr
      Permalink

      Schon mal überlegt, dass die Ukraine sich ohne die amerikanische Aussenpolitik der letzten 30 Jahre gar nicht verteidigen müsste?

  • am 21.05.2023 um 14:08 Uhr
    Permalink

    Chris Hedges spricht aus, was Journalisten hierzulande nicht wagen zu sagen oder nicht verstehen. Es geht den USA nur darum, Russland von Deutschland abzukoppeln (bereits erreicht), zu schwächen (läuft gerade) und schliesslich aufzuteilen. Ein Beutezug auf Kosten der Ukraine. Bisher läuft alles nach Plan, denn die US-Propaganda ist hervorragend.

  • am 21.05.2023 um 14:51 Uhr
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    Der Herr Hedges hst offensichtlich vergessen dass Russland einen souveränen Staat überfallen hat. Stellvertreterkrieg, so ein Schwachsinn. Natürlich wollen wir Russland entmachten wenn es sich so verhält.

    • am 22.05.2023 um 10:14 Uhr
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      Die USA steht dem aber auch in nichts nach, mit knapp 300 gewalttätigen Einsätzen und kriegerischen Handlungen gegen souveräne Staaten, völkerrechtswidrigen Sanktionen, sind die USA die größten Aggressoren dieser Erde.

      • am 22.05.2023 um 21:19 Uhr
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        Da bin ich absolut gleicher Meinung. Aber ein früheres Verbrechen rechtfertigt nicht ein neues. Hier und jetzt geht es um Russland und die Ukraine. Ein anderes Mal wenn es um USA geht werde ich dieselbe Haltung vertreten.

    • am 24.05.2023 um 09:22 Uhr
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      So, so: «Wir» wollen Russland entmachten. Haben Sie auch alle anderen gefragt, die Sie in dieses imaginäre «Wir» glauben einbeziehen zu dürfen?
      Wie wollen Sie dieses «entmachten» denn umsetzen? Wollen Sie selbst an die Front ziehen? Nein? Also doch lieber «stellvertretend» die Ukrainer?
      Ohne Worte …

      P.S.: Schauen Sie sich mal die Geographie an, und dann denken Sie nochmal in Ruhe über eine «Entmachtung» Russlands nach.

  • am 21.05.2023 um 20:09 Uhr
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    Am Anfang steht » von Russland entfachten Krieges»…
    Ich bin der Meinung das dieser Krieg seitens der USA entfacht wurden als sie sicht nicht an die Absprachen bezüglich Nato-Osterweiterung gehalten haben und Präsident Biden den Russen jedwedes Recht abgesprochen haben rote Linien setzen zu dürfen.
    Dieser Krieg hätte vermieden werden können, mit Weitsicht und Geduld wäre auch Russland ein Land mit unseren Werten geworden wobei ich heute an diesen Werten zweifle weil sie gelogen sind.

    Gerüchte um Selenskys Bestechlichkeit und einem angeblich angesammelten Vermögen von einer halben Milliarde, gibt es immer wieder. Nachweise sind bisher noch nirgends veröffentlicht aber ausschliessen kann und mag ich es auch nicht. So ein Land wird nicht von jetzt auf sofort zum Saubermann. Und wenn Schwarzmarktgeschäfte ein Thema sind, dann zieht das Kreise bis ganz nach oben, inklusive der Präsidialmacht.

    • am 22.05.2023 um 08:40 Uhr
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      Was soll denn dieser Text ? Es gibt nach UNO Charta genau zwei legale Gründe für einen Krieg. Ein UNO Mandat und Selbstverteidigung bei einem Angriff. Unzufriedenheit mit einem Nachbarn ist keiner, und eine herbeifantasierte Bedrohung auch nicht. Was die Korruption angeht, es ist kein Thema in diesem Kontext, Putin und seine Garde sind die Korruption in Person und Zelenski hat kürzlich einen Richter deswegen einbuchten lassen.

    • am 22.05.2023 um 10:26 Uhr
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      Die Vereinigten Staaten investierten fünf Milliarden Dollar in die aktive Steuerung der ukrainischen Politik, einschliesslich des Sturzes des demokratisch gewählten Präsidenten, der sich geweigert hatte, der NATO beizutreten. Nuland spielte eine Schlüsselrolle bei der Ermöglichung eines Putsches in der Ukraine, der einen Bürgerkrieg auslöste, der bisher mehr als 10’000 Menschenleben kostete und über eine Million Menschen vertrieb. Sie spielte auch eine Schlüsselrolle bei der Bewaffnung der Ukraine. Sie befürwortet radikal erhöhte Militärausgaben, die Erweiterung der NATO, propagiert Feindseligkeit gegenüber Russland und Bemühungen, die russische Regierung zu stürzen. Heute ist bekannt dass der damalige „Friedensvertrag“ nur ein Ziel hatte: Die Ukraine aufzurüsten. Dort sind für mich Kriegsursachen zu finden. Trotzdem ist es eine widerliche und verabscheungswürdige Attacke von Putin.

  • am 21.05.2023 um 21:47 Uhr
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    Nun, das ist ja nichts Neues. Der psychologische Effekt, dass Meinung und Weltbild mit penetranter Wiederholung beeinflusst werden, ist jedoch allgemein wirksam. Darum ist es wichtig, dass dieses Mittel nicht den Verbreitern von Propagandalügen überlassen wird, sondern auch von denen verwendet wird, welche die oft unangenehme Wahrheit erzählen. Weiter so!

  • am 21.05.2023 um 23:20 Uhr
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    Der Ukrainekrieg ein Stellvertreterkrieg ? – Eine echt steile These, welche uns Chris Hedges, seines Zeichens einst Auslandkorrespondent der «New York Times» und heute hochwillkommener (und entsprechend vom Kreml auch gehätschelter) Gastgeber bei Putins Propagandakanal «Russia Today» hier zumutet. Putins klar völkerrechtswidriger Angriffskrieg vom 24. Februar 2022 kann mit Fug und Recht auf die gleiche Stufe wie Hitlers Überfall auf Polen 1939, jener auf Jugoslawien 1941 und jener auf die Sowjetunion 1941 – oder Mussolinis Krieg gegen Griechenland 1940 oder auch Tojos Angriff auf Pearl Harbour 1941 gestellt werden. Alle diese von hemmungslosen Kriegstreibern überfallenen Staaten kämpfen (beziehungsweise kämpften damals) ganz schlicht und einfach um ihre ureigensten nationalen Interessen und nehmen (beziehungsweise nahmen) ungeheure Opfer auf sich, um ihre eigenen Länder, ihre Heimat zu verteidigen – und sicherlich nicht im Interesse fremder Mächte, um diesen zu Diensten zu sein.

  • am 22.05.2023 um 11:55 Uhr
    Permalink

    Es ist schlicht nichts anderes als ein geopolitischer Konflikt zwischen drei Machtblöcken (USA-NATO, EU, Russland) auf dem Buckel der Ukraine in den jetzt ein vierter hineingezogen wird (VR China), während sich blockfreie Staaten abwartend verhalten und ihre Interessen neu ausrichten. Dieser Konflikt läst sich nur durch Interessensausgleich und gegenseitige Anerkennung der Macht- und Einflusssphären beenden. Ziel muss die unbedingte Vermeidung einer Eskalation in einen Atomkrieg sein. Das hat weder etwas mit Völkerrecht noch etwas mit Moral zu tun. Ein kurzer Blick auf alle Kriege seit 1945 zeigt, dass es darum niemals geht. Russland fühlt sich stark genug, Sanktionen und Verluste zu ertragen und versucht mit minimalem Aufwand einen Abnutzungskrieg zu führen. USA-NATO u. EU versuchen mit Propaganda- und Regierungs-Tricks an der mehrheitlich ablehnenden Haltung der eigenen Völker vorbei trotz riesiger Schulden auf teure Kriegswirtschaft umzustellen.

  • am 24.05.2023 um 09:12 Uhr
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    Es ist erschütternd zu sehen, dass einige Kommentatoren hier offensichtlich so in dieser Propagandeblase gefangen sind, dass es schon ihr Weltbild zu erschüttern scheint, wenn sie nur von diesen anderen Wahrheiten lesen müssen. Dass der Krieg in der Ukraine mittlerweile (!) deutliche Züge eines Stellvertreterkrieges aufweist, ist mE nicht von der Hand zu weisen (wegen der DIREKTEN Beteiligung einer Großmacht trifft es allerdings nicht die klassische Definition). Dass die Ukrainer (an der Front) nicht vorrangig zur Unterstützung von US-Interessen kämpfen, ist im Übrigen Teil des Wesens eines Stellvertreterkonfliktes.

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