Freiland-Kühe KAG

Kühe auf Weideland mit Hörnern © KAGfreiland

Fleisch geniessen – aber möglichst von Bio-Haltung auf Weiden

Florianne Koechlin /  Auf Weiden braucht es Nutztiere. Eine Ergänzung zum Artikel «Tiertransporte machen fühlende Wesen zu Waren – es ginge anders».

Red. Die Biologin Florianne Koechlin ist Autorin mehrerer Bücher. Sie befasst sich mit neuen Erkenntnissen zu Pflanzen und anderen Lebewesen und mit zukunftsfähigen Konzepten in der Landwirtschaft.


Wir alle wissen: Die Massentierhaltung ist schlecht für das Tier, schlecht für die Umwelt und schlecht für das Klima. Wir essen zu viel Fleisch. Doch vergessen wir nicht: Weidetiere, sinnvoll gehalten, sind für unsere Lebensmittelsicherheit, die Fruchtbarkeit der Böden und die Artenvielfalt von existentieller Bedeutung: 

Grasland kann man nicht pflügen

Wir Menschen können kein Gras essen, wir können es nicht verdauen. Doch rund zwei Drittel der schweizerischen – und der weltweiten- Landwirtschaftsfläche sind permanentes Grasland, das man nicht pflügen kann, weil es zu steil oder klimatisch nicht geeignet ist. Zwei Drittel! Niemand ausser Kühen, Schafen oder Ziegen kann Gras in wertvolle Proteine, also in Milch, Käse oder Fleisch, umwandeln. Wir brauchen die Wiederkäuer, um Gras effizient zu verwerten. 

Nutztiere bilden Humus

Die weltweit fruchtbarsten Böden, so etwa die Schwarzen Erden in der Ukraine, sind tiergemacht: Es sind ehemalige Steppenböden, die über Jahrtausende von grossen Tierherden beweidet wurden. Erst die Tiere bildeten die Grundlage für den Aufbau humusreicher Böden. Das Gras benötigt das Gefressenwerden durch Weidetiere wie auch ihren Kot und ihren Tritt. Ihr Kot ist fasrig, speichert Wasser und bietet mit seiner grossen Oberfläche Milliarden von Kleinstlebewesen einen Lebensraum – so kann sich fruchtbarer Humus bilden. 

Kunstdünger hingegen versickert sofort im Boden und trägt zur Bodenerosion bei. 

In den letzten Jahrzehnten ging weltweit ein Drittel aller fruchtbaren Böden durch Erosion und Auswaschung verloren, all zwei Sekunden kommt die Grösse eines Fussballfeldes dazu. Doch Boden ist das Kapital der Menschheit. Weidetiere haben wesentlich zu seiner Bildung beigetragen und tun das heute noch.

Eine Kuh rülpst also nicht nur klimaschädliches Methangas, sondern sie hilft auch, mit der Bildung von Humus viel CO2 im Boden zu speichern. Das hilft dem Klima.  

Gegen die Vergandung in den Alpen

In den Alpen, wo Weidetiere seit Jahrhunderten grasen, gedeiht eine üppige Vielfalt an Alpenkräutern und Blumen. Dort, wo die Alpweiden nicht mehr von Weidetieren bestossen werden, vergandet das Land sehr schnell. Büsche, allen voran Grünerlen, breiten sich aus. Die Artenvielfalt nimmt dramatisch ab und die Böden versauern. 

An steilen Hängen steigt die Lawinengefahr, weil die biegsamen Grünerlen wie eine Rutschbahn wirken. Das ist beispielsweise im Urner Hospental zu beobachten[1]: Dort sind ganze Hänge von Grünerlengestrüpp überwuchert. 

Engadinerschafe
Engadinerschafe eignen sich besonders, um das Wuchern von Erlen zu verhindern.

Die Forscherin Erika Hiltbrunner von der Universität Basel untersucht, ob Engadinerschafe diese Dickichte wieder freimachen können. Es funktioniert: die Schafe lieben vor allem die Rinde dieser Erlen, schälen sie ab, die Erlen gehen ein. Auf von Schafen gerodeten Flächen blüht wieder eine üppige Vielfalt an Alpenkräutern. 

Wir brauchen Weidetiere, um 

  • Gras in wertvolle Lebensmittel zu verwandeln, 
  • Humus und fruchtbaren Boden aufzubauen,
  • um die Landschaft, allem voran unsere Alpen, offen und divers zu halten. 

Die Alternative zu einer Landwirtschaft ohne Nutztiere ist keineswegs die heutige Massentierhaltung mit all dem Tierleid. Sondern eine Landwirtschaft, die Tiere miteinbezieht und ihnen ein gutes Leben ermöglicht. Eine Landwirtschaft, in der Weidetiere hauptsächlich mit Gras und Heu ernährt werden. So ergeben sie einen perfekten Kreislauf: Sie fressen Gras und Heu – wir selber können das nicht. Sie machen daraus Milch und Fleisch und düngen mit ihrem Dung die Weide, die sie im nächsten Jahr ernährt. 

Detlef Koch und seinem Artikel «Tiertransporte machen fühlende Wesen zu Waren – es ginge anders» (Infosperber18.6.2025) hat recht, was die unsägliche Tierquälerei der industriellen Tierhaltung betrifft. Als Ausweg zur Massentierhaltung beschreibt er Lebenshöfe, auf denen Tiere gepflegt werden, bis sie eines natürlichen Todes sterben, eine «lifetime of care». Das ist schön und begrüssenswert.

Doch dies ist nicht wirklich eine gangbare Alternative. Es wäre der Todesstoss für die Viehwirtschaft. Das kann sich kaum ein Bauer, eine Bäuerin leisten. Auch müssten die meisten Tiere auf einem Lebenshof wohl kastriert werden, um die Anzahl zu begrenzen. 

Ein herzerwärmender Anblick

Die Baselbieter Agrarwissenschaftlerin Anet Spengler Neff hält eine Herde Engadinerschafe. Jeden Frühling tollen auf der Weide ein Dutzend übermütige Lämmer herum und die Mütter passen auf sie auf, blöken laut, lassen die Kleinen saugen – ein herzerwärmender Anblick. Jedes hat einen Namen und jedes wurde mit Fürsorge aufgezogen, so wie das auf vielen andern Betrieben auch gemacht wird. 

Doch jedes Jahr muss sie ein paar junge Böcklein schlachten. Ab einem Alter von rund fünf Monaten fangen die Böcke an, sich gegenseitig zu plagen. Sie würden sich gegenseitig umbringen, wenn dann die Tierhalterin nicht eingreifen würde. Sie müsse dazu schauen, sagt sie, dass die Herde als Ganzes in der Balance sei, zur Herde als Ganzes Sorge tragen, damit jedes Tier ein gutes Leben führen kann. Und zu einem guten Leben gehören Paarung, Junge aufziehen, Rangordnungen aushandeln, Freundinnen haben…

Die Kunst der Zukunft wird es sein, den Tieren ein intensives und artgerechtes Leben zu ermöglichen, in Kreisläufen oder Netzwerken zu denken und Tiere in diese unsere vielfältigsten Beziehungsnetze zu integrieren. 

Konkret bedeutet dies, nur wenig Fleisch zu essen, und wenn, dann nur Bio. Denn die Richtlinien von Bio Suisse kommen dem Ideal einer «Ethik der Fürsorge» (Detlef Koch) ein gutes Stück entgegen. So darf eine Biokuh immer weiden – vorgeschrieben sind mindestens 26 Tage pro Monat in der Vegetationszeit. Ihre Hauptnahrung ist also lokal gewachsenes Gras und Heu – der Kraftfutteranteil darf höchstens fünf Prozent betragen. 

Da werden keine grossen Mais- und Sojafelder angebaut, die im Trog statt auf dem Teller landen. Und Kraftfutter aus Argentinien oder Brasilien zu importieren, ist unter Biorichtlinien sowieso verboten. Auch erhält eine Biokuh mehr Stallplatz. 

Ein grosser Makel bleibt bestehen: das Schlachten. Es gibt keine besonderen Bio-Vorschriften für stressfreies Schlachten. Doch immerhin ist es in der Schweiz seit kurzem erlaubt, Tiere auf dem Hof – unter strengen Bedingungen – zu schlachten. So wie das Anet Spengler Neff mit ihren Schafen tut. Es bleibt noch viel zu tun. 


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[1] Koechlin F., 2021, ‘Wie Engadinerschafe die Biodiversität zurückbringen’, S. 83, in ‘Von Böden die klingen und Pflanzen die tanzen’, Lenos Verlag, 25 CHF / 22 Euro.  


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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