Eingang-JRC-Bruessel

Der Eingang zum pro-atomaren Joint Research Center (JRC) der EU in Brüssel © Google Earth

Die EU-Kommission macht den Atom-Bock zum Umwelt-Gärtner

Kurt Marti /  Hinter den Kulissen der EU in Brüssel tobt ein Kampf um die Zukunft der Atomkraft. Auch die atomfreundliche Schweiz mischt mit.

Die Atomenergie in Europa ist in der Defensive, doch das europäische Netzwerk der Atomlobby funktioniert bestens. Das zeigt die aktuelle Diskussion zum europäischen Grünen Deal, insbesondere die Frage, ob die Atomkraft eine nachhaltige Energie ist und folglich wie beispielsweise die Solarenergie gefördert werden soll oder nicht.

Konkret geht es um die Taxonomie-Verordnung, die das Europäische Parlament und der Europäische Rat im Juni 2020 erlassen haben. Darin stehen folgende sechs Umweltziele: «Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel, nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, und Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme.»

Ausgerechnet die Zentrale der EU-Atomlobby soll abklären

Die «Technische Expertengruppe für nachhaltige Finanzen», welche die EU-Kommission in Klimafragen berät, hat in deren Auftrag untersucht, ob die Atomenergie die Umweltziele der Taxonomie-Verordnung erfüllt. In ihrem Bericht (S. 234/35) hält die Expertengruppe unter anderem fest, dass «nirgendwo auf der Welt ein praktikables, sicheres und langfristiges unterirdisches Endlager existiert». Deshalb gab sie keine Empfehlung für die Atomenergie ab und verlangte weitere Abklärungen.

Mit diesen Abklärungen beauftragte die EU-Kommission ausgerechnet das Joint Research Centre (JRC), also die europäische Zentrale zur Förderung der Atomenergie. Im Klartext: Sie machte den Atom-Bock zum Umwelt-Gärtner.

Das Joint Research Centre wurde Ende der 50er Jahre zusammen mit der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) gegründet. Das JRC ist unter anderem für die Verteilung eines Teils der Euratom-Gelder zuständig und betreibt auch selber Atomforschung. Laut Euratom-Plan soll von 2021 bis 2027 rund eine Milliarde Franken für die Förderung der Atomenergie über das JRC fliessen.

Gegenwind aus Deutschland, Österreich und Luxemburg

In einem Brief an die EU-Kommission verlangte die grüne Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl dringend eine «unabhängige Begutachtung», denn das Joint Research Centre sei als Euratom-Schaltzentrale «befangen und auf keinen Fall in der Lage, hier eine objektive Entscheidung zu fällen». Die Atomenergie entspreche wegen den ungelösten Problemen (radioaktive Abfälle, Wiederaufarbeitung, Rückbau) keinem der sechs Umweltziele der Taxonomie-Verordnung.

Die EU-Kommission hielt in ihrem Antwortschreiben an ihrem Auftrag an das JRC fest und stellte die Prüfung des JRC-Berichts durch zwei weitere Expertengruppen in Aussicht.

Ein steifer Gegenwind bläst den europäischen Grün-WascherInnen der Atomenergie aus Österreich entgegen. Das österreichische Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Technologie und Innovation gab eine Studie in Auftrag, die zum Schluss kam, dass die Atomenergie «als Energiequelle nicht erneuerbar ist und auch nicht zur Erreichung der Klimaziele beitragen kann, weshalb sie abzulehnen ist und nicht Teil des Energiemix der Zukunft sein soll». Die Atomenergie erfülle «alle in der Taxonomie genannten Umweltziele nicht». Support bekommt Österreich von Luxemburg.

Auch die Schweiz subventioniert das Joint Research Centre

Ganz anders die Schweiz, die sich schon in der Vergangenheit über die Euratom-Subventionen an der Finanzierung des Joint Research Centres beteiligte und es auch in Zukunft tun will. Laut der Botschaft des Bundesrats soll die Schweiz in den nächsten sieben Jahren insgesamt 412 Millionen Franken in den Euratom-Topf (für die Atomspaltungs- und Fusions-Forschung) zahlen, wovon rund 50 Millionen Franken an das JRC gehen. Das sind pro Jahr rund sieben Millionen Franken.

Zum atomaren Netzwerk des Joint Research Centre gehört auch das Paul Scherrer Institut (PSI). Die Zusammenarbeit mit dem JRC in der Forschung für zukünftige Atomreaktoren klappt seit Jahrzehnten hervorragend. Beispielsweise im Samosafer-Projekt, wo sogar der zeitweilige oberste Atomaufseher der Schweiz im Beirat sass – mit dem Segen des Bundesrats. Die Rede ist von Martin Zimmermann, der letztes Jahr auf Druck von Infosperber nach nur einem halben Jahr Amtszeit zurücktrat.

Strammer Atomkurs der Schweiz

Trotz dem beschlossenen Atomausstieg fährt der Bundesrat bezüglich der europäischen Atomforschung einen strammen Atomkurs. Im Schlepptau der Euratom-Zentrale JRC und der europäischen Atomlobby propagiert der Bundesrat in seiner Botschaft den Klimaschutz durch zukünftige AKW.

Auch von einem Ausstiegsplan aus der Euratom-Finanzierung will der Bundesrat nichts wissen. In seiner Antwort auf die Motion des Basler SP-Nationalrats Mustafa Atici ist der Bundesrat der festen Überzeugung, dass «die von der europäischen Nuklearforschung verfolgten Ziele weitgehend mit den Prioritäten der Schweiz übereinstimmen».


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Kurt Marti war früher Beirat (bis Januar 2012), Geschäftsleiter (bis 1996) und Redaktor (bis 2003) der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES).

Zum Infosperber-Dossier:

SolaranlageBauernhof-1

Energiepolitik ohne neue Atomkraftwerke

Erstes, zweites und drittes Gebot: Der Stromverbrauch darf nicht weiter zunehmen.

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8 Meinungen

  • am 17.03.2021 um 10:42 Uhr
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    Dazu passt doch wunderbar, dass Bill Gates› Firma TerraPower und GE Hitachi Nuclear Energy mit global Hunderten von Mini-Atomkraftwerken das Klima retten wollen:

    https://www.stern.de/digital/technik/bill-gates-will-hunderte-winzige-atomkraftwerke-bauen-30427776.html

    Die Nachricht ist klar: Die grossen Energie-Tech-Konzerne wollen den Markt dominieren und wir sollen weiterhin von ihnen abhängig sein und brav unsere Stromrechnungen bezahlen, inflationsindexiert natürlich.

    Dabei können alle Menschen erstmals in der neueren Geschichte selber mit der Sonne fast alle Energie, die sie benötigen, selber produzieren.
    Solarstrom ist der billigste Strom geworden, der nachhaltigste sowieso – machen wir es also einfach selber, werden weitgehend energieautark und fahren die Rendite selber ein:
    https://energiewende-mg.ch/

    Es muss ja einen Grund geben, weshalb Firmen (Younergy, etc.) wie Pilze aus dem Boden schiessen, die Ihnen ihre Dächer abkaufen wollen, um dann auf eigenen Profit ihre eigenen Solaranlagen auf Ihrem Dach billigen Strom produzieren zu lassen …
    Es muss auch einen Grund geben, warum es in Deutschland bereits > 1’000 Solargenossenschaften gibt, welche den Grossteil des grünen Stromes in Deutschland selbständig produzieren.

  • am 17.03.2021 um 11:14 Uhr
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    Ungelösten Problemen (radioaktive Abfälle, Wiederaufarbeitung, Rückbau)
    Ausgerechnet die Lobbyisten gegen den vernünftigen Umgang mit der Kernenergie (Atomkraft: das Wort wurde von den Linken Parteien erfunden und ist negativ besetzt) sorgen für die ungelösten Probleme mit ihrem Verhalten. Die Reise geht in Richtung kleine Kernkraftwerke, die dem Klima dann gut bekommt.

    • Favorit Daumen X
      am 17.03.2021 um 12:07 Uhr
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      Das ist nicht korrekt. Die Atomlobby war selber lange in der «Schweizerischen Vereinigung für Atomenergie» SVA vereinigt. Auch Behörden und Medien sprachen jahrelang von der Atomenergie. Diese kam wegen Pannen und Unfällen ein negatives Image. Deshalb erfand eine PR-Agentur das Wort «Kernenergie», weil es an kerngesund erinnert. Die Lobby verwendet seither fast nur noch den Begriff Kernenergie. Es ist noch nicht gelungen, Atomwaffen in Kernwaffen umzutaufen.

  • am 17.03.2021 um 12:40 Uhr
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    Kurz und bündig: Die 8,5+ Mia Erdbevölkerung wird nie auf die Kernkraft verzichten können. Eine 4- Mia Erdbevölkerung könnte das eher. Wer von einer CO2 neutralen Weltbevölkerung predigt muss eingestehen, dass er oder sie von einer 0,3 Mia Erdbevölkerung spricht. Biblische Zeiten lassen grüssen. Den Bau von Solaranlagen und den Bio-Gartenbau habe ich seit den 70er Jahren in meinen Genen – und ideologische Irrläufer erkennen gelernt. Unsinniges Geplänkel und nicht vernetztes Denken verbaut vielen Zeitgenossen den Blick auf die elementarsten Realitäten. Der Club of Rome und Frederic Fester lassen auch grüssen. Nur wer bereit ist, auch über die Grösse der menschlichen Population nachzudenken, ist glaubwürdig, wenn er oder sie über Energie, CO2, Klima, Illegale Migration, Soziales usw. sprechen will. Mit diesen Worten versuche ich einigen Menschen den Blick für die Realität „Menschheit“ zu schärfen. Und linksgrüne Evangelien näher an die Realität heran zu führen.

  • am 17.03.2021 um 13:14 Uhr
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    «Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel, nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, und Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme.» –
    Der wichtigste Zweck der Atomkraft und übrigens auch der fossilen Energieträger ist in dieser Taxonomie-Verordnung nicht aufgeführt: Die Gewährleistung einer sicheren und zuverlässigen Energie- und Stromversorgung. Unsere ganze Zivilisation ist an diese Bedingung geknüpft. Texas hat uns kürzlich daran erinnert.

  • am 17.03.2021 um 17:02 Uhr
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    Na ja, mit scheint, dass da einige Personen keine Ahnung haben, in welche Richtung die Atomenergie geht. Man spricht von der 4. Generation der Atomkraftwerke. Es handelt sich dabei um ganz andere Reaktortypen als diejenigen, die heute im Einsatz sind. Es sind Flüssigsalz- sowie Laufwellenreaktoren, die teilweise mit dem hochradioaktiven Atommüll der herkömmlichen Atomkraftwerke betrieben werden können und selber keine solchen produzieren. Übrig bleibt Atomabfall mit relativ kurzen Halbwertszeiten, der vergleichsweise einfacher zu entsorgen sind. Es sind sich praktisch alle Experten einig, dass ohne Atomkraft nicht genügend Energie vorhanden sein wird, um die klimaverträgliche Energiewende herbeizuführen. Genau deshalb investiert beispielsweise Bill Gates viel Geld in den Weiterausbau und die Weiterentwicklung dieser Technologien. Und die Zukunft werden viele kleine Atomkraftwerke sein, so wie beispielsweise das schwimmende Kernkraftwerk Russlands, dass die Stadt Pewek mit Strom versorgt. Dezentral, autark und umweltfreundlich. Eigentlich die klassische Win-Win-Situation.

  • am 18.03.2021 um 08:43 Uhr
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    Seit Mitte 1950, also seit rund 70 Jahren wird «im Zusammenhang mit Mini-Atomkraftwerken» geforscht.

    In Betrieb ist derzeit ein Einziges:
    Ein Mini-AKW auf einem Schiff, welches eine russische Kleinstadt mit Strom versorgt.

    !Nach 70 Jahren! Forschung mit vielen Milliarden Aufwand Euro/Dollar/Rubel –
    ist «man» dem Ziel noch nicht deutlich näher gekommen zu sein-

    Es besteht andererseits immer noch Hoffnung, dass diese Techniken «umweltfreundlichst» beherrschbar gemacht werden können .

    Der jetzige Wissensstand:
    Im «Schadensfall» ist der Einzelschaden zwar -logischerweise- deutlich kleiner, als bei den seitheigen «grossen Blöcken», aber noch NICHT sicher genug vermeidbar.

    Meiner Meinung nach bleibt also zur Zeit nur:
    «Hoffen, Abwarten und Daumen drücken» —
    anstatt irgendwelche (spekulativen) Vorhersagen treffen zu wollen.

    Alles Gute – und freundliche Grüsse !
    Wolfgang Gerlach, Ingenieur

  • am 21.03.2021 um 23:08 Uhr
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    @ Peter Geissmann
    Es ist mir schwer verständlich, warum ausgerechnet in der Energiewirtschaft die «Titanic der Irrtümer» so unbeirrt auf den Eisberg zusteuert, weltweit, hartnäckig und unbelehrbar. Das Festhalten an Fusions- und Spaltungsenergie ist dabei nur ein Beispiel. Noch 1951 wollte die Energiewirtschaft Andermatt unter Wasser setzen. Dann kam die Phase der Kernenergie-Euphorie. (Ich war damals auch dabei.) Ihrer Überzeugung, Zitat: «Die 8,5+ Mia Erdbevölkerung wird nie auf die Kernkraft verzichten können» muss ich folgende Grundeinsichten entgegenstellen, die Ihnen entgehen?

    – Eine 8,5+ Milliarden Erdbevölkerung hat keine Überlebenschance, mit welcher Energiepolitik auch immer. Die Menschheit muss in den nächsten 50 Jahren auf die Hälfte reduzieren.
    – Die von der Sonne auf die Erde Eingestrahlte Energie ist 8000 mal grösser, als die Menschheit benötigt. (Quelle: Prof. Hanspeter Dürr, Quantenphysiker.)
    – Unser Problem ist folglich nicht Energiemangel, sondern Energieüberfluss. Es muss uns gelingen, die überschüssige Energie ins Weltall zurückzuführen, wenn sich der Planet nicht überhitzen soll.
    – Was wir endlich lösen müssen ist Speicherung der Solarenergie (etwa durch Hydrolyse und Wasserstofferzeugung). Die Lösungen hierzu sind weit entwickelt.
    – Die Art, wie die Menschheit mit der von der Natur gespeicherten Solarenergie (Kohle, Gas, Erdöl) umgegangen ist und umgeht zeigt, zu welchen Irrtümern die Energiewirtschaft fähig ist.

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