«Achter Raketentest» meldet suedkor TV im Februar 2022

«Achter Raketentest seit Anfang Jahr» meldete das südkoreanische Fernsehen im Febr 2022 © arirang news

Gefahr steigt: Nordkorea mit mehr Atombomben und Raketen

Dan Leaf /  Ein schubladisierter US-Gesetzesentwurf für Friedensverhandlungen könnte wieder aktiviert werden.

Red. Autor Dan Leaf ist Generalleutnant der US-Luftwaffe im Ruhestand und ehemaliger stellvertretender Kommandeur des US-Kommandos für den Indopazifik.

Nichts hat geholfen. Weder Druck, noch Diplomatie, noch Geduld. Trotz der US-amerikanischen Anstrengungen entwickelte sich Nordkorea zu einer nuklearen Bedrohung mit eigenen Atomwaffen. Seit letztem Jahr hat das Land erneut Raketentests durchgeführt. Darunter waren auch Interkontinentalwaffen. Wir müssen davon ausgehen, dass Nordkoreas Streitkräfte einen Sprengkopf überall auf dem amerikanischen Festland abwerfen können. 

Im Januar 2023 ordnete der nordkoreanische Staatschef Kim Jong-un gar eine «exponentielle» Ausweitung des Atomwaffenarsenals des Landes an. Im vergangenen Jahr verabschiedete seine Regierung ein Gesetz, das einen nuklearen Präventivschlag für zulässig erklärt, auch wenn nur ein konventioneller Angriff gegen das Land droht. Darauf hat der südkoreanische Präsident Yoon Suk Yeol angekündigt, sein Land könnte ebenfalls in Betracht ziehen, künftig Atomwaffen zu entwickeln. In dieser angespannten Situation können eine falsche Entscheidung oder ein Missverständnis Millionen von Menschen das Leben kosten.

Die Gefahr eines Atomkriegs ist real

Wenige Menschen wissen, was es bedeutet, einen Atomkrieg zu führen. Ich gehöre zu ihnen. Als junger Kampfpilot der U.S. Air Force in den späten 1970er Jahren wurde ich dafür ausgebildet, Nuklearschläge durchzuführen. In einer harten Schulung, die sicherstellen sollte, dass nichts – weder technische Vorfälle noch ethische Erwägungen den Einsatz würde verhindern können. Bestimmte Bilder daraus haben sich in mein Gedächtnis eingebrannt: Karten und Fotos meines Ziels und die Vision von dem Armageddon, das ich anrichten würde. Die Ausbildung gipfelte in unserem Versprechen, im Ernstfall das potenzielle Ziel ohne zu zögern zu zerstören.

Später in meiner Karriere war ich für die US-Flotte der Interkontinentalraketen zuständig und diente als stellvertretender Befehlshaber der amerikanischen Streitkräfte im Pazifik. Ich habe vier Jahre in Südkorea verbracht, unter anderem in hochrangigen Positionen im Hauptquartier der Vereinigten Streitkräfte der USA, Südkoreas und der Vereinten Nationen, wo ich die gewaltigen zerstörerischen Kräfte beaufsichtigte, die für einen potenziellen Krieg angehäuft worden waren. In dieser Zeit wurde mir klar, wie hoch das Risiko einer atomaren Auseinandersetzung mit Nordkorea ist. 

Den Waffenstillstand in einen Friedensvertrag verwandeln

Zwar wurde am 27. Juli 1953 ein Waffenstillstand unterzeichnet und die Kämpfe offiziell beendet. Doch die USA und Südkorea befinden sich faktisch weiterhin im Krieg mit dem Norden, da dem Waffenstillstand kein formeller Friedensvertag nachgefolgt ist. Und genau hier liegt die Chance: Es mag angesichts der gegenwärtigen Lage sehr aufwändig sein, eine Friedensvereinbarung zu verhandeln. Aber angesichts der Gefahr eines Atomkriegs ist jede Anstrengung angezeigt.

Ein nachhaltiger Friedenschluss würde Kims Narrativ untergraben, mit dem er die militärische Aufrüstung Nordkoreas rechtfertigt: dass nämlich die USA Nordkorea in der Existenz bedrohen würden. Ein Friedensabkommen könnte auch die Belagerungsmentalität erschüttern, die Kim Jong-uns repressives Regime erst möglich macht. Indem Sanktionen gelockert würden, könnte sich in Nordkorea eine wirtschaftliche Entwicklung in Gang setzen. Die Lebensqualität der 25 Millionen Nordkoreaner würde sich deutlich verbessern und es könnte zu einer Verbesserung der Menschenrechtslage im Land kommen.

Die beteiligten Nationen, namentlich die USA und Nordkorea, haben sich verpflichtet, auf ein dauerhaftes Friedensabkommen hinzuarbeiten. Bei getrennten Treffen, die Präsident Donald Trump und der damalige südkoreanische Präsident Moon Jae-in 2018 mit Kim abhielten, wurde dieses Ziel bekräftigt. Die Lage vor Ort hat sich in der Folge sofort entspannt, indem beispielsweise Landminen aus Teilen der entmilitarisierten Zone Koreas geräumt wurden und koreanische Familien sich wieder treffen konnten. Kim verpflichtete sich zu einem Moratorium für Langstreckenraketen und Atomtests, gab die sterblichen Überreste getöteter US-Soldaten zurück und liess drei inhaftierte Amerikaner frei. Selbst nachdem Trumps Bemühungen um Kim Jong-un 2019 gescheitert waren, zeigte sich Kim weiterhin offen für diplomatische Beziehungen.

Ein Gesetzentwurf liegt vor

Im Repräsentantenhaus liegt seit 2021 ein Gesetzentwurf über den Frieden auf der koreanischen Halbinsel vor. Der Entwurf fordert, dass der US-Aussenminister einen «klaren Fahrplan für ein dauerhaftes Friedensabkommen» vorlegen soll. Er soll «ernsthafte und unverzügliche» diplomatische Anstrengungen unternehmen. Zu Beginn sollen die diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und Nordkorea verbessert werden, indem im jeweiligen anderen Land Verbindungsbüros entstehen.

Der vorliegende Gesetzentwurf weist Mängel auf. Ein Grossteil des Entwurfs konzentriert sich darauf, Bedingungen zu schaffen, die es koreanisch-amerikanischen Bürgern ermöglichen würden, ihre Verwandten im Norden zu besuchen. Gemäss dem derzeitigen US-Recht sind Reisen von Amerikanern nach Nordkorea nur unter einem schlecht definierten «nationalen Interesse» erlaubt. Ausserdem werden in dem Entwurf wichtige Schritte hin zum Frieden nicht thematisiert; etwa einen Versöhnungsprozess zwischen den USA und Nordkorea einzuleiten, die umstrittenen Seegrenzen verbindlich festzulegen und einen Rahmen für Gespräche zwischen den gegnerischen Streitkräften bereit zu stellen. 

Nordkorea.bedobedo.Depositphotos.x
Kein Friedensvertrag zwischen Süd- und Nordkorea

Es gibt Widerstand

Der aktuelle Gesetzentwurf ist seit seiner Einführung im Jahr 2021 nicht vorangekommen. Kritiker argumentieren, dass ein Friedensabkommen die Gefahr eines Krieges erhöhen könnte, da es die Sicherheitsvorkehrungen aushöhlt, die durch den Waffenstillstand vor fast 70 Jahren geschaffen wurden. Darunter fallen bestimmte Grenzziehungen sowie Protokolle für Kommunikation, Bewegung und andere Aktionen innerhalb der entmilitarisierten Zone. 

Aber wir haben gesehen: Ein Waffenstillstand, der darauf basiert, Sicherheitsprotokolle zu beachten, schützt nicht vor Eskalation. Nordkorea führt gelegentlich Provokationen durch, und Nord- und Südkorea haben sich mehrfach mit Artillerie beschossen. Präsident Bill Clinton zog 1994 in Betracht, Nordkorea zu bombardieren und Berichten zufolge diskutierte Trump 2017 den Einsatz von Atomwaffen

Die grösste Hürde auf dem Weg zu einem Friedensabkommen besteht darin, dass Washington nicht bereit ist, Nordkorea entgegen zu kommen. Denn dies würde, so die Überzeugung der Politiker, unweigerlich zu dem Vorwurf führen, dass die USA schlechtes Verhalten belohnen und ein totalitäres Regime legitimieren. Aber Tatsache ist: Die Kim-Familie regiert seit 75 Jahren. Es ist an der Zeit zu akzeptieren, dass sich dies in absehbarer Zeit nicht ändern wird.

In diesem Moment bereitet sich die nächste Generation von Männern und Frauen nördlich und südlich der entmilitarisierten Zone auf einen Atomkrieg vor. Hoffen wir, dass sie ihre Ausbildung nie benötigen werden.

______________
Übersetzung: Thomas Hübner



Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Generalleutnant Dan Leaf (@figleaf31) ist pensionierter Drei-Sterne-General, ehemaliger Kampfpilot der Air Force, ehemaliger stellvertretender Befehlshaber des U.S. Pacific Command und ehemaliger Direktor des Daniel K. Inouye Asia-Pacific Center for Security Studies in Honolulu. Er ist geschäftsführender Direktor von Phase Minus 1, einer Beratungsfirma für Sicherheit und Konfliktlösung.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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4 Meinungen

  • am 19.05.2023 um 13:51 Uhr
    Permalink

    Für solche differenzierten Artikel liebe ich den Infosperber. Man könnte durch Verhandlungen mit Nordkorea in der Tag mehr erreichen als mit plumper Feindbildpropaganda. Die führt nur dazu dass Nordkorea noch weiter aufrüstet. Wenn Russland und die VR China enger zusammenarbeiten, fällt auch für Nordkorea etwas dabei ab; vielleicht wird irgendwann auch moderne Rüstungstechnik weitergegeben. Das können weder Südkorea, noch Japan noch die USA wollen. Momentan ist die Außenpolitik der USA, der EU und der NATO-Staaten darauf ausgerichtet, Feindbilder zu schaffen und zu moralisieren. Dadurch verlieren sie Verbündete, Glaubwürdigkeit und Einfluss. Die neuen alten Feinde schließen sich zusammen. Das ist eigentlich das schlimmste was einem aus strategischer Sicht passieren kann. Die haben ihren Macchiavelli nicht gelesen.

  • am 19.05.2023 um 21:39 Uhr
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    Ein nachhaltiger Friedensschluss würde ebenfalls den USA einen gewichtigen Vorwand zu ihrer militärischen Präsenz in der Region wegnehmen…

  • am 20.05.2023 um 08:32 Uhr
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    Friedensverhandlungen mit Nordkorea wären sinnvoll, wie Dan Leaf Generalleutnant der US-Luftwaffe im Ruhestand schreibt. Im Moment wird aber hüben und drüben atomar aufgerüstet. Mit mehr und mehr Waffen, und auch Atombomben soll der Frieden gesichert werden. Im Rahmen der atomaren Teilhabe üben Piloten der deutschen Bundewehr immer noch den Abwurf von Atombomben. Werden die Politiker, der G-7 Staaten die jetzt in Hiroshima tagen auch dafür sorgen, dass atomar abgerüstet wird? Ein Atomkrieg würde das Ende der Menschheit einläuten. Schon der Einsatz von 100 Atombomben hätte ein nuklearer Winter zur Folge, ein Absinken der Temperatur auf der Erde gefolgt von weltweiten Ernteausfüllen und Hungersnöten.
    Wichtig wäre auch, dass Schweizer Geldinstitute, die Nationalbank, Banken, Versicherungen und Pensionskassen kein Geld mehr in Firmen investieren die Atomwaffen herstellen. Seit der Revision des Kriegsmaterialgesetzes vom 1. Januar 2013 gibt es ein Finanzierungsverbot von Atomwaffen.

  • am 21.05.2023 um 07:52 Uhr
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    «Pulverfass Nordkorea». Wär diese Doku gesehen hat, versteht warum Nordkorea selbst in 3ter Generation «nur» Bomben und Hass im Kopf hat, was durch Sanktionen und Isolation noch verstärkt wurde.
    Wer Jahrzehnte mit nichts überlebt hat, braucht keinen Friedensvertrag oder eine Lockerung von Sanktionen mehr, besonders gegenüber Völkern die Stolz und Ehre «über» die Würde des Menschen stellen.
    Nordkorea vergleiche ich mit einem Indianer-Reservat. Genauso wie Iran, Kuba, Syrien, Afghanistan (Russland). Zuckerbrot oder Peitsche. Aber nicht jeder geht gleich in die Kniee , wenn ihm einer das Handy und den Mac Donald wegnimmt. Dann eben «hintenherum». Besonders das rachsüchtige Amerika glaubt, dass andere Länder ihre Verluste ganz schnell vergessen und verzeihen müssen , so wie Japan die Atombomben.
    Wer aber Gerechtigkeit (= Waage) zu «einseitig» verteilt, braucht nur Geduld haben, sie kippt von selbst.

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