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Trotz austrocknendem Land rund um Mertola wachsen hier Früchte und Gemüse © B.Mühlethaler

Kluge Landwirtschaft kann die Wüste stoppen

Beatrix Mühlethaler /  Im Südosten Portugals ringen Menschen um fruchtbaren Boden. Es ist ein spannender Versuch, die Wüste zu bremsen.

Weiss leuchten die gekalkten Stämme der kleinen Bäume. Darunter wachsen saftig grün, gut eingebettet in einer Bodenbedeckung aus gehäckselten Zweigen, junge Salate und Kohlgewächse. Der Garten liegt im portugiesischen Alentejo, am Rand des kleinen Städtchens Mértola mit seiner markanten Burg, und er ist erst vor anderthalb Jahren wiederbelebt worden.

Die Mischkultur vor historischer Kulisse wirkt zauberhaft. Aber grössere Beachtung kommt der Idylle vor allem deshalb zu, weil das Umfeld so gegensätzlich ist: eine karge südliche Landschaft, in die fast nur aufgeforstete Pinien Grün und Steppenblumen etwas Farbe bringen.

Im Südosten Portugals droht die Wüste

Im Alentejo wächst wie auch in anderen Gegenden Europas die Gefahr der Wüstenbildung. 14 Millionen Hektaren oder 8 Prozent des EU-Territoriums sind laut einer Erhebung der europäischen Kommission betroffen; dies nicht nur im Süden, sondern auch im Osten und im Norden. In den südlichen Ländern beschleunigen häufige Waldbrände den Prozess. Die Gefahrenkarte für Portugal weist mit roter Farbe etwa einen Drittel des Landes als gefährdet aus, hauptsächlich im Südosten

Aus den Korkeichen- und Steineichenwäldern von Westen her in diese Gegend kommend, ist die Kargheit der Landschaft augenfällig: Über weite Strecken fehlen Bäume. Unendlich dehnen sich neben Feldern mit mickrig wachsendem Getreide magere Weiden und Brachen. Letztere sind oft grossflächig von der Zistrose überwachsen – ein zähes Pioniergewächs.

Zistrosen soweit das Auge reicht: Die Pionierpflanze erobert abgewirtschaftete Böden. Bild: bm.

Die Intensivlandwirtschaft kollabiert

Diese Brachen für die Landwirtschaft wiederzugewinnen ist äusserst aufwändig, erfahren wir von Katharina Serafimova. Die Umwelt-Wissenschafterin und Finanz-Fachfrau ist in Portugal aufgewachsen, hat an der ETH Zürich studiert und u.a. als Referentin über nachhaltige Lebensweise viele Kongresse besucht. Die Kontakte mit engagierten Menschen, die Serafimova dabei knüpfte, haben sie in ein konkretes Projekt zurück in ihr Geburtsland geführt. Der eingangs erwähnte Garten ist ein kleiner Teil dieses Projekts, das eine Landbewirtschaftung anpeilt, die den Boden regeneriert, wobei sie sich an natürlichen Prozessen orientiert.

Die Getreide-Monokulturen und die durch EU-Beiträge geförderte Haltung grosser Rinderherden hätten die Bodenfruchtbarkeit erschöpft, kritisiert Katharina Serafimova. Diese dem Land nicht angemessene Landwirtschaft wäre nur mit Bewässerung weiterführbar. Doch grossräumige Bewässerung ist hier illusorisch. Zwar liegt Mertola an einem Fluss. Der Guadiana, die Hauptwasserader im Südosten, führt aber im Unterlauf nicht genug Wasser, denn dieses wird weiter nördlich in einem grossen Stausee aufgefangen und dort für Bewässerung genutzt.

Allerdings lassen auch grosse Wasserreservoirs die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Alle Stauseen, die wir bei unserer Reise im Frühling 2019 sahen, waren schon vor der sommerlichen Trockenperiode nur halb gefüllt. Die Flüsse führten durchwegs wenig Wasser. «Im letzten Winter hat es kaum geregnet, dabei wäre das die Hauptregenzeit», kommentiert Serafimova. Der Klimawandel ist hier bereits schmerzlich spürbar.

Ein ökologisches, ökonomisches und soziales Netzwerk

Der Jugend bietet das 7000 Personen zählende Mertola mit der fehlgeleiteten Landwirtschaft wenig Zukunftschancen. Um dies zu ändern, haben sich engagierte Menschen aufgemacht, eine Bewirtschaftungsform zu entwickeln, die dem Boden und dem veränderten Klima angepasst ist und von der Bevölkerung mitgetragen wird. Langfristiges Ziel ist es, rund um Mertola 550 Hektaren Boden zu regenerieren und eine regionale Versorgung mit gesunden Lebensmitteln aufzubauen.

Neben der Reaktivierung von Gärten, die ihren Ursprung bereits in der phönizischen Zeit haben, ist ein Pilotprojekt auf drei Hektaren verödetem Kulturland aufgegleist. Hier musste zuerst der Abdeckplastik beseitigt werden, mit dem ein Gemüsebaubetrieb den Boden ruiniert hatte. Da die Quelle versiegt ist, wurden auch die Bewässerungsrohre ausgegraben.

Jetzt geht es darum, ohne künstliche Wasserzufuhr Mischkulturen mit Bäumen und vielen mehrjährigen Pflanzen zu etablieren. Mit Forschergeist soll daraus eine Art Prototyp für einen mediterranen Landschafts-Garten werden. Darauf basierend sind weitere 76 Hektaren Demonstrationsfläche geplant, wo der beste Standard zur Regeneration und Bewirtschaftung vorgeführt wird. Dazu müssen die geeigneten Pflanzen definiert, Saatgut generiert und eine Pflanzschule eingerichtet werden.

Dieser zerstörte Boden ist Teil der Forschungsfläche, die als erstes regeneriert werden soll. Bild: bm.

Trägerschaft für diese immense Aufgabe ist eine Vereinigung, in die neben diversen Bevölkerungsgruppen auch die Behörden eingebunden sind. Katharina Serafimova, die sich nicht als Leiterin des Projekts, sondern als «Hüterin des Prozesses» bezeichnet, knüpft an einem dichten Netzwerk, welches das komplexe Gemeinschaftswerk weiterbringt: Lokale Partner aus Wirtschaft und Politik gehören ebenso dazu wie Fachleute und engagierte Freiwillige aus anderen Ländern, die am gleichen Ziel arbeiten, Erfahrungen einbringen und Unterstützung bieten.

Fruchtbarer Boden dank Bäumen

Das entscheidende Wissen für die Regeneration des Bodens und die landwirtschaftliche Praxis brachte ein Schweizer aus Brasilien nach Mertola: Ernst Götsch, ehemals Agronom am Eidgenössischen Institut für Pflanzenbau in Zürich, hat ein System entwickelt, um ausgelaugte Böden in tropischen Ländern zu regenerieren. Es handelt sich um eine Form der Agro-Forstwirtschaft, die Götsch syntropische Landwirtschaft nennt.

Er will damit ausdrücken, dass das Zusammenwirken der Gewächse eine komplexe Ordnung aufbaut, die natürlichen Prozessen entspricht und den Boden bereichert statt verarmen lässt. Sein Gesellenstück ist die eigene grosse Kakao-Farm in Brasilien. Den zuvor abgeholzten, durch Viehwirtschaft verwüsteten Boden, wo die Quellen versiegt waren, verwandelte er wieder zu einem üppigen Garten Eden.

Am Anfang stand dort das Pflanzen von Bäumen. Den überwiegenden Teil liess Götsch natürlich aufwachsen. Auf einem Teil der Fläche aber nutzte er sie, um fruchtbaren Boden zum Bewirtschaften aufzubauen: Durch Stutzen gewann er einen hohen, lichten Baumhain und Schnittgut zum Abdecken des Bodens. Der dadurch zugeführte natürliche Dünger und Feuchtigkeits-Rückhalt machte den Boden fruchtbar und bot die Grundlage zum Anbau der Cash Crops Bananen und Kakao. Der lichte Schatten der Bäume schützt die Kulturpflanzen zusätzlich vor Austrocknung. Zudem fördern sich die Pflanzen der Mischkultur gegenseitig und bilden ein naturnahes Ökosystem.

Bäume kappen, Zweige häckseln und mit dem Mulch die Böden feucht halten und düngen: Der Garten in Mertola wächst nach dem System von Ernst Götsch. Bild: bm.

Wasser pflanzen statt Pflanzen giessen

Das Entscheidende passierte auf der brasilianischen Finca, als der durch Pflanzungen initiierte neue Wald erstarkt war: Er kühlte die Luft, der Regen nahm örtlich zu, und der Boden konnte Wasser speichern. Die versiegten Quellen begannen wieder zu sprudeln. So reguliert die syntropische Landwirtschaft das Mikroklima und den Wasserkreislauf.

Seither hat Götsch sein Wissen in Brasilien, aber auch in vielen anderen Ländern, wo Brachen und Regenmangel Sorge bereiten, weitergegeben. Bauern eignen sich in Workshops seine Methode an, wobei jeweils die dem Ort angepassten Pflanzen zum Zug kommen. So auch in Mertola. In die Anpassungsstrategie integriert sind als Baumkulturen beispielsweise Stein- und Korkeiche, Pinie, Erdbeer-, Oliven- und Johannisbrotbaum. Im Mittel- und Unterwuchs sind es niedrige Fruchtbäume, Weinreben, Getreide, Gemüse, Heilkräuter und Beeren. Der aus Baumschnitt und gerodeten Zistrosen gewonnene Mulch fängt die Luftfeuchtigkeit ein, hält Feuchtigkeit im Boden zurück und düngt diesen gleichzeitig. Die Hoffnung ist, fast ohne künstliche Bewässerung auszukommen. «Wir pflanzen Wasser statt Pflanzen zu giessen», bringt es Serafimova im neu belebten Garten auf den Punkt.

Katharina Serafimova, «Hüterin des Prozesses», im neu belebten Garten bei Mertola. Bild: hpg.

Das Wissen um die neuen Anbaumethoden wird in Mertola breit gestreut: In den Primarschulen pflegen die Kinder Schulgärten nach syntropischer Lehre, was ihnen bereits einen Nachhaltigkeitspreis beschert hat. Und auch die Studenten der örtlichen landwirtschaftlichen Berufsschule lernen diese regenerative Landbewirtschaftung kennen.

Wer produziert, braucht Absatz

Wie in einer heissen, trockenen Lage Nahrung aus dem Boden gewonnen werden kann, umfasst nur die eine Hälfte des Projekts in Mertola. Neben der Agrikultur geht es auch um Wirtschaft und Gesellschaft. Die Bevölkerung, die bisher vor allem Gemüse und Früchte aus der Intensivproduktion von Spanien zu kaufen kriegt, soll sich auf die eigenen Ressourcen besinnen. Deshalb beinhaltet das Projekt vielseitige Aktivitäten, um die Dorfbevölkerung für das gesunde Essen und die Produkte aus der Region zu begeistern: Märkte, Produktedemonstrationen, Interviews mit älteren Frauen zur Erforschung des kulinarischen Erbes, Feldbegehungen usw. Ziel ist ein Nahrungs-Netzwerk, also eine Gemeinschaft von Produzierenden und Konsumierenden. Bereits begonnen hat die Belieferung von Kantinen in Schulen und im Altersheim.

Dabei werden auch neue Produkte entwickelt, beziehungsweise traditionelle Verarbeitungen wiederbelebt: Mehl aus Eicheln der heimischen Korkeiche beispielsweise kann den Weizen ersetzen, dessen Saat im trockenen Alentejo immer weniger gut aufgeht. Das Pulver aus den Schoten des Johannisbrotbaums lässt sich als Süssungsmittel und als Alternative zu Kakao brauchen. Und aus Heilpflanzen können Essenzen gewonnen werden. Für solche Spezialitäten ist auch ein Absatz über die Region hinaus erwünscht. Einen Draht hat Mertola bereits zum Bachser Märt im Zürcher Unterland, wo es Konfitüre aus Eicheln zu kaufen gibt.

Nicht zu unterschätzen ist der soziale Aspekt des Aufbruchs zu neuen Wegen: In das Projekt involvierte Menschen finden aus ihrer passiven Rolle in einer abgehängten Gegend heraus. Die Dorfgemeinschaft kann als Ganzes gestärkt werden.

Das Vorzeige-Beispiel steht nicht allein

Die rege Beteiligung an internationalen Konferenzen und Workshops zeigt das grosse Interesse an Bewirtschaftungsformen, die sich an natürlichen Prozessen orientieren und dabei gute Erträge generieren. Bekannter als die syntropische Landwirtschaft sind dabei Begriffe wie Permakultur und Agro-Forstwirtschaft. Nicht nur in den von Trockenheit und Bodendegradation betroffenen Gebieten, auch in vielen anderen Gegenden arbeiten Betriebe nach diesen sehr produktiven Methoden. Ihnen gemeinsam ist, dass sie den Boden nicht ausbeuten, bis es nicht mehr geht, sondern eine langfristige Fruchtbarkeit anzielen.

Das verstärkte Engagement für eine zukunftsfähigere Landwirtschaft schlägt sich auch in Zeitschriften nieder. Jüngste Beispiele bieten das «Magazin für die grüne Branche» g’plus, das von Jardin Suisse/Unternehmerverband Gärtner Schweiz herausgegeben wird, und «Ökologo», das Blatt der Kleinbauern-Vereinigung. Unter dem Titel «Mikrofarm löst Makroprobleme» berichtet g’plus von einem Gemüsehof in der Normandie. Das Betriebspaar erzielt mit Permakultur und ohne Maschinen ein viel höheres Einkommen als eine konventionelle Gemüseproduktion. Das Paar ist denn auch als Fortbildner sehr gefragt. «Ökologo» stellt einen der Schweizer Betriebe vor, die sich auf die Agroforstwirtschaft eingelassen haben. Im Prinzip handelt es sich dabei um eine modernisierte Form des traditionellen Obstbaus. In früheren Zeiten war die Kombination von Obstbäumen und Hecken mit Unterkulturen und Viehweide allgemein üblich.

Wie gross der Bedarf ist, solche cleveren Agrarkulturen (wieder) zu verbreiten, zeigte sich auf der Rückreise aus Portugal: Der superschnelle Zug zwischen Madrid und Barcelona rast stundenlang durch eine ausgedörrte Landschaft. Wo es noch grüne Felder gibt, ist offensichtlich Bewässerung im Spiel. Den grossen Rest scheint man aufgegeben zu haben.

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Siehe auch:

  • Die Zukunft gehört den Kleinbauern 1
  • Die Zukunft gehört den Kleinbauern 2
  • Die Zukunft gehört den Kleinbauern 3

    Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

    keine

  • Zum Infosperber-Dossier:

    Kuh

    Landwirtschaft

    Massentierhaltung? Bio? Gentechnisch? Zu teuer? Verarbeitende Industrie? Verbände? Lobbys?

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