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Gesundheitsminister Berset: «Dank dieser Lösung erwarten wir 240 Millionen Einsparungen» © srf

Die Medien plappern dem Bundesrat blindlings nach

upg /  Musterbeispiel von Desinformation: Dank Bundesrats-Entscheid würden Krankenkassen 240 Millionen sparen, meldeten fast alle Medien.

Es geht um die Medikamente im Wert von 5,5 Milliarden Franken, welche die Krankenkassen und Prämienzahler jedes Jahr zahlen müssen: Der Bundesrat habe «neue Bestimmungen beschlossen», die zu «jährlichen Einsparungen von rund 240 Millionen Franken» führen. Das verbreitete das Departement von Gesundheitsminister Alain Berset per Communiqué und an einer Medienkonferenz am 21. März 2012.
In der Tagesschau doppelte Berset nach: «Mit dieser Lösung von heute erwarten wir ab 2012 Einsparungen von 240 Millionen pro Jahr für Patientinnen und Patienten.»

Gouvernementale Berichterstattung

Es gehört zu den Aufgaben der Medien, die Meinung des Bundesrats zu verbreiten: «Nach Angaben des Bundesrats» würden die beschlossenen Massnahmen zu Einsparungen von 240 Millionen führen. Dann aber wäre zu erwarten, dass die Medien solche offiziellen Angaben der Behörden, die gewiefte PR-Leute aufbereitet haben, kritisch hinterfragen.
In diesem Fall war die Mogelpackung ziemlich offensichtlich: Laut Communiqué würden die beschlossenen Verordnungsänderungen sowohl «Nachteile für die Industrie abfedern» als auch «den Versicherten zugutekommen». Das ist die Quadratur des Zirkels, die da erfunden wurde.
Statt aber die Mogelpackung zu öffnen, übernahmen viele Medien die vorgelegten Zahlen als eigene Aussagen, ohne sie zu überprüfen, geschweige denn zu hinterfragen, nach dem Motto «Wenn sie der Bundesrat verbreitet, werden sie schon stimmen». So informierten der Tages-Anzeiger und der Berner Bund als Faktum: «Der Bundesrat senkt die Medikamentenpreise wegen der Euroschwäche um 240 Millionen Franken.»

Faktencheck

Tatsächlich aber haben die PR-Strategen des Bundesrats gezielt falsch informiert – und in ihrem Schlepptau die meisten Medien. Denn es entstand der völlig falsche Eindruck, dass die Medikamente ohne die Entscheide des Bundesrats, also ohne «die Lösung von heute», teurer geblieben wären und es nicht zu diesen Einsparungen von 240 Millionen gekommen wäre.
Das Gegenteil ist wahr: Hätte der Bundesrat die bisherigen Spielregeln unverändert gelassen, würden die Pillenpreise stärker fallen.
Im Vergleich zur bisherigen Praxis kommt es nicht zu Einsparungen, sondern zu Mehrkosten.

Massgebend war schon bisher der Durchschnitt eines Auslandpreisvergleichs. Die noch gültigen Verordnungen schreiben vor, dass jedes Jahr ein Drittel aller kassenpflichtigen Medikamente einen neuen Preisvergleich mit Deutschland, Österreich, Frankreich, England, Niederlande und Dänemark bestehen müssen. Auf dem 12-monatigen Durchschnittspreis dieser sechs Länder gewährte das BAG den Firmen noch einen Aufschlag von jeweils drei Prozent als «Schwankungsreserve».
Die gegenwärtigen Preise der Medikamente sind aufgrund eines Auslandpreisvergleichs immer noch zum Kurs von rund 1.55 Franken festgesetzt.
Der durchschnittliche Kurs der letzten zwölf Monate ist jedoch um zwanzig Prozent auf 1.23 Franken gesunken. Im Laufe dieses Jahres wären deshalb die Preise eines Drittels aller Medikamente automatisch entsprechend gesenkt worden. Dagegen hat sich die Pharmaindustrie gewehrt und die gültige Regelung in Frage gestellt. Sie forderte einen neuen Wechselkurs von 1.40, der angeblich der Kaufkraftparität entspreche.

Auf diese überrissene Forderung ist Bundesrat Alain Berset nicht eingegangen. Doch er hat einem Aufschlag von 5 Prozent zugestimmt, so dass dieses Jahr mit einem Kurs von 1.29 statt 1.23 umgerechnet wird. Das führt zwangsweise zu höheren Medikamentenpreisen als sie ohne diesen Aufschlag wären. Von «Einsparungen aufgrund der Verordnungsänderungen» kann keine Rede sein. Und schon gar nicht von einem «Machtwort zugunsten der Versicherten», wie etwa die Berner Zeitung schrieb. Denn es handelt sich um eine Änderung der gültigen Regelungen zugunsten der Pharmaindustrie.

Bereits eine halbe Milliarde Währungsgewinne

Für ein Entgegenkommen gegenüber der Pharmaindustrie gab es tatsächlich gute Argumente. Keine andere Branche wurde gezwungen, die Währungsgewinne aufgrund des starken Frankens vollumfänglich den Konsumenten weiter zu geben. Der starke Anstieg des Frankens geschah abrupt. Dies kann ausserordentliche Massnahmen und eine Änderung der Spielregeln rechtfertigen – allerdings auch in umgekehrter Richtung.

Es hätte sich aufgedrängt, mit Preisanpassungen ans Ausland nicht zwei und drei Jahre zu warten, sondern eine Gesamtrunde einzuläuten. Denn mehr als zwei Drittel aller Medikamente, welche die Kassen zahlen müssen, werden importiert. Trotzdem sind bis heute überhaupt keine Währungsgewinne abgeschöpft worden. Seit der Frankenkurs auf 1.21 gefallen ist, konnten vor allem ausländische Pharmakonzerne bereits rund eine halbe Milliarde Währungsgewinne einstreichen.

Trotz der neusten Bundesratsentscheide wird dieses Jahr nur ein Drittel aller Medikamente zum Kurs von 1.29 Franken neu berechnet. Ein weiteres Drittel bleibt bis 2013 zum Kurs von 1.55 auf der Preisliste und noch ein weiteres Drittel sogar bis 2014. Die Währungsgewinne werden insgesamt auf weit über eine Milliarde steigen – zu Lasten der Prämienzahler.

Wie stark davon auch Schweizer Pharmakonzerne profitieren, bleibt ein Geschäftsgeheimnis. Denn selbst Novartis und Roche stellen Medikamente oder Teile von Medikamenten zum Teil im Ausland her. Kommt dazu, dass der Schweizer Marktanteil an den Konzernumsätzen von Roche und Novartis nicht einmal ein Prozent ausmacht.

Dessen ungeachtet liess sich die Pharmabranche als «schwer enttäuscht» zitieren. Das darf sie. Sie darf auch an Extremforderungen festhalten. Ob jedoch die Pharmaindustrie insgesamt wirklich «schwer schluckt» – so ein Titel im St. Galler Tagblatt – darf bezweifelt werden. Angesichts des zum Teil noch bis 2014 berücksichtigten Wechselkurses von 1.55 wird sie sich eher ins Fäustchen lachen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor vertritt Patienten und Konsumentinnen in der Eidgenössischen Arzneimittelkommission.

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2 Meinungen

  • am 24.03.2012 um 20:32 Uhr
    Permalink

    Immer wieder klärt der Bundesrat und Parlament mit Halbwahrheiten auf. Auch gibt der Bundesrat und Parlament Empfehlungen im Vorfeld der Abstimmungen an das Stimmvolk ab. Diese «Empehlungen» entpuppen sich im Nachhinein häufig als falsch. Der Bundesrat handelt im Auftrag des Parlaments öfters nach wenigen egoistischen und kurzfristigen Unternehmerinteressen.

  • am 8.04.2012 um 17:55 Uhr
    Permalink

    Ganz ehrlich gesagt mich nerven diese horrenden Summen die den Bach runter gespült werden auch. Ich würde das Pferd aber auch mal von der anderen Seite aufzäumen.
    Wir „Konsumenten“ (ich liebe das Wort !), sind verwöhnte Katzen & Käuze denn wir schmeissen selbst Millionen in den Eimer.
    Ich selbst muss mich am eigenen Kragen nehmen, denn wenn ich meine Haus Apotheke „beziffere“, komme ich glatt auf 300.- fr. wegschmeissmedis. Und ich zähle noch (zu meiner ehre gesagt), zu den sparsamen Arzt Klienten.
    Wenn wir also alles hochrechnen auf die ganze Schweiz kommen wir bestimmt auf rund 2 Milliarden Fr. x Anno von verschwendetem Material der die KK (und somit wiederum wir), um sonst bezahlen müssen.
    Ich würde unbedingt hier mal ansetzen, es wären das Mehrfache als die ventilierten 240 Mio. die Berset uns als angebliche Einsparung verspricht.
    Also die „heilige Kuh Patient“ auch mal energisch in die Verantwortung ziehen, und dies immer wieder, und in JEDER Hinsicht ! Dies braucht auch politischen Mut, … wer hat den ?
    Carmey Bruderer 804.2012

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