Herrhausen_BKA

Nach dem Attentat konnte der Banker nur noch tot geborgen werden. © BKA

Bankchef befürwortete Schuldenschnitte – und wurde ermordet

Ernst Wolff /  Der Mord an Alfred Herrhausen, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank, wurde der RAF zugeschoben, aber nie aufgeklärt.

Im Herbst 1987 unterbrach Alfred Herrhausen die Jahrestagung des IWF in Washington für einen Kurzbesuch beim Präsidenten des hoch verschuldeten Mexikos. Am Tag darauf forderte er auf einer Pressekonferenz zum ersten Mal einen umfassenden Schuldenerlass für die Entwicklungsländer – ein Vorstoss, der weltweit Aufsehen erregte.
Es handelte sich dabei aber keineswegs um die Utopien eines Visionärs, sondern um ein in doppelter Weise kalkuliertes Manöver: Einerseits schwamm Herrhausen auf der populären Welle des damals weltweiten Protestes gegen die Politik von IWF und Weltbank, andererseits brachte er die Deutsche Bank so im internationalen Wettbewerb in eine besonders günstige Lage: Während ein solcher Schuldenschnitt mehrere US-Banken in grosse Schwierigkeiten gebracht hätte, hätte die Deutsche Bank ihn weitgehend problemlos überstanden – weil Herrhausen sie zuvor ganz bewusst gegen einen solchen Schock abgesichert hatte.

Kein Wunder also, dass eine mächtige Front aus Wall Street, IWF und Weltbank Herrhausens Pläne samt und sonders empört zurückwies. Als er dann auch noch so weit ging, seine Ideen den Mitgliedern amerikanischer Banken zu präsentieren, wurde er anschliessend so massiv bedroht, dass er sich gezwungen sah, auf der Weltbankkonferenz 1989 eine schusssichere Weste zu tragen.

Durch Bombenanschlag getötet

Vor dreissig Jahren, am 30. November 1989, wurde Alfred Herrhausen durch einen Bombenanschlag getötet. Auf Grund eines nicht verifizierten Bekennerschreibens und vager Indizien wurde der Anschlag der terroristischen Untergrundorganisation Rote Armee Fraktion (RAF) zugeschrieben. Die Mörder wurden jedoch nie ermittelt und mittlerweile gibt es zahlreiche Hinweise, die an der Täterschaft der RAF zweifeln lassen.

Trotzdem haben die grossen Medien und die Behörden bis heute nicht die Frage gestellt, wer ein Interesse an Herrhausens Tod gehabt haben könnte. Zudem beschreiben sie ihn nach wie vor fälschlicherweise als Kapitalismuskritiker und als Träumer, der für eine Utopie sein Leben riskierte.

Tatsächlich aber war Herrhausen ein von der Marktwirtschaft überzeugter Banker, dessen erklärtes Ziel darin bestand, die Deutsche Bank an die Weltspitze zu führen, und der als einer der ersten Europäer die Chancen erkannte, die der Umbruch im Finanzwesen den Grossbanken in den Siebziger- und Achtzigerjahren eröffnete. Vor allem aber war er ein Mann, der seine Ziele kompromisslos und mit grosser Konsequenz und Härte verfolgte und der kein Problem damit hatte, sich viele Feinde zu machen.
Herrhausen erkannte früh die Chancen der Deregulierung

Nach dem Ende des Nachkriegsbooms, der die Deutsche Bank zum grössten deutschen Finanzinstitut hatte aufsteigen lassen, suchten die Banken wegen des nachlassenden Kreditgeschäftes nach neuen Einnahmequellen und drängten die Politik, das Finanzwesen zu deregulieren und ihnen zu ermöglichen, das eigene Geschäft zu globalisieren.

Bereits im Anfangsstadium dieser Entwicklung nutzte Herrhausen die Möglichkeiten, die sich dadurch vor allem im Bereich des Investmentbankings ergaben, und trieb die Neuausrichtung der Deutschen Bank ab Mitte der Achtzigerjahre energisch voran. Dabei zog er sich wegen seiner rigorosen Personalpolitik den Zorn grosser Teile der traditionell konservativen Führung des Geldhauses zu.

Das jedoch hinderte ihn nicht daran, das Tempo des Umbaus sogar noch zu forcieren. Unter seiner Führung übernahm die Deutsche Bank zwischen 1986 und 1989 diverse Banken und Wertpapier-Broker in Italien, den Niederlanden, Portugal, Spanien, Österreich, Kanada und Australien.

Seine hervorragenden Beziehungen zur Politik

Neben seiner Tätigkeit als Bankchef beriet er auch noch Bundeskanzler Helmut Kohl und war massgeblich an dem 10-Punkte-Programm zur deutschen Wiedervereinigung beteiligt, das Kohl am 28. November 1989 verkündete, und zwar ohne vorherige Absprache mit den Alliierten.

Ausserdem ging die Deutsche Bank dank Herrhausens Beziehungen als einer der ganz grossen Gewinner aus der deutschen Wiedervereinigung hervor. Ihr wurden bei der Abwicklung der DDR-Staatsbank und der Neugründung der Deutschen Kreditbank 49 % ihrer Anteile und 122 Bankfilialen in bester Lage übertragen – ein Macht- und Vermögenszuwachs, der hervorragend in Herrhausens Pläne passte, die Deutsche Bank zu einem „global Player“ und so zum Konkurrenten der Wall-Street-Banken zu machen.

Der ganz grosse Coup

Mit einem derartigen Machtzuwachs ausgestattet, blies Herrhausen 1989 zum ganz grossen Angriff auf die Wall Street und die City of London: Die in den Jahren zuvor sorgfältig vorbereitete Übernahme der britischen Investmentbank Morgan Grenfell für 2,7 Milliarden DM sollte der Deutschen Bank mit einem Paukenschlag den Einstieg ins internationale Derivategeschäft bescheren.

Damit aber warf Herrhausen nicht nur den weltweit grössten Bankhäusern den Fehdehandschuh hin, sondern auch den eigenen Kollegen: Als er sie am 28. November 1989 bei einer Vorstandssitzung in München aufforderte, den Chef von Morgan Grenfell in den Vorstand der Deutschen Bank aufzunehmen, kam es zu einem Aufstand, den sein Nachfolger Hilmar Kopper als „Palastrevolution“ beschrieb.

Den letzten Höhepunkt in der Auseinandersetzung mit seinen Gegnern setzte Herrhausen schliesslich in einem Interview mit dem ‚Wallstreet Journal’, in dem er erklärte, dass er Polen mit Hilfe einer eigenen Bank und unter Umgehung der „strukturellen Anpassungen“ von IWF und Weltbank wirtschaftlich voranbringen wolle – ein weiterer Affront gegen beide Organisationen, den sich bis dahin kein führender Banker geleistet hatte.

Verstummte Kritik und Fragen, die bleiben
Ein nüchterner Blick auf Herrhausens Karriere zeigt, dass er nicht nur einer der Ersten war, der die Chancen für das Finanzgewerbe im Investmentbanking erkannte und zum Vorteil der Deutschen Bank nutzte, sondern dass er zur Erreichung seiner Ziele auch mit eiserner Härte und letzter Konsequenz vorging und nie davor zurückscheute, sich Feinde zu machen.

Heute, dreissig Jahre später, muss man sich daher fragen, warum die Ermittlungen sich so lange fast ausschliesslich um eine Terrororganisation drehten, die sich damals im Zustand der fortgeschrittenen Auflösung befand und an deren Täterschaft immer grössere Zweifel aufkamen. Warum haben die zuständigen Behörden im Zusammenhang mit dem Attentat niemals die alles entscheidende Frage „Wer hätte ein Motiv gehabt?“ gestellt?

Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass Herrhausens Nachfolger Hilmar Kopper die Idee eines Schuldenschnittes für die Dritte Welt sofort fallen liess und dass kein Deutsche-Bank-Chef nach Herrhausen je wieder öffentliche Kritik am IWF oder an der Weltbank geäussert hat.

Es ist gut möglich, dass wir nie erfahren werden, wer hinter dem Anschlag vom 30. November 1989 steckte. Je mehr Fakten man jedoch über seine Vorgeschichte aneinanderreiht und miteinander verknüpft, umso weniger wahrscheinlich erscheint die Version vom RAF-Attentat, die heute noch von den deutschen Behörden und der Mehrheit der grossen Medien verbreitet wird.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Ernst Wolff ist freier Journalist. Von ihm erschienen sind die Bücher
«Finanz Tsunami – Wie das globale Finanzsystem uns alle bedroht», edition e. wolff, 27.90 CHF,
und «Weltmacht IWF – Chronik eines Raubzugs», Tectum-Verlag, 26.90 CHF.

Zum Infosperber-Dossier:

Banken

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7 Meinungen

  • Portrait_Christoph_Pfluger_18
    am 1.12.2019 um 13:03 Uhr
    Permalink

    Die Spitzenbanker von heute wissen sehr genau, warum Alfred Herrhausen ermordet wurde und werden deshalb (gegen besseres Wissen) einen Schuldenerlass ablehnen. Den Beweis lieferte ausgerechnet Herrhausens Nachnachfolger an der Spitze der deutschen Bank, Josef Ackermann.
    In einer Talksendung vom Mai 2010 fragte ihn Maybritt Illner, ob er als Chef des int. Bankenverbandes nicht einfach die Forderung hätte stellen können, die Griechenlandkrise mit einem Schuldenerlass zu lösen. Ackermann kurz und trocken: «Ich glaube, es wäre mir ergangen wie Alfred Herrhausen.»
    Nachschauen kann man dieses bemerkenswerte Zeitdokument von 13 Sekunden hier: https://www.youtube.com/watch?v=mn6HRKvqiNk

  • am 1.12.2019 um 15:46 Uhr
    Permalink

    @ Guten Tag meine Damen und Herren ( Redaktion Sperber )
    Die Causa Alfred Herrenhausen wurde garantiert nicht von der RAF durchgeführt. Es lohnt sich bei diesen Fall mal, sein Privatleben zu beachten. Er war befreundet mit einer Dame, welche nicht zum Kapital gehörte. Dieser Mord wurde generalstabsmässig ausgeführt. Von wem??
    Ihrem Artikel stimme ich zu. Gute Recherche. Freundlicher Gruß
    Werner Kämtner

  • am 1.12.2019 um 20:40 Uhr
    Permalink

    Das ist mir zu konspirativ. Kenne die Geschichte seit meinen jungen Jahren. Gefällt mir nicht, diese suggestive Art und Weise nun auf Infosperber zu lesen.

  • am 2.12.2019 um 12:30 Uhr
    Permalink

    Warum denn die Dinge nicht von einer Frage her aufrollen? Was dreissig Jahre später ans Licht kommen will, kratzt kaum eine.n mehr. Interessant scheint mir der Beitrag dennoch, da er nicht nur den historischen Blick schärft. Er gefällt mir nicht, aber er hält mich wach wie der Zweifel. Dann werden «wir"(?) nicht morgen fragen müssen, ob es heute nicht ganz anders gewesen ist.

  • am 2.12.2019 um 20:20 Uhr
    Permalink

    Lieber Herr Kämtner, soeben haben Sie mich verärgert. Weil Sie offenbar von irgendwoher noch weitere interessante Fakten zu dieser Geschichte haben, die Sie aber nicht klar äussern. Sie schwadronieren von einer «Dame, die nicht zum Kapital gehörte». Haben Sie Angst vor einem Attentat? Oder möchten Sie «Uneingeweihten» imponieren? Was ist Ihre Motivation nicht klar auszudrücken, was Sie wissen? Ich habe keine Zeit zum Recherchieren und fühle mich hintergangen im Sinne von reisserischen Versprechen in Schlagzeilen, die nachfolgend nicht beantwortet werden.
    Mit besten Grüssen
    Oliver Lüthi

  • am 3.12.2019 um 15:33 Uhr
    Permalink

    @ Guten Tag Herr Oliver Lüthi,
    es tut mir leid wenn ich Sie verärgert habe, es ist nicht meine Absicht gewesen. Man möchte die Sache vereinfachen mit RAF, passt auch besser ins Bild der damaligen Zeit. Gruß Werner Kämtner

  • am 8.12.2019 um 21:15 Uhr
    Permalink

    siehe
    "Ungereimtheiten
    Der Journalist Christoph Gunkel weist auf aus seiner Sicht ungewöhnliche Umstände hin: Die als Baustelle getarnten Arbeiten, bei denen man die Kabel für die Lichtschranke verlegte (sie waren allerdings von kurzer Dauer; nach Angaben von Augenzeugen wurde nach ihrer Beendigung das Baustellenschild vergessen und stand wochenlang am Rand der Fahrbahn), der große materielle und technische Aufwand sowie der Einsatz einer Bombe militärischer Bauart mit dem Sprengstoff TNT entsprachen nicht der bisherigen Vorgehensweise der RAF.[22] Überdies waren die auffälligen Vorbereitungen zu dem präzise geplanten Anschlag weder der Polizei noch dem Bundeskriminalamt verdächtig vorgekommen, obwohl Herrhausen zum Kreis der am stärksten gefährdeten Personen in der Bundesrepublik gehörte und die Umgebung seines Hauses ständig überwacht wurde. Das normalerweise eingesetzte, vorausfahrende zweite Begleitfahrzeug wurde laut dem damaligen Verfassungsschutzpräsidenten Richard Meier kurz vor dem Attentat abgezogen. Ebenso war die Neigung der Türverkleidung zur Splitterbildung dem Hersteller bekannt, und es wurden damit ausgestattete Fahrzeuge bereits für eine Umrüstung zurückgerufen, bis auf das eine, in dem Herrhausen saß."

    https://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Herrhausen

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