Steuerdefraudation

Das Bundesblatt 1962 – zu lesen wie ein Bericht zur heutigen Situation © Bundesblatt

Steuerparadies Schweiz – erhellende Lektüre in alten Dokumenten

Hans Ulrich Jost /  Steuerhinterziehung – oder Steuerdefraudation, wie es vor 50 Jahren noch hiess – ist ein Dauerthema, damals wie heute.

Red. Der emeritierte Geschichtsprofessor Hans Ulrich Jost studierte in Zürich und Bern Geschichte und Soziologie. Von 1981 bis 2005 lehrte er an der Universität Lausanne Neuere Allgemeine Geschichte und Schweizer Geschichte.

Kennen Sie das Bundesblatt der Schweizerischen Eidgenossenschaft? Es handelt sich um eine spröde, wenig leserfreundliche Publikation der Bundesverwaltung, in der sich Botschaften, Mitteilungen, Gesetzesvorlagen und ab und zu auch Berichte von Bundesräten finden.

Ich schlage hier eine kleine Lektüre vor: Bundesblatt 1962/1, S.1057-1117, «Bericht des Bundesrates […] betreffend wirksamere Bekämpfung der Steuerfraudation». Es handelt sich um einen alten, 56-jährigen Bericht. Ich will diesen gar nicht lange einleiten, sondern Ihnen gleich einen Strauss hübscher Zitate vorführen.

Originalton:
Herr Bundesrat D.J. Bourgknecht […] «bestätigt und erklärt, dass sich nach ersten Schätzungen die dem Fiskus verheimlichten Summen allein schon auf dem Wertschriftensektor in der Grössenordnung von 15 Milliarden Franken beim Vermögen und 500 Millionen Franken beim Einkommen bewegen» [S.1058]

Zwölf Seiten weiter hinten fährt Bourgknecht fort:
«Wie unter Buchstabe A hievor gezeigt, ist es mit der Steuerehrlichkeit beim Vermögen tatsächlich nicht zum besten bestellt, bewegen sich doch die verheimlichten Vermögenswerte in der Gössenordnung von 17 bis 23 Milliarden Franken.» [S.1070]

Nach weiteren sieben Seiten kommt die Rolle der Banken zur Sprache:

«Ohne Zweifel wird die Steuerdefraudation durch das Bankgeheimnis wesentlich begünstigt, und die Aufhebung dieses Geheimnisses könnte an sich eines der Mittel darstellen, um das Übel an seiner Wurzel zu fassen. Das Bankgeheimnis hat aber nicht nur negative, sondern auch positive Seiten; es hat beispielsweise die Wahrung legitimer Interessen gegenüber der Allmacht totalitärer Staaten in Zeiten ermöglicht, wo diese Interessen sonst durch diktatoriale oder andere Willkür in einer für unsere öffentliche Ordnung kaum tragbaren Weise verletzt worden wären. Abgesehen davon wären die sonstigen Konsequenzen einer Aufhebung des Bankgeheimnisses so weitreichend, dass diese Massnahme im heutigen Zeitpunkt kaum in Betracht gezogen werden kann.» [S.1078].

Hier greift Bourgknecht schon zum doppelbödigen Mantra jener, die zwar die massive Steuerhinterziehung anprangern, aber ja nicht Massnahen einführen wollen, um dem Übelstand abzuhelfen. So weicht Bourgknecht auch bei der Frage der Besteuerung von Börsengewinnen aus:
«Es ist aber nicht einzusehen, warum erarbeitetes Einkommen oder Lotteriegewinne der Wehrsteuer unterliegen sollen, Börsengewinne aber nicht. Börsengewinne sind allerdings sehr schwer zu erfassen, wie sich deutlich in jenen Kantonen zeigt, welche diese Gewinne besteuern. Damit werden sie aber zu einem hervorragend geeigneten Mittel, um verheimlichtes Vermögen zu bilden.» [S.1073]

Bourgknecht äussert sich auch über die beim Grundbesitz praktizierte Steuerhinterziehung:
«Die Vermögenswerte, um die es sich bei der Bewertungsfrage des Grundbesitzes für die Kantone und Gemeinden handelt, dürften die bei den Wertschriften festgestellten Hinterziehungen erheblich übersteigen. […] Das Problem einer richtigen, angemessenen Bewertung der Liegenschaften erscheint aus diesen Gründen als ein nicht weniger wichtiges Problem als jenes der Erfassung des bisher verheimlichten beweglichen Kapitalvermögens.» [S.1069]

Je weiter Bourgknecht in die Fiskalpolitik hineinleuchtet, desto umfangreicher kommen die Möglichkeiten der Steuerhinterzieher ans Licht:
«Jedoch ist gar nicht die Defraudierung bzw. Unterbewertung im Sektor Vermögen entscheidend. Wesentlicher ist vielmehr die Erfassung des Einkommens und des Ertrages, vor allem seit die meisten Kantone das System der allgemeinen Einkommenssteuer und der ergänzenden Vermögenssteuer anwenden. Hinterzogenes Einkommen ist die Hauptquelle, aus der sich fast zwangsläufig hinterzogenes Vermögen bildet.» [S. 1070]

Alles wäre möglich, aber nicht empfehlenswert …

Im zweiten Abschnitt, auf den folgenden 92 Seiten, diskutiert Bourgknecht mögliche Massnahmen zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung. Wenn er auch zahlreiche Ansätze aufzeigt, betont er jedoch bei jedem Vorschlag die Einschränkungen und Schwierigkeiten, die mögliche Massnahmen praktisch verhindern:
«Sodann ist daran zu erinnern, dass die Hinterziehung die mannigfaltigsten Erscheinungsformen aufweist und in den verschiedensten Vermögens-, Ertrags- und Einkommenssektoren vorkommt, deren bessere Erfassung auf Schwierigkeiten ungleichen Grades stösst.» [S.1077].

Der Freiburger Rechtsanwalt Jean Bourgknecht, Vorstandsmitglied der Katholisch-Konservativen Partei der Schweiz (heute CVP), war nur zwei Jahre Bundesrat. Er leitete das Finanz- und Zolldepartement. Ein Schlaganfall zwang ihn 1962 zum Rücktritt.

In den Berichten über die Debatten in den Räten kommt immer wieder zum Ausdruck, dass Bourgknechts Ausführungen «nicht allen Mitbürgern Freude bereiteten». Gemeint ist damit in erster Linie die Finanzwelt, in der die ungeschminkt dargestellte Praxis der «Steuerfraudation» und die moralische Verurteilung dieser gängigen Praxis Empörung auslösten.

Ebensowenig goutiert wurden die Hinweise auf die Tatsache, dass das schweizerische Steuerparadies offenbar massiv von den Schlupflöchern und fehlenden Kontrollen profitierte. Gleichzeitig musste man feststellen, dass das Steuerparadies Schweiz in den letzten Jahren offenbar in immer grösserem Umfang ausländische Kunden anheuerte. Das führte u.a. dazu, dass US-Präsident Kennedy im April 1961 in einer dem Kongress übermittelten «special message» die Schweiz offiziell als Steuerparadies brandmarkte. All dies hinderte aber den Finanzplatz Schweiz in keiner Weise, seine Dienstleistungen für Steuerhinterzieher laufend zu verbessern.

Helvetisches Doppelspiel

Bourgknechts Bericht erinnert ein wenig an eine Beichte. Wohl werden unumwunden die Sünden ausgebreitet, aber dann auch gleich für Absolution geweibelt. Bei jeder angesprochenen Massnahme weist Bourgknecht auf die Schwierigkeiten der Verwirklichung hin. Man nennt die Übel, behauptet dann aber, Gegenmassnahmen seien nicht umsetzbar. Es ist ein wahres Lehrstück des helvetischen Doppelspiels, das sowohl gegenüber dem Ausland, aber auch zur Beruhigung der öffentlichen Moral im Innern seit Jahrzehnten gepflegt wird – bis heute. Man kann deshalb Bourgknechts Bericht auch als aktuellen Beitrag zu der heutigen Lage lesen.

PS: Wer übrigens die Geschichte des hemmungslosen Ausbaus des helvetischen Steuerparadieses – vom 19. Jahrhundert bis heute – verfolgen will, dem sei die eben erschienene materialreiche Studie von Christophe Farquet (Histoire du paradis fiscal suisse) empfohlen.
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

Zum Infosperber-Dossier:

Steueroase_m_Hintergrund

Steueroasen für Konzerne und Reiche

Steuerhinterzieher auf der Politagenda: Die grössten verstecken ihre Identität mit verschachtelten Trusts.

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2 Meinungen

  • Portrait_Ralph_Fehlmann_X
    am 27.03.2018 um 13:09 Uhr
    Permalink

    Ein herrlicher und lehrreicher Artikel.
    Ein Volk von ausgefuchsten Schlitzohren sind wir! Man vergleiche dazu, wie wir unsere opportunistische, immer (schon seit wir an unsern Alpenpässen standen und Wegzölle eintrieben oder als gefürchtet-brutale Söldner uns fremden Herrschern verdingten oder uns vom auf dem globalen Markt seine Gewinne einheimsenden Super’patrioten› Blocher faszinieren lassen) dem Gewinn und der Abzockerei der andern verpflichtete Politik unter dem scheinheiligen Deckmänteli des Heldentums versteckten! Nicht Helden waren wir, sondern seit je … Händler.
    Nur (hat ausgerechnet Dürrenmatt gesagt) – was kann man schon gegen ausgefuchste Schlitzohren sagen? Zumindest besitzen sie eine höhere pragmatische Intelligenz als die tumben Helden und Ideologen! Und damit eine höhere darwinistische Fitness. Ich glaube deshalb, wenn jemand die Zerstörung unseres Planeten überleben wird, werden wir Schweizer es sein …
    Als ‹Ideologe›, Kantianer und treuer Bezahler all meiner Steuern, also als treuherziger Intelligenzler, der sich noch am kategorischen Imperativ ausrichtet, schreibe ich das natürlich mit einem resignativ-sarkastischen Unterton …

  • am 28.03.2018 um 08:59 Uhr
    Permalink

    Dieses Doppelspiel der Steuer-Umgehung kann problemlos beseitigt werden, indem alle heutigen Steuern gestrichen werden und einzig fossile Energieträger und Kapital-Transaktionen besteuert würden.
    Folgen: Schlanker Staat, soziales und gerechtes Steuersystem, Umweltschutz eingebaut, Energiewende umsetzbar.
    Der Elite wird dieser Vorschlag nicht genehm sein, aber vielleicht dem Volk?

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