Sperberauge

Ukraine: Jürgen Habermas mahnt zur Zurückhaltung

Urs P. Gasche © Peter Mosimann

Urs P. Gasche /  Die Ukraine dürfe den Krieg nicht verlieren, doch Russland nicht an die Wand gedrückt werden. Ein riskantes Pokern sei gefährlich.

Der wohl bekannteste deutsche Intellektuelle kritisiert in der «Süddeutschen Zeitung» die «moralisch entrüsteten Ankläger» der Bundesregierung, welche die Ukraine auch mit schweren Waffen unterstützen wollen. Weder Deutschland noch die Nato dürften Kriegspartei werden. Denn die atomare Drohung Russlands sei real.

«Kein Spielraum für riskantes Pokern»

Die westlichen Staaten hätten einerseits aus dem Kalten Krieg die Lehre gezogen, dass ein Krieg mit Atomwaffen «nicht mehr in irgendeinem vernünftigen Sinne zu gewinnen» sei. Deshalb könne man das Risiko, dass Russland als Reaktion auf einen Kriegseintritt an der Seite der Ukraine ABC-Waffen einsetzen könne, nicht eingehen. Putin könne allein darüber entscheiden, «wann der Westen die völkerrechtlich definierte Schwelle überschreitet, jenseits derer er die militärische Unterstützung der Ukraine auch formal als Kriegseintritt des Westens betrachtet». Das Risiko eines Weltenbrandes lasse «keinen Spielraum für riskantes Pokern».

«Die Ukraine darf den Krieg nicht verlieren»

Andererseits dürfe sich der Westen «nicht beliebig erpressen lassen». Die Ukraine ihrem Schicksal zu überlassen, wäre «ein Skandal» und läge «auch nicht im eigenen Interesse». Das Kriegsziel müsse sich aber darauf beschränken, «dass die Ukraine den Krieg nicht verliert». Sonst stünde die Frage im Raum: «Welches Land ist das nächste?» Deshalb müsse man die Ukraine «up to the point of immediate involvement» unterstützen – also bis zu einer direkten Beteiligung.

Habermas zeigt sich überzeugt davon, dass mit Putin «ein Ende des Krieges, wenigstens ein Waffenstillstand, verhandelt werden muss». Putin könnte ebenfalls daran interessiert sein, weil er «über den politischen Protest unter den fortschreitend liberaler denkenden Kreisen der eigenen Gesellschaft beunruhigt» sei.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Weiterführende Informationen

Zum Infosperber-Dossier:

Ukraine_Sprachen

Die Ukraine zwischen Ost und West: Jetzt von Russland angegriffen

Die Ukraine wird Opfer geopolitischer Interessen. Die Nato wollte näher an Russland. Seit dem 24.2.2022 führt Russland einen Angriffskrieg.

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4 Meinungen

  • am 30.04.2022 um 18:17 Uhr
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    Vorsicht ist geboten, da hat Habermas recht, genauso wie mit der Bemerkung, dass man sich nicht erpressen lassen sollte.
    Es ist allerdings in den letzten Jahrzehnten immer wieder vorgekommen, dass Grossmächte unterschiedliche Seiten in lokalen Konflikten unterstützt haben. Im Korea- und im Vietnamkrieg war die Beteiligung direkter als jetzt in der Ukrainen, und doch waren sich beide Seiten einig, dass es kein offener Krieg USA gegen Sowjetunion war.
    Niemand auf der Seite der Nato spricht davon, russisches Territorium anzugreifen. Sogar auf ukrainischem Territorium will die Nato vernünftigerweise eine direkte Konfrontation mit Russland vermeiden und lehnt deshalb die Idee einer «Flugverbotszone» über der Ukraine ab.
    Das sinnvollste wäre, sich wirklich schnell von russischen Öl- und Gaslieferungen unabhängig zu machen.

  • am 1.05.2022 um 04:57 Uhr
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    In der Stossrichtung liegt Habermas sicher nicht falsch. In einem Punkt kommt er möglichen Kritikern weiter entgegen als nötig, nämlich wenn er behauptet, nach einer NIederlage der Uktraine stünde die Frage im Raum, welches Land als nächstes drankäme. Ohne den schwer geprüften Ukrainer(inne)n Schlechtes zu wünschen: Diese Vermutung beruht auf einer zu einfachen und durch die neuere Forschung widerlegten Deutung des Appeasement-Debakels. Die naheliegendsten Kandidaten für einen weiteren russischen Angriff sind Nato-Mitglieder und stehen unter dem Schutz der Bündnisverpflichtung. Die Frage, wie glaubwürdig dies auf einen möglichen Aggressor wie Putin wirkt, hängt nicht vom Ausgang des Ukraine-Krieges ab, sondern davon, wie gut die Nato materiell auf einen solchen Fall vorbereitet wäre. Ein kritischer Punkt könnten dabei die noch mangelhaft ausgebauten Nachschubwege sein.

  • am 2.05.2022 um 01:26 Uhr
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    Die Frage «welches Land wäre das nächste» ist meiner Meinung nach rein manipulative Spekulation. Es gibt zu wenig eingetretene Vorkommnisse welche die Gültigkeit dieser Spekulation untermauern. Zahlreiche Russland Experten haben vor einer Eskalation des Ukraine Konflikts gewarnt, wenn sich Russland durch Einmischungen des Westen in diesem bis 1991 zur Sowietunion gehörenden Land allzu bedroht fühle. Dass nun genau diese Eskalation erfolgt war voraussehbar, und ist nicht Indikator dafür dass Putin sein Land vergrössern will. Der Menschheit wäre besser gedient man würde dem Herrn Putin mehr glauben, die Worte nicht im Mund verdrehen, und sich endlich fragen warum er mit Biden verhandeln wollte und nicht mit den anderen Nato Mitgliedstaaten.

  • am 2.05.2022 um 07:39 Uhr
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    Welches Land ist das nächste, wenn die Ukraine den Krieg verlieren sollte? Diese Frage ist völlig irreal aufgrund der Nato Beistandsverpflichtung. Und man unterstellt Russland Expansionsgelüste. Russland möchte nur die Ukraine nicht in westlichen Händen sehen und die Natogrenze nicht an der eigenen Grenze. Ohne natofreie Ukraine, keine friedliche Welt! Warum muss die Ukraine in die Nato? Die Schweiz ist auch nicht Nato-Mitglied und lebt mit Nato-Mitgliedern friedlich zusammen.
    Es stellt sich eben doch die Frage, wo die Aggression im Ukraine-Konflikt herkommt….?

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