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Die Medienpolitik muss sich in der digitalen Welt erst noch zurechtfinden. © Screenshot SRF

Der neue Medienraum (2): für alle digital und multimedial

Robert Ruoff /  Das Mediensystem der Schweiz erlebt einen revolutionären Umbruch. Es ist Zeit für eine Analyse und eine öffentliche Debatte.

Teil 1 zum neuen Medienraum stellt fest: Alles ist digital, immer mehr wird multimedial. Das ist die Medienwelt von heute und morgen. Aber trotz der digitalen Revolution bleibt der historische Auftrag. Und es bleibt auch der politische Versuch, den Service public zugunsten der Privaten zu beschränken. Es bleibt die Tendenz des kapitalistischen Marktes zu Konzentration und Zentralisierung – eine Gesetzmässigkeit, der sich die privaten Medienhäuser unterziehen.

7) Die Wirklichkeit des Medienmarktes. Die Zentralisierung auf dem Medienmarkt ist kein Naturgesetz; sie ist das Ergebnis einer bestimmten Wirtschaftsweise. Die Verleger haben das Geschäftsmodell für ihre Medien selber zerlegt, indem sie das Inserategeschäft aus dem redaktionellen Rahmen herausgelöst und zu einem jeweils eigenständigen Unternehmensteil gemacht haben. Und aus der privaten Unternehmerlogik verbieten sie sich selber, die publizistischen Angebote aus dem Ertrag der Anzeigenplattformen querzufinanzieren. Warum also sollte die Öffentlichkeit die Folgen dieser betriebswirtschaftlichen Entscheidungen mit öffentlichen Mitteln kompensieren? Als Unterfütterung privater Gewinne von Anteilseignern? Als Absicherung für veraltete Medienstrukturen der Print-Medien? Oder zur Aufrechterhaltung einer Systemkonkurrenz zwischen privat und öffentlich finanzierten Medienunternehmen?

8) Ansätze zu neuen Angeboten. Eine zukunftsfähige Medienpolitik muss investieren in Medien mit Zukunft, und dazu gehören auch einige redaktionelle Online-Angebote, die sich unter anderem im Verband gleichen Namens zusammengeschlossen haben. Sie versuchen, in der Medienlandschaft eine Biodiversität zu erhalten oder wieder herzustellen, indem sie – zum Teil durchaus erfolgreich – in lokal-regionale oder politische Leerstellen hinein arbeiten, vernachlässigte Aspekte der nationalen oder internationalen Politik aufgreifen oder ganze Themenbereiche wie Kultur, Wissenschaft oder Medien abdecken, die im Zuge der Konzentration und der profitorientierten Rationalisierung bei grösseren Medienhäusern verloren gegangen sind.

Oder sie gehen zurück zu den Wurzeln des Journalismus, der aus klar erkennbaren Bedürfnissen und Interessen in der Gesellschaft entstanden ist, wie vor 240 Jahren die bürgerlich-intellektuelle «Zürcher Zeitung»1. Diese Publikationen versuchen heute wieder, um das publizistische Produkt herum eine aktive Community zu bilden, die sich um bestimmte – auch wechselnde – Themen versammelt (tsüri.ch) oder den Abonnenten als «Verleger-innen» wenigstens eine regelmässige Diskussion der publizistischen Linie ermöglicht (Republik).

9) Politischer Kampf um die Marktmacht. Die Reichweite der allermeisten «Medien mit Zukunft» ist allerdings noch immer vergleichsweise gering. Ihr Problem ist in der Regel die Skalierung des Geschäftsmodells, um die notwendige Grösse für das Bestehen auf dem Markt zu erreichen. Der Versuch des Bundesrats, diesen Publikationen mit einer auf zehn Jahre angelegten Förderung eine Wachstumschance zu geben, ist schon deshalb ein unverzichtbarer Bestandteil des Förderungspakets, weil ein Grossteil der vorgesehenen Massnahmen überlebte Strukturen erhalten soll. Profitieren würden davon in hohem Mass die verbliebenen Schweizer Grossverlage.

Nun sperrt sich eine in sich ziemlich widersprüchliche Koalition bürgerlicher Parteien von der SVP bis zur GLP zum wiederholten Mal gegen das Massnahmenpaket des Bundesrats – entgegen der ausdrücklichen Mehrheit des Nationalrats. Entgegen den übereinstimmenden Stellungnahmen von Experten unterschiedlicher Ausrichtung. Entgegen dem massiven Votum des Souveräns bei der «No-Billag»-Abstimmung und entgegen jüngeren Umfragen, bei denen die öffentliche Finanzierung der Medien deutliche Zustimmung gefunden hat.

Die Haltung dieser Koalition von medienpolitischen «Kompromissverweigerern» verschmilzt Elemente einer libertären oder konservativen oder technokratischen Ideologie, und sie verbindet sich mit Interessen der Verleger von CH-Media und Tamedia, denen die Millionen für die Zeitungszustellung offenbar noch immer nicht genügen. Und denen es missfällt, dass die kleinen lokal-regionalen Online-Anbieter wie «tsüri.ch», «zentralplus» oder «bajour» eine anteilmässig stärkere Anschubförderung erhalten sollen als die Online-Angebote aus ihren ohnehin deutlich auflagen- und einnahmenstärkeren Publikationen.

Dabei wäre die Förderung der Vielfalt auch und gerade im lokalen und regionalen Bereich für die direkte Demokratie besonders wichtig. Die Konzentrationsprozesse haben auch in den lokal-regionalen Bereichen stattgefunden, und die Vereinheitlichung der Inhalte durch Zentralredaktionen findet auch dort statt. Für die Medienpolitik im neuen Medienraum ist deshalb der Kunstgriff gesucht, der die Bündelung der Kräfte für die Sicherung der Qualität mit der Stärkung der Vielfalt verbindet.

10) Degressive Finanzierung, progressive Vielfalt. Das bundesrätliche Konzept zur Medienförderung folgt zu Recht der Idee der Medienvielfalt für die direkte Demokratie, das heisst: Finanzielle Förderung gibt es nur für Medien, deren Journalismus von den Nutzerinnen und Nutzern mitfinanziert wird und nicht nur aus Werbung. Und es sollen die kleinen Online-Angebote verhältnismässig stärker gefördert werden als die ertragreicheren Produkte der Grossverlage, damit sie wachsen und zu einer starken Vielfalt beitragen können. Das meint das Wort von der «degressiven» Förderung – und das gilt bereits für die Online-Angebote selber. So soll das kleinere Stadtmagazin «tsüri.ch» einen Zuschuss von nochmals rund 80 Prozent der Erträge aus seiner Community erhalten, während die schon deutlich ertragsstärkere «Republik» mit vielleicht 10 – 20 Prozent seiner Einnahmen Vorlieb nehmen müsste. Und für die Online-Ausgaben der Grossverlage wäre der Prozentsatz nochmals deutlich niedriger. Das mögen sie nicht, und sie sagen das auch.

Mit ihrer Verzögerungstaktik stützen die politischen Gegner der öffentlich geförderten Medienvielfalt in der Politik die Interessen der Grossverlage. Der Bundesrat hat die Corona-Nothilfe für die Medien verlängert. Aber die kleinen Online-Angebote kommen nicht in den Genuss dieser Unterstützung, denn sie erhalten noch keine direkte Förderung. Der Verband «Medien mit Zukunft» geht davon aus, dass die meisten Mitglieder dem Druck bis etwa Anfang 2022 standhalten können. Danach würden einige vor leeren Kassen stehen. Und Kenner der parlamentarischen Abläufe wollen nicht ausschliessen, dass unter den bestehenden Mehrheitsverhältnissen in der Kommunikationskommission des Nationalrats (KVF-N) die Medienförderung erst 2023 in Kraft treten könnte. Damit könnte die Verzögerung bei kleineren Anbietern eine vernichtende Wirkung entfalten. Sarkastisch formuliert hiesse das: Die Gefahr einer progressiveren Vielfalt durch eine degressive Förderung wäre gebannt.

Die Verhinderung von Medienvielfalt durch Medienpolitik wäre allerdings ein Grund mehr für die Einrichtung einer staats- und politikfernen Regulierungsbehörde für den gesamten Medienbereich.

Teil 3 des Artikels folgt am Freitag, 11. Dezember.

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FUSSNOTE:
1 So hiess die Publikation zu ihrer Gründung 1780; erst ab 1821 (Jubiläum!) wurde sie als «Neue Zürcher Zeitung» unter die Leute gebracht.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

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