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Die Medienpolitik muss sich in der digitalen Medienwelt erst noch zurechtfinden © Screeenshot SRF

Der neue Medienraum (3): für alle digital und multimedia

Robert Ruoff /  Das Mediensystem der Schweiz erlebt einen revolutionären Umbruch. Es ist Zeit für eine Analyse und eine öffentliche Debatte.

Teil 1 und Teil 2 zum neuen Medienraum haben gezeigt, wie durch die Digitalisierung alle Medien im gleichen Online-Medienraum zusammenkommen, und wie auf dem kapitalistischen Markt die Konzentration und Zentralisierung der Medien vorangeht. Gleichzeitig ziehen die globalen Informations- und Kommunikationskonzerne (Google, Facebook und andere) rund drei Viertel der einschlägigen Werbemittel ab vom Schweizer Markt. Qualitäts-Publizistik ist daher aus dem Schweizer Territorium nicht mehr (voll) zu finanzieren.

11) Problemzone: kommerzieller Ertrag. Bei der Mischfinanzierung des Service public der SRG aus der Haushaltsabgabe und den kommerziellen Einnahmen wirken strukturell die gleichen Prozesse wie bei den privat-kommerziellen Medienunternehmen. Unter den Bedingungen des globalisierten Informations- und Medienmarktes wandert die Werbung auch vom Service public beschleunigt ab zu den Internet-Plattformen.

Von diesem globalen Sog wird auch der Service public in seinen kommerziellen Ressourcen angegriffen und dies in einer Phase, in der eine umfassende digitale Transformation vollzogen werden muss. In dieser Phase besteht bei der SRG eine dreifache Beanspruchung der Ressourcen: (1) durch die Erhaltung der Kern-Substanz des bestehenden Angebots für das alte Publikum, (2) durch den Umbau von den tradierten zu den neuen Strukturen und (3) durch den Aufbau neuer Strukturen und Angebote gemäss den Anforderungen sowohl der eigenen digitalen Plattformen als auch für die Präsenz auf Drittplattformen wie YouTube, Instagram und anderen, auf denen die eigenen, zahlenden Teilpublika sich neu versammeln.

12) Transformation als Destabilisierung: Das Publikum der SRG wird künftig noch etwa zur Hälfte das traditionelle Radio- und Fernsehprogramm nutzen und die andere Hälfte das Online-Angebot auf eigenen und Drittplattformen. Das ist die Erwartung des SRG-Generaldirektors Gilles Marchand, und nach dieser Erwartung richten sich auch die Unternehmenseinheiten in den vier Sprachgebieten. Das gilt auch für das Transformationsprojekt «SRF 2024», mit dem das Flaggschiff der SRG in die Zukunft segeln will. Aber mit dieser in der Deutschschweiz aktuell verfolgten Strategie destabilisiert der Service public sich selber, oder genauer: er destabilisiert seine Beziehungen zum Publikum, seine Beziehungen zur Belegschaft und seine Beziehungen zu den anderen Medienhäusern, die ja auch Kooperationspartner im gleichen Tätigkeitsfeld sein sollen.

SRF irritiert und frustriert das Kern-Publikum durch die angekündigte Streichung von Sendungen, die bisher wie «ECO», «52 beste Bücher» oder «Netz Natur» zur Identität des Service public gehörten. Das geschieht ohne nähere Begründung und mit zunächst sehr allgemeinen Ankündigungen künftiger Angebote: «ganzheitliche» Information in Wirtschaft, Politik, Kultur, heisst das in den Statements der SRF-Leitung. Was heisst das konkret für die Zukunft des Service public?

SRF destabilisiert die Beziehungen zur Belegschaft, indem dieses SRG-Unternehmen besonders kompromisslos die Praktiken des «flexiblen Kapitalismus» (Richard Sennett) übernimmt und für das kommende Jahr den Abbau von 211 Vollzeitstellen ankündigt – was so um die zehn Prozent der SRF-Mitarbeitenden betrifft. Und dies auf einem Arbeitsmarkt, der seit Jahren durch Konzentration, Zentralisierung und Stellenabbau geprägt ist. Gleichzeitig will SRF 95 neue Stellen schaffen mit «neuen Berufsbildern und Kompetenzen». Seit den Sparübungen nach «No-Billag» scheint nun also auch im Service-public-Unternehmen SRG die Bereitschaft zu «Flexibilität» zu wachsen, das heisst, zu flexiblen Arbeitsverhältnissen. SRF hat es in den letzten zehn Jahren der sogenannten «Konvergenz» schlicht versäumt, den Qualifikationsmix beim SRF-Personal sanft und kontinuierlich auf die digitale Entwicklung umzustellen. Sonst würde sich der nun geplante forsche Personalumbau nicht aufdrängen –wenn er denn unvermeidlich ist.

Der frühere Direktor Rudolf Matter hat diese «Fluktuation» schon 2018 in Zusammenhang mit dem Umzug des Radiostudios Bern ausdrücklich in Kauf genommen (siehe Infosperber: SRF-Newsroom: Ohne Rücksicht auf Verluste. Oder was?). Er hat dabei kühl mit einem Abgang von bis zu 25 Prozent der Belegschaft gerechnet. Richard Sennett fragt zu solchem Denken und Handeln: «Wie aber können langfristige Ziele verfolgt werden, wenn man im Rahmen einer ganz auf das Kurzfristige ausgerichteten Ökonomie lebt? Wie können Loyalitäten und Verpflichtungen in Institutionen aufrechterhalten werden, die ständig zerbrechen oder immer wieder umstrukturiert werden?» (In: Der flexible Mensch, a.a.O.)

13) Kämpfe der Vergangenheit. SRF destabilisiert schliesslich die Beziehungen zu den Kooperationspartnern in den privaten Medienhäusern der Schweiz, indem es den Anspruch anmeldet, im Informationsbereich die Nummer eins zu sein oder zu Lasten der privaten Konkurrenz darum zu kämpfen. Und die Strukturreformer verlangen von den Programmschaffenden die «Meinungsführerschaft» bei den Themen, die die Menschen in der Schweiz bewegen. Das ist, bei Lichte besehen, ein unnötig aggressiver Auftritt. SRF steht seit Jahren bei der Online-Nutzung im Medienvergleich auf einer Spitzenposition, und in Krisensituationen sind seine Angebote die erste Adresse, wie die Corona-Krise erneut gezeigt hat.

Aber die Wettbewerbslogik spielt: Nach dem ehrgeizigen Strategie-Auftritt von Schweizer Radio und Fernsehen SRF haben sich die alten Fronten sofort wieder gebildet. Der «Tages-Anzeiger» sprach von «Staatsfernsehen» und erinnerte an die Bundesverfassung, die verlangt, «auf die Aufgabe der anderen Medien, vor allem der Presse, ist Rücksicht zu nehmen». Und in der NZZ notierte Rainer Stadler noch einmal, der Konflikt sei programmiert.

Im Lichte medienpolitischer Vernunft sind das aber Kämpfe der Vergangenheit. Der Medienartikel in der Schweizerischen Bundesverfassung ist durch die Entwicklung schlicht überholt, insbesondere Art. 93.4. Beide Anbieter, der konzessionierte Service public der SRG und die privaten Medienunternehmen, bewegen sich zunehmend in einer gemeinsamen multimedialen Welt, und sie bedienen im Ganzen das gleiche nationale Territorium. Sie sind kommerziell auch beide der gleichen globalen Konkurrenz ausgesetzt, die erhebliche Mittel aus dem Schweizer Medienmarkt abzieht. Rund drei Viertel der Erträge aus Onlinewerbung geht an die grossen Tech-Giganten (Google, Facebook u.a.), ein relevanter Teil der TV-Werbung geht an ausländische Werbefenster, und der Bundesrat musste wegen des Rückgangs der kommerziellen Erträge ab 2021 eine Erhöhung des SRG-Anteils an der Haushaltabgabe um 50 Mio. CHF beschliessen. Diese Tendenz wird sich für die SRG auch ohne Corona fortsetzen.

Generell gilt: Die Werbeeinkünfte der Schweizer Medienunternehmen werden weiter zurückgehen, und die Qualitäts-Publizistik1 in der Schweiz kann aus dem kleinen Schweizer Markt nicht mehr (voll) finanziert werden. Es liegt im Interesse des zahlenden Publikums sowie der öffentlich und der kommerziell finanzierten Medienhäuser, den wirtschaftlichen Kampf um Einkünfte durch eine noch klarere gegenseitige Abgrenzung voneinander so weit wie möglich zu reduzieren und im Gegenzug den publizistischen Wettbewerb zu stärken. Das heisst zum Beispiel, dass die SRG und ihre Unternehmenseinheiten sich bei der Text-Konkurrenz mit Kurznachrichten konsequent zurückhalten und dafür auf der Basis von Audio und Video ebenso konsequent auf Qualitäts-Produktion setzen. Das würde – zum Beispiel – im Textbereich die vollständige Wiedergabe von Texten aus aktuellen Hintergrund-Sendungen nach sich ziehen und den Verzicht auf die unjournalistische Begrenzung von Textlängen.

14) Duales Modell der Qualitäts-Publizistik. Ein derartiger konsequenter Abbau von Reibungsflächen entspannt die Beziehungen und erleichtert die Kooperation. Im technischen und im Ausbildungsbereich und auch bei gewissen Bereichen der Programmzusammenarbeit hat sie sich in den letzten Jahren bereits entwickelt.

Im wirtschaftlichen Bereich heisst das: Das Zusammenleben im neuen, multimedialen Medienraum wird erleichtert durch den Aufbau eines dualen Systems und durch die ökonomische Anerkennung der Tatsache, dass Qualitäts-Publizistik – als Element der publizistischen Infrastruktur der Demokratie – zwar unverzichtbar ist, aber in den heutigen Strukturen aus dem Markt nicht mehr finanzierbar. «Duales Modell» bedeutet, dass die SRG ganz auf Werbung verzichten muss und dass dieser Verzicht durch einen entsprechenden Abgabenanteil kompensiert würde. Duales Modell heisst, dass sich die privat-kommerziellen Medienunternehmen öffnen für die direkte Medienförderung und die damit verbundenen (formalen und quantitativen) Leistungsaufträge. Und es bedeutet, dass in diesem Modell die Mischfinanzierung auf die Seite der Privat-Kommerziellen verschoben wird.

Werbeverzicht bedeutet nicht nur, dass der kommerzielle Markt ganz den kommerziellen Medienunternehmen überlassen bleibt. Für den Service public ist er auch eine Qualitätssicherung: Die Jagd nach der Reichweite erledigt sich, und auch eine kommerzialisierte Programmstruktur wie die kleinteiligen Sendungselemente im linearen Fernsehprogramm zur Bereitstellung von Werbefenstern wird hinfällig. Das ist eine Wohltat für die Produktion von Programmschwerpunkten (Themenabende und Ähnliches).

Auf der anderen Seite sehen die vom Bundesrat vorgeschlagenen Massnahmen zur Medienförderung bereits vor, dass die Ressourcen der Privaten durch einen angemessenen öffentlichen Beitrag aufgestockt werden, um ihre Existenz und den publizistischen Wettbewerb zu sichern.

Das erfolgt im Interesse einer Angebots-Konkurrenz, die im lokal-regionalen Radio-Fernseh-Bereich bisher schon von der öffentlichen Hand gestützt wird, unter Gewährleistung der redaktionellen Unabhängigkeit. Die Mischfinanzierung wird also einfach konsequent auf die Seite der kommerziellen Unternehmen verschoben – wo sie hingehört. Und der Service public der SRG wird vom kommerziellen Reichweitendenken und vom Zwang zu einer kommerzialisierten Programmstruktur befreit.

15) Utopie? Oder Hirngespinste? Wir sind doch schon auf dem Weg dahin. Die Werbeerträge bei der SRG werden weiter schrumpfen. Die audiovisuellen Angebote der Privaten werden zielbewusst zu Werbeträgern der Zukunft entwickelt. Die kommerziellen Medienhäuser arbeiten bis in die Feinstrukturen daran. Ob Tamedia/TX Group, Ringier, NZZ oder CH Media: Alle setzen stark auf Video und Audio. Und nun haben die Verleger zugunsten der Medienförderung für ihre Online-Angebote sogar den jahrzehntelangen Widerstand gegen eine direkte Medienförderung aufgegeben. Das sind ein paar kleine Zeichen für einen grösseren Richtungswechsel.

SRG-Generaldirektor Gilles Marchand hat schon im November 2019 (im grossen Gespräch mit der MEDIENWOCHE) auf die Frage nach einem Werbeverzicht der SRG geantwortet: «Ich bin offen für alle Diskussionen», und: «Was die SRG braucht, ist ein korrektes, berechenbares Budget.» Eine reine Abgabenfinanzierung würde «berechenbar», im Gegensatz zur Ungewissheit auf dem Werbemarkt. Und die Privaten sind in Zukunft nicht nur wegen der gleichen digitalen Technologie im gleichen multimedialen Raum wie die SRG; sie speisen sich künftig teilweise auch aus derselben öffentlichen Finanzquelle wie die SRG.

Es geht also nur noch darum, ein paar Rahmenbedingungen zu klären. Nach dem Motto: Der Teufel steckt im Detail. Aber die Marktentwicklung kann zusammen mit der Corona-Seuche der Politik helfen, sie durchzusetzen.

16) Öffentliches Geld gleich Leistungsauftrag. Zum Bezug öffentlicher Mittel gehört grundsätzlich eine Zweckbindung, also eine Leistungsvereinbarung. Es stellt sich allerdings die Frage, ob das scheinbar plausible Muster des Programmauftrags für die privaten konzessionierten Anbieter noch gelten kann.

Grundsätzlich lebt die gesellschafts-politische Publizistik in der Schweiz nicht nur bei der wirtschaftlichen Organisation, sondern auch beim inhaltlichen Angebot von einem dualen Modell. Beim Verfassungsartikel für Radio und Fernsehen haben sich Bundesrat und Parlament und dann das Volk für eine Programmautonomie im Rahmen eines Leistungsauftrags entschieden (Art. 93.2 BV). Der gleiche Ansatz wurde für die Konzessionierung und Gebührenfinanzierung privater Radio- und Fernsehstationen angewendet. Die Quasi-Monopolstellung dieser Sender in ihren Konzessionsgebieten liess etwa die Forderung nach einer «Vielfalt an Meinungen und Interessen» und von «Personen beziehungsweise Personengruppen» als folgerichtig erscheinen. Mit diesem staatlichen Eingriff wird aber die Freiheit der Medien (Art. 17 BV) auf eine Autonomie im Rahmen einer Konzession reduziert, das heisst: Diese Form von Vielfalt wäre bei den neuen Online-Angeboten ein Eingriff in die Medienfreiheit (der bisherigen Presse), die nun auch in elektronischer Form verbreitet wird.

Ein solcher Eingriff ist abzulehnen und er ist auch nicht mehr notwendig. Er ist nicht mehr notwendig, weil aus der digitalen Technologie keine Monopol- oder Oligopolsituationen mehr erwachsen wie bei der früheren Frequenzknappheit des Rundfunks. Und die vorgesehene finanzielle Förderung der digitalen Verbreitungstechnik mit öffentlichen Geldern aus der Medienabgabe eliminiert oder reduziert entscheidend wirtschaftliche Nöte aus allenfalls technischen Gründen.

17) Neuer Verfassungsrahmen. Es wäre deshalb folgerichtig, an dem historisch gewachsenen dualen publizistischen System festzuhalten, in dem der öffentlich finanzierte nationale Service public der SRG seine Programmautonomie im Rahmen eines Konzessionsauftrags mit Binnenvielfalt ausübt, während die gemischt finanzierten privat-kommerziellen Anbieter ihre gesellschaftlich-politische Ausrichtung im Rahmen publizistischer Leitlinien auf der Basis der Medienfreiheit festlegen. Vielfalt entsteht in diesem Verständnis aus dem Genuss der uneingeschränkten Medienfreiheit durch die Vielzahl der eigenständigen Medien-Angebote.

In diesem Rahmen müsste sich der Leistungsauftrag für dieser Privaten also auf formale und quantitative Anforderungen (wie: Umfang der Informationsleistungen, redaktionelle Kapazitäten u. ä.) begrenzen. Umso wichtiger werden dabei die Bedingungen für die Gewährleistung der Qualität, der personellen Ausstattung und der Arbeitsbedingungen.

Selbstverständlich können öffentliche Mittel nur an publizistisch tätige Unternehmen gehen, die sich auf die Einhaltung der ethischen und handwerklichen Standards (Pflichten und Rechte des Journalismus) verpflichten, sowie Entscheidungen der zuständigen Standesorganisation (Presserat) respektieren und einhalten. Verstösse können sanktioniert werden. Auf dieser Grundlage kommt auch die Selbstverwaltung und die Eigenverantwortung der privat-kommerziellen Presse weiterhin zum Tragen.

Um so wichtiger ist es, dass die Vielfalt der unterschiedlichen Medienanbieter nicht in einem verfassungsrechtlichen Schnellschuss noch weiter eingeebnet wird, wie das die parlamentarische Initiative (18.473) von alt Ständerat Filippo Lombardi (CVP/TI) und Ständerat Beat Rieder (CVP/VS) vorschlägt. In dieser schlagen die beiden vor, die direkte Presseförderung für die private Presse einfach dadurch zu ermöglichen, dass der Artikel 93 der Bundesverfassung einfach zu einem Artikel über sämtliche «Medien» umfunktioniert wird. Mit dem gleichen Leistungsauftrag für alle – bis hin zur «Vielfalt der Meinungen» – und folgerichtig dann wohl auch der gleichen staatlichen Aufsicht unterstellt. Das ist nicht nur systemwidrig. Das ist, wie «Reporter ohne Grenzen Schweiz» zu Recht moniert, schlicht nicht möglich, «ohne die Pressefreiheit zu gefährden».

Ein neuer Verfassungsrahmen drängt sich für den neuen gemeinsamen Medienraum der Schweiz aus diesen und andern Gründen jedenfalls auf.

18) Garantie für konstruktive Marktkräfte: Mit einer zügig beschlossenen Vielfalts-orientierten Medienförderung kaufen sich Politik und Gesellschaft Zeit und Freiheit für praktische Erfahrung, für Denkarbeit und für wohlbegründete Entscheidungen für einen neuen Verfassungsrahmen. Der Bedarf für umfassende Medienkompetenz des Bundes ist offenkundig; die digitale Informationstechnologie hat nun einmal einen übergreifenden Lebensraum und damit auch einen gemeinsamen Medienraum erzeugt. Die Risiken der datengetriebenen technokratischen Organisation auch der Medien sind gewaltig, weil unsere Wirtschaftsweise nicht zum Pluralismus drängt. Und gerade auch im Mediensektor zeigt sich der Trend zum Oligopol, wenn nicht gar zu monopolistischen Strukturen, wenn die Gemeinschaft nicht die Werte von Unabhängigkeit, Meinungsfreiheit, Meinungs- und Gestaltungsvielfalt und Demokratie institutionell absichert.

Der Bund soll deshalb zwar zuständig sein für die Rahmengesetzgebung, das heisst insbesondere für den verfassungsmässigen Rahmen der Medienentwicklung. Die Gestaltung und Regulierung des Medienraums und des Zusammenwirkens der publizistischen Anbieter soll aber einer möglichst staatsfernen, wirtschaftsunabhängigen und pluralistischen Institution übertragen werden.

Auch für die Qualitäts-Medien gilt, was der Mathematiker Norbert Wiener, Begründer der Kybernetik und einer der Väter der heutigen Informationstechnologie, im Jahr 1947 für die Wissenschaft sagte, nämlich «dass wir eine Gesellschaft haben müssen, die auf menschliche Werte gegründet ist und nicht auf Kaufen und Verkaufen». (In: Norbert Wiener: Kybernetik. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1963)

19) Qualitätsführerschaft. Der öffentlich finanzierte (werbefreie) Service public ist unter den gegebenen Marktbedingungen Garant der Unabhängigkeit von destruktiven Marktkräften sowie, durch die bei ihm institutionalisierte Binnenvielfalt, Garant des Fortbestands konstruktiver Marktkräfte. Er belebt das Forum der Meinungsfreiheit und damit der Meinungsvielfalt, und es ist ihm durch Gesetz und Konzession ein besonderes Augenmerk auf die Sicherung der Qualität und die Berücksichtigung der Bedürfnisse gesellschaftlicher Gruppen aufgetragen (jüngere und ältere Generationen, Diversität, Ethnien, Migranten, Behinderte, Weltanschauungen/Religionen).

Der Service public hat deshalb aber keinen Auftrag zu einer «Meinungsführerschaft». Meinungsfreiheit, Entscheidungsfreiheit und Handlungsfreiheit bilden für alle eine qualifizierte Dreiheit; Service-public-Medien sollen dafür Informationsvielfalt sowie Entscheidungs- und Handlungsoptionen anbieten.

20) Offen für die Gesellschaft. Service public bedeutet Qualitätsführerschaft in sachgerechter Substanz, Relevanz und attraktiver Vermittlungsleistung. Er bedeutet nicht in erster Linie das Abarbeiten einer parteipolitischen Agenda, sondern zumindest in gleichem Mass das Aufarbeiten der drängenden Probleme der Gesellschaft, der aktuellen Herausforderungen und Zukunftsprobleme, das Herausarbeiten von Handlungsoptionen für das Volk als Souverän und die transparente Konfrontation der Entscheidungsträger mit den Interessen der Bevölkerung und ihrer Gruppierungen.

Das gilt nicht zuletzt für Themen, die von Volksvertretern und den Machthabenden aus irgendwelchen Gründen aus der öffentlichen Debatte verdrängt werden. Der Grundauftrag des Service public heisst nicht «to win, to dominate»! Der Grundauftrag bleibt «to inform, to educate, to entertain».

————

FUSSNOTE:
1 Die Begriffe «Qualitäts-Medien», «Qualitäts-Journalismus», «Qualitäts-Publizistik» werden in diesem Text übergreifend für öffentlich und privat-kommerziell finanzierte Medien verwendet.


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Eine Meinung zu

  • am 11.12.2020 um 21:42 Uhr
    Permalink

    Sehr guter Artikel. Ich bin nur nicht sicher ob eine ’staatsferne, wirtschaftsunabhängige und pluralistische Institution›
    und eine entspechede Finanzierung das momentane Unvermögen der Konsumenten und Produzenten mit dem digitalen Medienraum lösen kann
    (alle, welche diesen Artiel gelesen haben ausgeschlossen:). Letztendlich bestimmen die Konsumenten duch ihre klicks was ihnen vorgesetzt wird.
    Dies lässt ich einigermassen schwarz sehen …

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