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Nur sieben Apfelsorten weden regelmässig im Supermarkt angeboten - von hunderten bis tausenden, die es weltweit gibt. © pixabay

Landwirtschaft: Warum alte Sorten nicht immer besser sind

Daniela Gschweng /  Alte Sorten seien variantenreicher, schmecken besser, brauchen weniger Pestizide und Dünger – warum baut sie dann keiner an?

Unsere Lebensmittelauswahl wird immer eintöniger, nur noch wenige Sorten dominieren die Supermarktregale. Oft schmeckten sie nicht einmal gut. Sonst landwirtschaftlich eher leidlich Interessierte wissen dafür von verschwundenen Kartoffeln und Tomaten sogenannter «alter Sorten» und schwärmen von Hochstammbäumen, die es «früher» in ihrem Umfeld gab.

Mit der Vielfalt ist es tatsächlich nicht weit her. 95 Prozent des aus Pflanzen gedeckten Kalorienbedarfs der Weltbevölkerung stammt von nur 30 Pflanzenarten; das kann einen schon zum Nachdenken bringen. Alte Sorten, heisst es, seien schädlingsresistenter, robuster und klimafreundlicher, weil sie weniger synthetischen Dünger und chemisch-synthetische Pestizide und weniger Wasser brauchen. Hans Joachim Bannier, ein Apfelbauer aus Bielefeld, gibt sogar an, dass er seine Bäume überhaupt nicht behandelt, weil er robuste alte Sorten anbaut. Er spritze nicht einmal mit Kupfer und Schwefel, die im Bioanbau erlaubt sind.

Alles Nostalgie? Teilweise schon. Oder zumindest sehr pauschal, sagt die Agrar-Ingenieurin Christine Arncken. «Man kann nicht generell sagen, dass alte Sorten grundsätzlich robuster sind. Wenn eine Sorte von niemandem angebaut wird, hat dies auch einen Grund», antwortet Arncken auf die Fragen von «Infosperber».

«Wenn eine Sorte von niemandem angebaut wird, hat dies auch einen Grund.»

Christine Arncken, Agrar-Ingenieurin am FiBL

«Hochstammbäume kann man nicht mit alten Sorten gleichsetzen», stellt Arncken, die am Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) im Departement für Nutzpflanzenwissenschaften arbeitet, als Erstes richtig. Apfel- und Birnbäume werden in der Regel durch Pfropfen veredelt. Ist die Unterlage ein stark wachsender Baum, wird daraus ein Hochstammgewächs. Darauf wachsen könne aber durchaus eine moderne Sorte.

Hochstammbäume würden aber wegen des Landschaftsbilds und der Ökologie gefördert, weil etwa Vögel in den breiten Kronen Nistplätze finden. Niederstammbäume tragen zwei bis drei Jahre früher und lassen sich besser abernten. Bei der Ernte gebe es auch weniger schwere Unfälle, gibt die Landwirtschaftsexpertin zu bedenken. Tafelobst werde heute in der Regel in Niederstammanlagen angebaut. Aus Hochstamm-Obst werde Saft und Most.

Äpfel: Die Geschmäcker ändern sich über die Jahre

Bei Äpfeln sei die Geschmacksvielfalt in den letzten Jahrzehnten aber sehr gesunken, gibt Arncken zu. Teilweise auch, weil die Geschmäcker sich über die Jahre ändern.

«Ein Apfel muss heute beim Zubeissen knackig und süss sein und dazu ein ausgeglichenes Mass an Säure haben», erklärt die Agraringenieurin. «Manche alten Sorten sind so sauer, dass es einen schüttelt», sagt sie und lacht. Für Kuchen und Apfelmus sind diese Äpfel vielleicht genau richtig. Im Supermarkt will sie kaum jemand.

«Wenn man Äpfel sehr extensiv anbaut, wird es schwierig, die von den Supermärkten geforderten Anforderungen zu erfüllen», sagt auch Arnckens Kollege Michael Friedli. Mit den Sorten Gala, Topaz und Braeburn sei mengenmässig bereits ein grosser Teil der Äpfel im Supermarkt aufgezählt, sagt der Apfelspezialist. Zur Erinnerung: Weltweit gibt es tausende Apfelsorten. Auch wenn sich viele nicht für eine wirtschaftliche Produktion eignen, sind sieben Sorten im Regal doch sehr wenig.

Es liegt nicht nur an der Robustheit gegen Krankheiten

Warum nicht mehr alte Sorten angebaut werden, erklärt Friedli als Leiter der FiBL-Forschungsgruppe Obstbau damit, dass sie heutigen Qualitätsanforderungen selten genügen. In einem gemeinsamen Projekt des FiBL mit Coop und Pro Specie Rara habe sich durch Degustationen herausgestellt, dass die Lagerfähigkeit alter Sorten meist geringer sei als heute verlangt. Manche Sorten seien auch für den intensiven Anbau schlecht geeignet, zum Beispiel, weil ihre Wuchsform ungünstig sei oder der Ertrag schwanke.

«Grundsätzlich zu hinterfragen, ob und wie viel direkten Pflanzenschutz man macht, ist aber eine gute Idee», sagt Friedli. Auch er bricht eine Lanze für die Zucht. Es gebe auch neuere Apfelsorten, die robuster gegen Krankheiten seien. Und auch bei neueren Kreuzungen werde auf alte Sorten zum Einkreuzen zurückgegriffen. «Dann bekommt man eine Pflanze mit einem ganzen Bündel neuer Eigenschaften, von denen man einige vielleicht gar nicht will», beschreibt er. Zucht sei ein langwieriger Prozess, den man aber durchführen müsse, um die Vielfalt robuster Sorten zu erhalten. Ein gutes Beispiel sei das kürzlich gestartete EU-Projekt «InnOBreed», das die biologische Obstzüchtung fördert und an dem auch das FiBL beteiligt ist. 

Vielfalt ist wichtig, denn die Widerstandfähigkeit gegen Pflanzenkrankheiten kann auch wieder verschwinden. Wenn eine Resistenz an nur ein Gen geknüpft ist, das sich an nur einer Stelle im Apfel-Genom befindet, sei es sogar wahrscheinlich, dass es sogenannte Durchbrüche gibt. Bei Resistenzen gegen die verbreitetste Apfelkrankheit Apfelschorf war das bereits der Fall. Dabei spiele es auch keine Rolle, ob die Resistenz durch Züchtung oder durch gezielte Manipulation entstanden ist.

Lupinen: Warum alte Sorten alte Sorten werden

Das Problem der Pflanzenkrankheiten gibt es nicht nur bei Äpfeln. Arnckens Fachgebiet sind Lupinen und Getreide. «Bis in die 1990er-Jahre gab es eine gute Lupinensorte, die Amiga heisst», erklärt sie. Dann breitete sich von Südamerika aus eine Pilzkrankheit namens Anthraknose (Brennfleckenkrankheit) aus, für die Amiga besonders anfällig war. Arncken versucht am FiBL, eine gegen den Pilz widerstandsfähige Lupinensorte zu züchten. Eine resistente Sorte ist in Reichweite.

Geholfen haben Arncken Samen aus Samenbanken weltweit, die sie acht Jahre lang ausgesät, geprüft, eingekreuzt und wieder geprüft hat. «Dieses genetische Reservoir brauchen wir in der Züchtung dringend», sagt die Züchterin. Aber es sei eben nicht so, dass ältere Sorten immer robuster seien. Amiga, die frühere Weltsorte, ist wohl für immer Geschichte.

Getreide: Die Anforderungen ändern sich

Manches Alte würde heute gar nicht mehr funktionieren – beim Getreide zum Beispiel. Um 1900 habe Getreide doppelt so lange Halme gehabt wie heute, erklärt Arncken. Inzwischen ist es niedriger, unter anderem, weil Stroh als Rohstoff nicht mehr gefragt ist. Die Äcker müssten heute auch mindestens doppelt so viel Ertrag liefern wie vor 120 Jahren, deshalb seien sie viel nährstoffreicher. Die alte Sorte würde mit starkem Längenwachstum reagieren und umkippen.  

Eine Getreidesorte, die früher als ertragreich galt, würde heute womöglich durchfallen. Die industrialisierte Verarbeitung stellt andere oder höhere Anforderungen. Beim Backweizen verlangt die Industrie beispielsweise einen höheren Proteingehalt (warum, hat Infosperber hier ausführlich behandelt).

Der grösste Hebel ist der Markt

Bei Obst und Gemüse zählt weniger Vielfalt als ein hoher, gleichmässiger Ertrag, Robustheit in der Handhabung und eine gute Lagerbarkeit. Dazu ist eine möglichst grosse Uniformität gefragt. Die immer gleiche Grösse beim gleichen Geschmack erleichtert den Detailhändlern Logistik und Vermarktung. Zum Beispiel, weil sie Stückpreise statt Kilopreise verlangen können. «Diese Uniformität bekommt man mit Hybridsorten hin», sagt Arncken. Der Sortenvielfalt diene das natürlich nicht.

Aus der Perspektive eines Landwirts kann man es auch anders sagen: Vielfalt lohnt sich nicht, weil niemand die Ernte zu wirtschaftlichen Preisen kauft. Ausser, man bedient eine Nische. Arncken sieht es differenzierter: Es komme eben darauf an, welche Art Landwirtschaft man mit einer Sorte machen wolle. Es gebe durchaus neue Sorten aus Bio-Züchtung, die zur Vielfalt beitrügen – nur eben nicht im Supermarkt, sondern in Nischen wie Bio- und Bauernmärkten oder in der Direktvermarktung.

Mehr Vielfalt aus der Nische

Wer wolle, habe durchaus Einfluss darauf, was er esse. «Auf Märkten einkaufen, mit den Erzeugern reden, ein Gemüse-Abo bestellen, auch mal etwas kaufen, von dem man nicht genau weiss, wie es schmeckt», zählt sie auf. Michael Friedli sieht das ähnlich. Sein Fachgebiet ist für Konsumentinnen sichtbarer: Äpfel aus Biolandbau hätten in der Schweiz einen Marktanteil von gegen 20 Prozent, sagt er.

Er verweist auf Direktvermarkter, die in der Wahl der Sorte freier sind als Betriebe, die an Grossverteiler liefern. Man müsse die Ansprüche in Sachen Aussehen und Uniformität dabei vielleicht «ein bisschen runternehmen», sagt er. Gut findet der Wissenschaftler auch das vom FiBL mitentwickelte Geschmacksgruppenkonzept, das Äpfel in drei farblich markierte Geschmacksgruppen von süsslich bis säuerlich einteilt. Ein solche Konzept unterstütze Produzenten kleinerer Mengen biete den Konsumentinnen und Konsumenten auf einfache Weise mehr Vielfalt.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Kuh

Landwirtschaft

Massentierhaltung? Bio? Gentechnisch? Zu teuer? Verarbeitende Industrie? Verbände? Lobbys?

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5 Meinungen

  • am 16.04.2023 um 21:38 Uhr
    Permalink

    Große Sortenvielfalt, noch dazu mit unterschiedlichen Lagerbedingungen, ist ein Problem selbst für ambitionierte Biogeschäfte. Nicht jeder Kunde möchte ausprobieren oder kennt und mag alte Sorten. Viel traditionelles Gemüse wie Schwarzwurzeln, lokale Rübensorten usw. sind nicht mehr so begehrt. Wiederum sind hier die Wochenmärkte und Direktvermarkter die Retter; unterhält man sich mit Anbietern und Bauern, findet beispielsweise seltene Apfelsorten und entdeckt dieses Obst neu. «Alte Sorten» sind übrigens auch nur durch enorme züchterische Anstrengungen entstanden; es spricht also nichts dagegen, diese weiterzuzüchten und sie gewandelten Umwelt- und Verbrauchsbedingungen anzupassen. Interessant wäre eine Tomatenzucht, die gegen die immer stärker grassierende Kraut- und Braunfäule resistent ist. Die vernichtet regelmäßig ganze Selbsternteparzellen bei uns.

  • am 17.04.2023 um 12:56 Uhr
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    Sehr gut geschrieben Frau Gschweng
    Die Bauern Produzieren auch nur das was am Markt abgesetzt werden kann und ich finde es einen alten Zopf wenn mit Steuergeldern und Labelbeiträgen alte Pflanzensorten künstlich am Leben gehalten werden! Besser das Geld in die Forschung stecken die dann robuste und vermarktbare Sorten züchtetet.

  • am 17.04.2023 um 12:58 Uhr
    Permalink

    In diesem Artikel finde ich vieles falsch. Aussagen wie: «Wenn eine Sorte von niemandem angebaut wird, hat dies auch einen Grund» und: (…) die Geschmacksvielfalt in den letzten Jahrzehnten sehr gesunken (…) «weil die Geschmäcker sich über die Jahre ändern», Stichwort: Süss.
    Ich finde, der Massstab müsste sein «Was ist gesund?» und nicht «Was ist für Hersteller und viele Konsumenten am scheinbar bequemsten?» Vergleiche Volksgesundheit und Krankenwesenkostenexplosion. Vergleiche https://www.no-patents-on-seeds.org/de/start-alt
    https://www.publiceye.ch/de/themen/saatgut/keine-patente-auf-saatgut
    War es Ende 70er oder anfang 80er-Jahre, als wir vom Bauern kistenweise grosse reife Boskoop-Äpfel bekamen, von denen ich heute noch träume. Heute, falls ich im Laden noch «sogenannte Boskoop» finde, sind sie unreif und offenbar eine andere Züchtung. Welten schlechter. Weiteres Beispiel: Damals herb-aromatische Regina-Trauben (Bio).Heute Victoria-«Zuckerwasser» kernlos. (Kerne sind gesund.)

  • am 17.04.2023 um 13:01 Uhr
    Permalink

    In diesem Artikel finde ich vieles falsch. Aussagen wie: «Wenn eine Sorte von niemandem angebaut wird, hat dies auch einen Grund» und: (…) die Geschmacksvielfalt in den letzten Jahrzehnten sehr gesunken (…) «weil die Geschmäcker sich über die Jahre ändern», Stichwort: Süss.
    Ich finde, der Massstab müsste sein «Was ist gesund?» und nicht «Was ist für Hersteller und viele Konsumenten am scheinbar bequemsten?» Vergleiche Volksgesundheit und Krankenwesenkostenexplosion. Vergleiche https://www.no-patents-on-seeds.org/de/start-alt
    https://www.publiceye.ch/de/themen/saatgut/keine-patente-auf-saatgut
    War es Ende 70er oder anfang 80er-Jahre, als wir vom Bauern kistenweise grosse reife Boskoop-Äpfel bekamen, von denen ich heute noch träume. Heute, falls ich im Laden noch «sogenannte Boskoop» finde, sind sie unreif und offenbar eine andere Züchtung. Welten schlechter. Weiteres Beispiel: Damals herb-aromatische Regina-Trauben (Bio). Heute Victoria-«Zuckerwasser» kernlos. (Kerne sind gesund.)

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