Klaus von Dohnanyi. Maischberger

Klaus von Dohnanyi in der ARD-Sendung Maischberger © Archivbild ARD

«Putin wollte die NATO nicht an seiner Grenze haben»

Red. /  Der frühere SPD-Bundesminister Klaus von Dohnanyi kritisiert erneut die Politik der deutschen Bundesregierung.

upg. Von Dohnanyi ist ein politisches Urgestein. Im Januar 2022 veröffentlichte er sein jüngstes Buch «Nationale Interessen. Orientierung für deutsche und europäische Politik in Zeiten globaler Umbrüche». Darin warnte er vor einem Krieg in der Ukraine. Über sein neustes Interview mit der Deutschen Presse-Agentur informierten etwa die «Süddeutsche Zeitung», nicht aber die NZZ oder die Tamedia-Zeitungen. Ergänzend zu den Informationen in diesen Zeitungen informieren wir über die Meinung von Dohnanyi.


«Der Krieg war verhinderbar«

«Ich halte die gegenwärtigen Prioritäten der Bundesregierung und des Westens für falsch», sagte der Sozialdemokrat der Deutschen Presse-Agentur in einem Interview zu seinem 95. Geburtstag am kommenden Freitag. «Die Priorität müsste sein, uns vor den Folgen des Klimawandels zu schützen […] Stattdessen kaufen wir Panzer für die Ukraine, weil wir nicht geholfen haben, einen Krieg zu verhindern, der verhinderbar war.»

Weiter erklärte Klaus von Dohnanyi, der als Staats- und Bundesminister in den späten 1960er und 70er Jahren unter den Kanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt gedient hatte, Russlands Präsident Wladimir Putin habe nie die Absicht gehabt, Europa anzugreifen. «Er wollte nur die Ukraine nicht in der Nato und diese nicht an seiner Grenze haben. Darüber wollte er verhandeln, aber der Westen war dazu nicht bereit.» Deshalb trage der Westen eine Mitverantwortung.
[upg. «Mitverantwortung» bedeutet keine Entschuldigung für Putins Angriffskrieg. Es geht nur um die Vermeidbarkeit.]

«Wie soll der Westen mit einem «Kriegsverbrecher» verhandeln?»

Den Haftbefehl gegen Putin hält Dohnanyi für «unbedacht und unklug» und fragt: «Soll denn Moskau zukünftig der einzige Ort sein, wo man mit Putin verhandeln kann?» Er hätte Putin deshalb nicht als Kriegsverbrecher bezeichnet: «Ich würde Präsident Bush ja auch nicht zum Kriegsverbrecher erklären und vor Gericht stellen, obwohl er ohne Zweifel einen noch folgenreicheren Krieg im Irak geführt hat, mit sehr viel mehr Toten und ohne jeden Grund, wie wir alle heute wissen.»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Weiterführende Informationen

  • 26. April 2022: Klaus von Dohnanyi:
    «Ich habe vor dem Krieg gewarnt». Der SPD-Politiker und Buchautor ruft die EU dazu auf, ihre eigenen Interessen gegenüber den USA zu vertreten.

Zum Infosperber-Dossier:

Ukraine_Sprachen

Die Ukraine zwischen Ost und West: Jetzt von Russland angegriffen

Die Ukraine wird Opfer geopolitischer Interessen. Die Nato wollte näher an Russland. Seit dem 24.2.2022 führt Russland einen Angriffskrieg.

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9 Meinungen

  • am 20.06.2023 um 11:29 Uhr
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    Putin hatte die NATO im Baltikum bereits an seiner Grenze. Welche Auswirkung auf Estland, Lettland und Litauen hätte das Eingehen auf Putins Argumentation wohl gehabt?

    • am 20.06.2023 um 23:34 Uhr
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      Lieber Herr Wydler, bereits die Aufnahme der baltischen Staaten hat niemand geringeres als der damalige US-Senator und heutige US-Präsident, Joseph Biden, 1997 als schweren Fehler bezeichnet, der zu einem Krieg in Europa führen würde: https://www.newsweek.com/joe-biden-resurfaced-clip-russia-baltic-states-1997-video-1685864

      Sie fragen: «Welche Auswirkung auf Estland, Lettland und Litauen hätte das Eingehen auf Putins Argumentation wohl gehabt?» Die Antwort ist natürlich: keine. Es hätte keinen Unterschied gemacht. Allerdings können die Baltischen Staaten auch nicht mit der Ukraine verglichen werden, was die Geographie und die strategische Bedeutung angehen.

      Die NATO-Expansion nach Osten, das Bauen von Stützpunkten und Raketensystemen, war eine aggressive Strategie, für die es nun die Quittung gibt.

      • am 21.06.2023 um 11:27 Uhr
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        Biden hat eine militärische Reaktion Russlands ausdrücklich ausgeschlossen. Die baltischen Staaten wollten in die Nato, um ihre Selbständigkeit bewahren zu können. Mit welcher Berechtigung dürfte Russland dies verhindern?

      • am 21.06.2023 um 23:38 Uhr
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        Biden ging von einer «hostile reaction» durch Russland aus. Er hat eine militärische Reaktion Russlands nicht ausdrücklich ausgeschlossen, er hielt sie damals lediglich für unwahrscheinlich. Das war aber 1997, als Russland am Boden war. Und es ging um die baltischen Staaten, nicht um die viel wichtigere Ukraine.

        Die baltischen Staaten wollten auch nicht in die Nato, um ihre Selbständigkeit bewahren zu können, denn diese war ja gar nicht bedroht. Es war umgekehrt: Die USA wollten die baltischen Staaten in der Nato, um an die russische Grenze expandieren zu können. Bei der Ukraine ist es genauso.

        Sie fragen: Mit welcher Berechtigung dürfte Russland dies verhindern? Russland hat das nicht verhindert, hätte aber natürlich genau die selbe Berechtigung, wie die USA eine feindliche Militärallianz mit Kuba oder Mexiko verhindern würden.

        Im Falle der Ukraine griff Russland jedoch konkret ein, weil Kiew die Angriffe auf den Donbass nach 8 Jahren nicht stoppte und 2022 sogar noch verstärkte.

      • Favorit Daumen X
        am 22.06.2023 um 07:36 Uhr
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        Biden hatte sich in der zitierten Rede von 18.6.1997 vehement für einen Nato-Beitritt der baltischen Staaten – nach dem Beitritt von osteuropäischen Ländern – ausgesprochen und eine militärische Reaktion Russlands ausgeschlossen. Hier das ganze Zitat:
        «I think the one place where the greatest consternation would be caused in the short-term for admission [to NATO], having nothing to do with the merit and preparedness of the country to come in, would be to admit Baltic states now in terms of NATO-Russian, US-Russian relations. If there was ever anything that was going to tip the balance, were it to be tipped, in terms of a vigorous and hostile reaction in Russia, I don’t mean military, it would be that.»
        Hier die ganze Rede.

      • am 22.06.2023 um 07:01 Uhr
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        Ja – warum hört niemand auf die Stimme dieses 95-Jährigen Politik erfahrenen Mannes?
        Warum will Deutschland von der Schweiz, unbedingt 95 Panzer zur direkten oder indirekten Weiterleitung an die Ukraine erhalten?
        Warum werden nicht alle Möglichkeiten genutzt, um den Millionen von Menschen in der Ukraine ihre Heimat, ihre Häuser und ihre Lebensgrundlagen zu erhalten?
        Wer wird für den ganzen Wahnsinn die Verantwortung übernehmen?
        Es ist nicht ganz so einfach, die Schuld für das Desaster «nur» Putin in die Schuhe zu schieben.

  • am 20.06.2023 um 13:08 Uhr
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    Dohnanyi hat unrecht. Teil der Aufstiegs-Strategie Putins war es, P Gegenüber zunächst nach dem Mund zu reden. Chodorkowski schien es zB in den 90ern zunächst, dass P seine vorgeschlagenen Bildungsinitiativen wohlwollend aufgenommen habe. Die russischen Sklaven-, dann Kolchosen-basierten Herrscher haben über die Jahrhunderte dutzende, als «defensiv» rationalisierte Angriffskriege in Asien und Europa geführt (zB in Skandinavien), längst vor der Natogründung. Der Kreml fürchtete ev. liberale Erfolge in der Ukraine. Eine alternative Zivilisation hätte beinhaltet, dass er Russen u Nachbarn an etwas substanziell Edles erinnert hätte, das diese freiwillig angezogen hätte.

  • am 20.06.2023 um 13:34 Uhr
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    Richtig. Es geht nicht um Demokratie und EU (= Handel). Es geht nur um die Nato ( =Militär). Deutschland darf immer noch nicht «nein» sagen, ohne das es nicht gleich wieder zum Nazi oder zum Kommunisten wird. Haben wir nicht schon genug durch Klimakatastrophe zum » wiederauf bauen»? Und was hab ich davon, dass es in Deutschland keine Atomkraftwerke mehr gibt , dafür jede Menge Atomsprengkörper der USA ( keiner weiß wo und wie viele) In Wikipedia sind 21 Militärstandorte der USA in D. eingetragen( vor dem Ugrainekrieg) .

  • am 21.06.2023 um 11:04 Uhr
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    Brandt, Genscher, Bahr, Schmidt, Kohl, Schröder hatten bei allen anderen Fehlern ein Verständnis für die notwendigen Positionen Deutschlands: Entspannung fördert die eigene Wirtschaft und vermeidet Krieg bzw. Eskalation. Ich glaube noch heute fest, dass es Brandts, Schmidts und Kohls Wirken zu verdanken war, dass die «Wende» so glimpflich über die Bühne ging. Sie hatten keine Scheu mit später als Verbrecher verurteilten DDR-Politikern wie Stoph, Mittag und Honecker zu verhandeln und sogar äußerlich herzliche Beziehungen zu pflegen. Sogar Eisenbeißer Strauss sah die Vorteile gedeihlicher Ost-West-Beziehungen; zu einer Zeit als die Bandagen noch einiges härter waren: Afghanistan, Mauertote, Kriegsrecht in Polen, die auch im Westen allgegenwärtigen östlichen Geheimdienste. Wenn die europäischen Mittelmächte es wirklich gewollt hätten, gäbe es längst ernsthafte Friedensverhandlungen und Russland würde einige Eroberungen ins Körbchen werfen.

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