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Vieles, was die Modeindustrie als nachhaltig labelt, ist es nicht. © Karina Tess / Unsplash

Nachhaltigkeit in der Mode: Mehr Schein als Sein

Daniela Gschweng /  Nachhaltigkeits-Labels für Textilien versprechen oft mehr, als sie halten. Eine Zumutung für Konsumenten.

Wie stehts mit der Nachhaltigkeit in der Textilindustrie? Schlecht, schreibt der «Guardian». Ein Labeling-Tool namens Higg MSI pausiert nach Greenwashing-Vorwürfen und die Fashion-Industrie lehnt es inzwischen grösstenteils ab. Der Label-Wirrwarr wird vielleicht kleiner, während die Branche auf Gesetze wartet. Den Konsumentinnen und Konsumenten hilft das nicht viel.

Im Juni wurde der Higg MSI oder Higg Materials Sustainability Index, der Umweltauswirkungen der Bekleidungsbranche messen sollte, quasi begraben. Die norwegische Konsumentenschutzbehörde warnte davor, dass der Index nicht genutzt werden könne, um Nachhaltigkeitsbehauptungen zu stützen. Sie setzte seine Verwendung aus. Der Higg Index wird unter anderem dafür kritisiert, dass er Fast Fashion oft nicht erfasst.

Die Bewertung betraf H&M. Einige grosse Bekleidungsunternehmen wie Adidas und Kering waren da schon ausgestiegen, weil sie die Genauigkeit der Daten anzweifelten. Das französische Unternehmen Kering besitzt unter anderem die Marken Balenciaga, Gucci und Yves Saint Laurent.

Freiwillige Nachhaltigkeits-Labels verschlimmern die Sache oft nur, fand schon ein Bericht der niederländischen Changing Markets Foundation (CMF) im März. Oft seien solche Eigen-Labels eine «Lizenz fürs Greenwashing».

Nur wenige haben die Chance, ihre Emissionen zu senken

Für die Zertifizierungsorganisation Sustainable Apparel Coalition (SAC) ist das ein Rückschlag. Am Aufbau des Nachhaltigkeitsindex hat die Herstellerorganisation bisher zehn Jahre gearbeitet. Der SAC gehören rund 250 Hersteller an, darunter Marken wie Nike, Primark, Walmart und Boohoo. Amazon und Tommy Hilfiger sind ebenfalls Mitglied.

Insgesamt verursacht die Bekleidungsindustrie zwei bis acht Prozent der globalen Treibhausgasemissionen. Laut dem «World Resources Institute» haben bisher mehr als 100 Bekleidungs- und Schuhhersteller wissenschaftlich basierte Klimaziele festgelegt. Um das 1,5-Grad-Ziel zu halten, müssten ihre Emissionen um 45 Prozent sinken. Die Branche werde 2030 aber schätzungsweise 60 Prozent mehr Klimagase produzieren als 2019.

Sollte sich der Trend aus den Jahren 2020 und 2021 fortsetzen, sehe es düster aus, sagt auch die Organisation stand.earth, die die Klimabilanzen von zehn Herstellern untersucht hat. Neun davon sind Mitglieder der Sustainable Apparel Coalition. Lediglich Lewis und VF (The North Face) haben demnach die Chance, ihre Emissionen bis 2030 zu senken.

Behörden gehen weltweit gegen Greenwashing vor

Glaubt man allerdings den Herstellerangaben, ist bald jede Socke nachhaltig produziert und trägt zum Wohl des Planeten bei. Greenwashing sei in der Modeindustrie «schon seit langem weit verbreitet», zitiert der «Guardian» die Direktorin des New Standard Institute, Maxine Bédat. Kleider und Schuhe als umweltfreundlich zu vermarkten, verspricht nicht zuletzt gute Profite.

Behörden weltweit sind in den letzten Jahren gegen falsche Nachhaltigkeits-Claims der Bekleidungsindustrie vorgegangen oder kündigten dies an. Unter anderem gab die britische Behörde CMA 2020 eine Art letzte Warnung aus (Infosperber berichtete), die EU hat für Ende November neue Regeln zu Carbon Offsets und CO2-Zertifikaten angekündigt.

Nachhaltigkeit beweisen scheitert an den Lieferketten

Sehr viel schwieriger, als ein Label zu verwenden, ist es in der Realität, Nachhaltigkeit auch zu beweisen. Nur mit neuen Methoden und besseren Daten werde man in der Lage sein, Werbeversprechen auch tatsächlich zu überprüfen, sagt Bédat.

Tonje Drevland, Leiterin der Aufsichtsabteilung der norwegischen Konsumentenschutzbehörde, sieht das ähnlich: «Falsche Daten sind schlimmer als keine Daten», sagt sie. Jeremy Lardeau, Vizepräsident des Higg-Index, hält es für praktisch kaum machbar, für jedes Produkt einen Klima-Fussabdruck zu berechnen. Die Lieferketten seien zu komplex, Daten oft nicht verfügbar.

«Es ist kein Menschenrecht, etwas als nachhaltig zu bezeichnen.»

Tonje Drevland, Konsumentenschutzbeauftragte Norwegens

Damit werde sich die Fashion-Industrie wohl abfinden müssen, wenn sie ihre Lieferketten nicht drastisch umstelle. «Es ist kein Menschenrecht, etwas als nachhaltig zu bezeichnen», sagt die Konsumentenschützerin Drevland.  

Wirklich vertrauenswürdige Bekleidungs-Labels gebe es nicht, sagt auch die Schweizer Organisation Public Eye, die 2017 einen Label-Guide herausgegeben hat. Der Markt sei zu undurchsichtig. Etwas positiver sah es «Watson», das 2018 eine Aufstellung nachhaltiger Marken publiziert hat, grösstenteils kleine Anbieter aus der Schweiz.

Die Branche wartet auf die Gesetzgeber

Ausser Bédat glauben auch noch andere an den eben stillgelegten Higg Index. Die SAC hat die Unternehmensberatung KPMG gebeten, ein Assessment des Index durchzuführen. Ein guter Teil der Branche wartet derzeit auf die Beschlüsse der EU.

Für die Konsument:innen wäre mehr Transparenz auch wünschenswerter, schätzt die Chefredaktorin des Magazins «EcoCult», Alden Wicker. «Ich möchte lieber wissen, in welcher Fabrik ein T-Shirt hergestellt wurde, ob das T-Shirt mit Solarenergie hergestellt wurde und ob die Baumwolle von einer Kooperative stammt, die wenige Pestizide und erdölbasierte Düngemittel verwendet», verdeutlicht sie.

«Nachhaltigkeit sollte eine Selbstverständlichkeit sein»

Derweil breitet sich in der Industrie genau das Gegenteil aus. Unternehmen entscheiden sich vermehrt dazu, einfach zu schweigen. Aus Furcht, mit Nachhaltigkeitsangaben gegen Gesetze zu verstossen, machen sie gar keine Angaben mehr. «Greenhushing» nennt sich diese Praxis.

Ob das aus Konsumentensicht besser ist oder schlechter, ist nicht klar. Gar keine Information zu erfassen und anzugeben, ist ein eher zweifelhaftes Ziel. Der gegenwärtige Zustand allerdings sei eine Zumutung, findet Wicker. Um herauszufinden, wie ethisch oder umweltfreundlich ein Kleidungsstück sei, brauche es geradezu detektivische Fähigkeiten.

Sie selbst, sagt sie, würde sich wünschen, dass man gar nicht zur Abholzung der Wälder oder zur Wasserverschmutzung beiträgt, wenn man ein T-Shirt kauft: «Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein.»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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Eine Meinung zu

  • am 12.12.2022 um 10:34 Uhr
    Permalink

    Die zwanghafte Fixierung auf CO2-Ausstoß und das undefinierte Wörtchen «nachhaltig» verstellen m.A. etwas die Sicht auf entscheidendere Dinge: Umweltverschmutzung durch Anbau bzw. Herstellung der Fasern, im Färbeprozess und Nachbehandlung, Ressourcenverbrauch (Boden, Wasser usw) in Abhängigkeit vom Herstellungsort, Tierschutz, Arbeitsbedingungen und Löhne. Die Textilindustrie hat wie kaum ein anderer Industriezweig gnadenlos und profitorientiert aus- und umgelagert. Früher wurden die meisten Heim- und Bekleidungstextilien in den Industrieländern selber hergestellt, oft mit höherer Qualität als heute im Angebot. Vielleicht sollte wieder in den Aufbau einer heimischen Textilindustrie investiert werden; vielleicht sind Lieferketten so besser zu kontrollieren. Von den «nachhaltigen» Arbeitsplätzen, die vor Ort Wert schöpfen, ganz zu schweigen.

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