Tiertransport Kühe

Während der stundenlangen Fahrt von Frankreich nach Italien legten sich diese Kälber hin und kamen in der Enge des Lastwagens nicht wieder hoch. © Animals Angels

Tiertransporte machen fühlende Wesen zu Waren – es ginge anders

Detlef Koch /  Die moralische Trennung zwischen «Haustier» und «Nutztier» ist kein Naturgesetz. Psychologen sprechen vom «Fleisch-Paradox».

Red. Detlef Koch beschreibt das Leiden von Tieren von der wissenschaftlichen Seite her und zeigt, wie es mit einer Ethik der Fürsorge eine Alternative zur Tierverwertung gäbe. Der Autor arbeitet als freier Journalist in Lübeck. Zuvor war er viele Jahre als Projektleiter in der ländlichen Entwicklungszusammenarbeit in Indien tätig, mit Schwerpunkten in Infrastruktur, Bildung und ökologischer Nachhaltigkeit.

«Ein Rind, das still und zitternd mit offenen Wunden auf dem Lastwagen stand, schaute mich direkt an. Es machte keine Fluchtbewegung. Es hatte aufgegeben.» – So schildert ein Tierschutzbeobachter den Moment der Ankunft eines Langstreckentransports in Süditalien. Dieses Bild steht exemplarisch für eine systemische Praxis in Europa. Jährlich werden über 1,6 Milliarden Tiere lebend teils über tausende von Kilometern transportiert – unter Bedingungen, die dem erklärten Ziel des Tierschutzes widersprechen und uns als vermeintliche «Krone der Schöpfung» zu ihrer Geissel machen.

Schmerz, Angst, Erschöpfung – dokumentiertes Tierleid

Wissenschaftliche Analysen der Europäischen Lebensmittelbehörde (Efsa) identifizieren elf zentrale Belastungsfaktoren beim Tiertransport: von Hitze- und Kältestress über Hunger und Durst bis zu sozialem Stress durch Trennung oder Neugruppierung. Hinzu kommen häufige Verletzungen beim Verladen, Rangkämpfe und Todesfälle durch Erschöpfung oder technische Versagen in Ventilation und Versorgung.

Neurophysiologische Grundlagen des Schmerzes lassen keinen Zweifel: Säugetiere wie Rinder, Schweine oder Schafe verfügen über dieselben neurologischen Schmerzbahnen wie Menschen. Ihre Nozizeptoren – spezialisierte Sinneszellen, die Schmerzreize erkennen und in elektrische Signale umwandeln –, limbischen Systeme und sensorischen Kortex-Regionen verarbeiten Schmerzen auf vergleichbare Weise. Verhaltensexperimente zeigen zudem: Nutztiere entwickeln Erwartungsangst, erinnern sich an negative Erfahrungen und zeigen Symptome, die mit menschlicher Angst und Depression vergleichbar sind.

Verdrängung durch kulturelle Konstruktion

Die moralische Trennung zwischen «Haustier» und «Nutztier» ist kein Naturgesetz. Sie beruht auf kulturellen Codes und psychologischen Mechanismen. Während Hunde namentlich bekannt, emotional aufgeladen und sozial eingebettet sind, bleiben Kühe und Schweine anonym – ihr Leiden ist ganz ähnlich den Vorgängen bei Völkermord entpersonalisiert.

Psychologen sprechen hier vom «Meat Paradox»: Menschen erleben kognitive Dissonanz, wenn sie Tiere lieben und gleichzeitig essen. Die Lösung liegt in moralischer Distanzierung – durch Sprachregelungen («Fleisch» statt «Tier»), durch Verleugnung von Leidensfähigkeit oder durch Berufung auf Tradition. Tierethiker wie Peter Singer und Tom Regan sehen darin eine ethische Inkonsistenz, die mit den Grundprinzipien einer an der Leidensfähigkeit orientierten Moral unvereinbar ist.

«Lifetime of Care» – Tierhaltung jenseits der Schlachtung

Eine wachsende Zahl an landwirtschaftlichen Projekten setzt dem System der Verwertung eine Ethik der Fürsorge entgegen. Der promovierte Agrarwissenschaftler Patrick Meyer-Glitza dokumentierte in seiner Dissertation Lebenshöfe in Deutschland, Grossbritannien und Indien, auf denen Rinder ihr Leben lang gepflegt, aber nicht geschlachtet werden.

Diese «Rinderhaltung ohne Schlachtung» basiert auf dem Konzept einer «Lifetime of care»: Kühe, Bullen und Ochsen dürfen alt werden, sterben eines natürlichen Todes oder werden nur im Einzelfall euthanasiert, wenn Leiden nicht mehr anders vermeidbar ist. Es entstehen Biografien statt Bestandsnummern, Beziehungen statt Betriebszahlen.

Die Höfe arbeiten mit solidarischer Finanzierung, setzen auf direkte Vermarktung pflanzlicher Produkte oder tierleidfreier Dungverwertung, und zeigen: Eine ökonomisch tragfähige, ethisch fundierte Landwirtschaft ist möglich – wenn sie auf Fürsorge statt Verwertung beruht.

Vom Recht zur Pflicht: Ethik jenseits ökonomischer Begründung

Die Anerkennung der Leidensfähigkeit als ethisch zentrales Kriterium impliziert einen fundamentalen Perspektivwechsel. Sie verschiebt die Begründungslast: Nicht mehr das Tier muss beweisen, dass es Schmerzen «wie ein Mensch» empfindet – sondern der Mensch muss begründen, warum er dieses Leiden ignorieren darf.

Die Europäische Union hat Tiere als «fühlende Wesen» («sentient beings») anerkannt. Doch diese Einsicht darf nicht folgenlos bleiben. Tiertransporte zu Handelszwecken, bei denen millionenfach Leid billigend in Kauf genommen wird, widersprechen dieser Grundannahme. Die wissenschaftlichen, rechtlichen und moralischen Gründe für eine Umkehr liegen vor. Es fehlt der politische Wille.

Eine neue Ethik des Zusammenlebens

Die Höfe, die Meyer-Glitza untersucht hat, zeigen, wie eine alternative Mensch-Tier-Beziehung aussehen kann: nicht als sentimentales Idyll, sondern als ernsthafte Reform landwirtschaftlicher Praxis. Sie verbinden ökologische Kreisläufe mit biografischer Verantwortung, spirituelle Einsichten mit agrarischer Bodenständigkeit.

In einer Gesellschaft, die Empathie als Wert anerkennt, kann es kein ethisches Sonderrecht zur Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid von Nutztieren geben. Die letzte Fahrt muss nicht immer zum Schlachthof führen. Es gibt Wege, auf denen Tiere leben dürfen – und sterben dürfen, ohne getötet zu werden.



Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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