Glücksspiele

Online-Glücksspiel treibt viele Menschen in den Ruin © unsplash.com SLNC

Glücksspielkonzerne missbrauchen das Urheberrecht für Zensur 

Ingo Dachwitz und Maxence Peigné /  Es reichten das Wort «Urheberrecht» und ein Fake-Post und schon schmeisst Google Inhalte automatisch aus der Suche.

upg. Dieser Beitrag erschien auf netzpolitik.org (Creative Commons-Lizenz BY-NC-SA 4.0). Das Non-Profit-Medium wird hauptsächlich durch Leserspenden finanziert.


Auf eine kritische Berichterstattung über ein Online-Glücksspielunternehmen folgten fingierte Urheberrechtsbeschwerden. Obwohl sie leicht als Fakes erkennbar waren, hatte Google die Inhalte zunächst aus seiner Suche geschmissen. 

Das demonstriert die Probleme bei automatisierter Urheberrechtsdurchsetzung.

Unbekannte nutzen Googles Beschwerdesystem für Urheberrechtsverletzungen, um im Internet gegen kritische Berichterstattung über das Glücksspielunternehmen Soft2Bet vorzugehen. Wie Investigate Europe am 5. Juni berichtete, habe es mehr als 50 fingierte Urheberrechtsbeschwerden gegeben, die dazu führten, dass Artikel mehrerer europäischer Medien nicht mehr über die Web-Suche des Marktführers auffindbar waren.

Die Vorgehensweise ist so simpel wie effektiv. In der Mehrheit der Fälle haben Unbekannte sich gegenüber Google schlicht als Investigate Europe ausgegeben und vorgegeben, dass die bei Partnermedien erschienen Artikel oder auch nur Zitate Verletzungen des Urheberrechts am Originaltext seien.

In anderen Fällen kopierten Unbekannte die Berichte einzelner Medien über Soft2Bet und posteten sie selbst als Tumblr-Beiträge. Dann setzten sie das Datum der Posts auf dem Microblogging-Dienst zurück und reichten Beschwerden bei Google ein. Dabei behaupteten sie, die Tumblr-Beiträge seien der Originalinhalt. Sobald die echten Artikel aus dem Such-Index entfernt wurden, löschten sie die Tumblr-Seiten wieder.

Während die auf der Website von Investigate Europe veröffentlichte Version der Recherche nie aus dem Index genommen wurde, verschwanden die Beiträge von Partnermedien wie Amphora Media aus Malta, FrontStory aus Polen, Reporters United aus Griechenland und Delfi aus Estland aus den Google-Suchergebnissen.

Rückdatierung als «bekannte Taktik»

Die anonymen Takedown-Requests sind in der Lumen-Datenbank dokumentiert. Die Anfragen wurden nach dem US-Urheberrechtsgesetz Digital Millennium Copyright Act gestellt. Ein Blick auf die Mitteilungen an die betroffenen Medien zeigt, dass viele der Beschwerden leicht als unauthentisch erkennbar gewesen wären. Dass Google sie trotzdem durchgewunken hat, legt den Verdacht nahe, dass der Prozess grossteils automatisiert abläuft und der Konzern keine wirksame menschliche Prüfung vornimmt.

«Wir bekämpfen aktiv betrügerische Löschungsversuche, indem wir eine Kombination aus automatisierter und manueller Überprüfung einsetzen, um Anzeichen für Missbrauch zu erkennen, darunter auch uns bekannte Taktiken wie die Rückdatierung», teilt Google auf Anfrage von netzpolitik.org mit. «Wir sorgen für umfassende Transparenz und melden Löschungen an Lumen, um die Antragsteller zur Verantwortung ziehen zu können.»

Wie es in dem konkreten Fall zur massenhaften Sperrung legitimer Inhalte kommen konnte, erklärt Google nicht. Der Konzern weist jedoch darauf hin, dass Websites Gegendarstellungen einreichen, wenn sie der Meinung seien, dass Inhalte fälschlicherweise entfernt wurden. Die Artikel der betroffenen Medien sind inzwischen wieder über die Google-Suche auffindbar. 

Die Recherche über Soft2Bet

Im Kreuzfeuer der gefakten Urheberrechtsbeschwerden steht eine gemeinsame Recherche von Investigate Europe mit mehreren europäischen Medien zum Online-Glücksspielunternehmen Soft2Bet und seinem Inhaber Uri Poliavich. Das Unternehmen mit Sitz auf Malta und Zypern ist in der Branche eine feste Grösse und gewann mehrere Preise der Glücksspielindustrie. Ein neues Büro von Soft2Bet wurde 2024 vom maltesischen Wirtschaftsminister eröffnet. 

Derweil werden immer wieder Vorwürfe laut, dass Soft2Bet Spielerinnen und Spieler durch unfaire Methoden in den Ruin treibe und zahlreiche Spielplattformen ohne die benötigte Genehmigung betreibe. Im März deckte Investigate Europe auf, dass Inhaber Poliavich und Geschäftspartner mindestens 114 Online-Casinos gründeten, die in verschiedenen europäischen Ländern wegen Betriebs ohne Lizenzen auf die schwarze Liste gesetzt wurden. 

Die Beteiligung von Soft2Bet wurde hinter Offshore-Briefkastenfirmen verschleiert, von denen einige nach Klagen von ausgenommenen Spielerinnen und Spielern Insolvenz anmelden mussten. Die Personen aus Deutschland und Österreich hatten mehrere hunderttausend Euro auf den Plattformen verloren und diese wegen fehlender Lizenzen erfolgreich verklagt. Nach Recherchen von Investigate Europe ist die Bundesrepublik einer der wichtigsten Märkte für Soft2Bet.

In Estland war die reichweitenstarke Nachrichten-Website Delfi Partner der Investigate-Europe-Recherche. Sechs Tage vor der Urheberrechtsbeschwerde über Delfis Artikel schaltete jemand Marketinginhalte auf der Seite, um für Soft2Bet zu werben. Das führt dazu, dass man bei einer Google-Suche nach Delfis Berichterstattung über das Unternehmen weiterhin positive Inhalte statt der kritischen Recherche findet.

Wir haben Soft2Bet gefragt, ob es in irgendeiner Verbindung zu den Urheberrechtsbeschwerden steht. Das Unternehmen hat uns nicht geantwortet.

Zensur dank Urheberrecht

Die Instrumentalisierung des Urheberrechts gegen unliebsame Inhalte – sogenanntes Zensurheberrecht – ist kein neues Phänomen. Bereits 2020 deckte netzpolitik.org auf, wie eine deutsche Firma mit Verbindungen zur albanischen Regierungspartei unter Verweis auf das Urheberrecht in dem südosteuropäischen Land regierungskritische Videos löschen liess. 2023 berichtete OCCRP über gefälschte Urheberrechtsbeschwerden, die gegen Berichterstattung über einflussreiche Personen in Äquatorialguinea und Kamerun gerichtet waren.

«Diese Art von Missbrauch ist keine Seltenheit», sagt Aljosa Ajanovic von der europäischen Digital-Rights-Organisation EDRi. «Das entwickelt sich zu einer gängigen Taktik gegen Journalismus, der sich mit unregulierten Branchen, Betrug oder organisierter Kriminalität befasst.» Grosse Technologieplattformen hätten durch ihre Untätigkeit und Intransparenz dazu beigetragen, dass dies möglich ist.

Google zufolge kommen die meisten Takedown-Anfragen von tatsächlichen Reporterinnen und Reportern, die bereits mehrere berechtigte Beschwerden eingereicht hätten. Man bemühe sich bei dem System um eine Balance zwischen einfacher Nutzbarkeit für Rechteinhaberinnen und -inhaber sowie der Bekämpfung von Betrug. 

Doch auch der EU-Abgeordnete Tiemo Wölken äussert sich kritisch zu dem Fall. «Böswillige Akteure nutzen Urheberrechtsschutzsysteme, um die Presse online zu zensieren. Das ist wirklich besorgniserregend», sagt der SPD-Politiker. Plattformen sollten sich bei der Bewertung von Urheberrechtsansprüchen nicht so stark auf KI und automatisierte Filter verlassen. «Diese Systeme sind eindeutig nicht für diese Aufgabe geeignet. Sie machen Fehler und darunter leidet die Meinungs- und Pressefreiheit.»

Soft2Bet unterdessen hat einen Weg gefunden, für bessere Presse zu sorgen. So kaufte das Glücksspielunternehmen kurz nach der kritischen Berichterstattung mehrere Publireportagen bei grossen Medien wie Reuters und CBS News, in denen es unter anderem um die Wohltätigkeitsaktivitäten von Gründer Uri Poliavich geht.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der Journalist Maxence Peigné ist Autor der Investigate-Europe-Recherche, die das Ziel der Urheberrechtsattacken wurde. Ingo Dachwitz ist Journalist und Kommunikationswissenschaftler. Seit 2016 ist er Redakteur bei netzpolitik.org.
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Eine Meinung zu

  • am 14.06.2025 um 11:23 Uhr
    Permalink

    Bitte meldet Google solche Beobachtungen, damit sie solche Probleme beheben kann.
    – Solche Rückmeldungen sind wichtig. Aber Google kann beim Programmieren beim besten Willen nicht alle Missbrauchs-Möglichkeiten im Voraus erkennen. Erst die Praxis deckt sie auf.
    – Wer je solche Programmierungs-Aufgaben gelöst hat, weiss von diesen Problemen + ist dankbar für solche Rückmeldungen.

    Und noch etwas: Dieser Artikel soll aus einer natürlichen Schwäche der Programmierung einen Skandal machen. Nur: Dahinter steckt keine böse Absicht, sondern im schlimmsten Fall eine Programmier-Unerfahrenheit. Danke.

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