Kommentar

kontertext: Ueli Maurers doppelte Buchführung

Christoph Wegmann © zvg

Christoph Wegmann /  Wie Stimmungskonjunkturen und Bilanzbewertungen ineinander spielen. Ein finanzpolitisches Scherzo.

Finanzzahlen sind farbig und laut: Es gibt tiefrote Schlussrechnungen und schwarze Nullen. Oder die fette rote 100’000.

Als Finanzminister Ueli Maurer Ende Januar 2021 eine Erhöhung der Härtefallgelder und weitere Finanzhilfen schlucken musste, machte ihm dies sichtlich so wenig Lust wie einst die Herumreiserei als Bundespräsident. Er rechnete der Nation vor, dass der zweite Shutdown vom 18. Dezember bis Ende Februar den Bund sage und schreibe 150 Millionen Franken pro Tag koste, das seien 6 Millionen pro Stunde oder jede Minute 100’000 Franken («Tagblatt», 27.1.2021). Finanztechnisch nennt man einen solchen Zahlenzauber «Bilanzaufbereitung», und die Maurer’sche sagt uns: Die Schweiz verblutet mit offenen Adern, die Bevölkerung und die in Bedrängnis geratenen Betriebe können weitere Begehrlichkeiten glatt vergessen.

100’000 Franken sind schon schmerzlich viel Geld, dafür musste Ueli Maurer 2020 fast zweieinhalb Monate lang Bundesrat sein, Sergio Ermotti knappe vier Tage UBS-Konzernchef und Vas Narasimhan fast drei Tage lang Novartis-CEO. Bereitet man die rote 100’000 statistisch etwas anders auf, schrumpft sie indes auf unscheinbare 75 Rappen pro Kopf der Bevölkerung und Stunde – ein eher karger Stundenlohn. Übrigens brauchte 2020 die Nationalbank bloss zweieinhalb Minuten, um das Stundendefizit von 6 Millionen zu erwirtschaften. Kein Rot, weit und breit.

Vom Corona-Burgfrieden zur Corona-Kakophonie

Vor einem guten Jahr hat der Finanzvorsteher noch so ganz anders geklungen, zuversichtlich, finanzstark, robust. Da herrschte aber auch eine Art Corona-Burgfrieden, die SVP-Granden verkündeten in die Mikrophone, nun sei Pandemie und selbstverständlich eine starke Führung angesagt, man dürfe jetzt dem Bundesrat nicht dreinreden! Und Ueli Maurer versprach an der Pressekonferenz vom 19.3.2020 anlässlich des ersten Hilfspakets von 42 Milliarden: «Wenn es mehr Geld braucht, stellen wir diese Beträge zur Verfügung. Wir kennen die Probleme, die wir jetzt zu lösen haben. Und wenn morgen neue Probleme auftauchen, dann lösen wir die wieder. Ist doch klar» («Aargauer Zeitung», 20.3.2020), der »robuste Zustand« des Schweizer Finanzplatzes erlaube das. Das schaffte Vertrauen und Zuversicht.

Aber schon bald gab es die ersten Corona-Demos, ein seltsamer Mix von EsoterikerInnen und Rechtsradikalen, Anarcholibertären und Erzfrommen. Und es waren aus guten Gründen auch Kleinunternehmer und Kulturschaffende dabei, die alle ihre ernsten Bilanzprobleme hatten. Nun war ein Potential da, das es politisch zu bewirtschaften galt und gleich drängten sich die Kräfte vor, die Angst vor dem Corona-Sozialismus schürten. Der Corona-Burgfrieden zerbröselte und die Bilanzaufbereitungen änderten sich.

Maurers zweite Bilanzaufbereitung

Bereits im April krebste der Finanzminister zurück und blickte plötzlich ganz anders auf die Zahlen und in die Kamera. Statt dem robusten: «Und wenn morgen neue Probleme auftauchen, dann lösen wir die wieder. Ist doch klar», meinte er nun: «Mir ist es nicht mehr wohl in meiner Haut» («NZZ», 29.4.2020). Er hatte nun die rote Brille aufgesetzt. Den kleinen Betrieben aber war es nicht mehr wohl in ihrer Haut, sie warteten auf eine Lösung der Mietzinsfrage.

Maurer tat das Seine als Treiber der Stimmungskonjunktur. So zeigte er sich im T-Shirt der «Tellenbewegung» mit dem Slogan «Tell wo bist du? Die verfluchten Vögte sind wieder im Land» und benutzte finanzfremde Ausdrücke wie «Corona-Diktatur». Wer sich dagegen wehre, behauptete er auf schmaler Faktenbasis, werde einfach weggesperrt: «Solche Dinge tun mir weh in einer Demokratie». Dabei bezog er sich allein auf den Fall eines Mannes, der von der Luzerner Polizei vorübergehend verhaftet worden war, weil er mit 50 anderen auf einem Schulhausplatz gegen eine nicht existierende Maskenpflicht rebellierte und der wiederholten Aufforderung, den Ort zu verlassen, nicht Folge leisten wollte.

Die Stimmungskurve verschob die Bilanzbewertung massiv, mit Zuversicht war nun Schluss. «Wir haben nicht noch einmal 30 Milliarden», dekretierte Maurer Ende Oktober («Aargauer Zeitung», 24.10.2020), denn die im Frühjahr beschlossenen Massnahmen würden uns auf Jahrzehnte hinaus schwer belasten – trotz robustem Finanzplatz.

Maurer sprach so, als würde der Staat auf dem Bundesplatz mutwillig Geld verbrennen. Dabei müssen die Kredite zurückbezahlt werden, der Staat garantiert den Banken den Rücklauf, die Kurzarbeitsgelder sollen Arbeitsplätze auf Dauer erhalten. Und obwohl von den im März bereitgestellten 20 Milliarden an Krediten («Und wenn morgen neue Probleme auftauchen, dann lösen wir die wieder. Ist doch klar») im Oktober nur etwas mehr als 16 Milliarden genutzt worden waren und eben die »zweite Welle« anlief, erklärte der Finanzminister: «Flächendeckende Programme können und müssen wir uns auch nicht mehr leisten.» («SRF News», 30.10.2020). Viele Betriebe warteten weiterhin auf die einst versprochene Unterstützung.

Ein Winter der Härtefälle

Da die wirtschaftlichen Probleme partout nicht weg wollten, sollten sie fortan als Härtefälle geregelt werden. Ein sehr steiniger Weg für die Betroffenen, dem Maurer aber nur ungern zustimmte: «Das gibt einen Schuldenberg für die Olympischen Spiele, der ist so hoch, dass er schneesicher ist», kommentierte er mit seinem unverwechselbaren goldenen Humor. Und Lohnersatz für die Geringverdienenden in Kurzarbeit? Vielleicht, vielleicht, denn »wir müssen schauen, dass nicht die Schwächsten durch die Maschen fallen.» Viele Kulturschaffende und Ausgesteuerte waren da längst durch alle Maschen gefallen. Insgesamt bilanzierte Maurer humorlos: «Mich reut jeder Franken.» (Tagesanzeiger, 11.12.2020) Interessant, wie der nationale Finanzchef in den heikelsten Krisenmomenten seine persönliche Befindlichkeit ins Feld führt, als wäre er es, der Hilfe braucht: Ihm ist nicht wohl in seiner Haut, ihm tut es weh, ihn reut es…

«Together ahead»

Und jetzt eben das: Zu Maurers Verdruss beschloss die Landesregierung Ende Januar unter dem Druck der Situation, die Hilfsmassnahmen aufzustocken, und zwar «pro Minute um 100’000 Franken», am 17. Februar gibt sie sogar eine Verdoppelung der Härtefallgelder auf 10 Milliarden bekannt. Maurer kommentiert dieses Mal aber gelassen und ohne Zahlenspiele: «Wir stehen als Gremium hinter den Beschlüssen», sagt er. Und nachdem die SVP eben mit der Figur Berset als Diktator und Gesslerpopanz Stimmung gemacht hat, reagiert Maurer antizyklisch: «Und es ist nicht Herr Berset, der etwas entscheidet, es ist immer der Bundesrat.».

Auch finanzpolitisch scheint er anders gestimmt, selbst die bürgerliche Mehrheit sieht ja in den Hilfsmassnahmen eine lässliche Sünde, also nur etwas Mittelrotes, nicht einmal SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi, der sonst schnell das kommunistische Gespenst auftauchen sieht, wenn der Staat handeln muss, sprach sich dagegen aus: Die Wirtschaft brauche diese Hilfen.

Warum dem so ist, wird verständlich, wenn man am 26.1.2021 im »Kassensturz« den Bericht (10:40–36:10) über einen Yoga-Corner gesehen hat, deren Besitzerin in argen wirtschaftlichen Nöten steckt und die den vom Bund zugesprochenen Kredit von 25’535 Fr. direkt und vollumfänglich an ihren Vermieter überweisen musste, und zwar an Wincasa, eine der führenden und florierenden Immobilienfirmen des Landes. Der Fall ist alles andere als ein Einzelfall, und so fliessen die Hilfsgelder schwarz gewaschen wundersamerweise aufwärts.

In der Krise geht es eben nur gemeinsam voran. Diese Wahrheit ist Bundesrat Maurer vertraut, hat er sich doch während seines Besuchs bei Donald Trump im Mai 2019 mit einem Dankeswort und einem Sinnspruch ins Gästebuch des «Withe House» eingetragen: «Togethe ahead» («Nau», 17.5.2019). Zwar stecken zwei kleine Verschreiber in seinem Eintrag, gleichwohl ist die Devise der nationalen Waffenschmiede RUAG, die Ueli Maurer ans Herz gewachsen ist, sofort erkennbar: «Together ahead». Ganz im Geist ihres Wahlspruchs hat übrigens die RUAG, welche die Helikopter und Flugzeuge der Schweizer Luftwaffe wartet, dem VBS in den Jahren 2013 bis 2017 40 bis 50 Millionen Franken nicht verursachergerecht in Rechnung gestellt.

Das wären etwa 8 Stunden Covid-Neuverschuldung gewesen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.
Christoph Wegmann, geboren 1948, lebt in Basel. Er studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie und unterrichtete an Gymnasien und in der Erwachsenenbildung. Im Mai 2019 erschien im Berliner Quintus Verlag seine Bildstudie «Der Bilderfex. Im imaginären Museum Theodor Fontanes».

Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann (Redaktion, Koordination), Silvia Henke, Mathias Knauer, Guy Krneta, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Martina Süess, Ariane Tanner, Rudolf Walther, Christoph Wegmann, Matthias Zehnder.

Zum Infosperber-Dossier:

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2 Meinungen

  • am 24.02.2021 um 08:50 Uhr
    Permalink

    Dieser Artikel unterstreicht, dass es beim Infosperber noch Meinungsfreiheit gibt, das ist leider das einzig positive was mir zu dem einfällt.

    Ein Rundumschlag gegen Ueli Maurer, welcher mit den «Verschwörungstheoretikern» («EsoterikerInnen und Rechtsradikalen, Anarcholibertären und Erzfrommen») im gleichen Boot sitz.

    Eben, Meinungsfreiheit, welche den Leitmedien abhanden gekommen ist.

  • am 24.02.2021 um 10:31 Uhr
    Permalink

    Einverstanden: Der Staat sollte wirtschaftliche Schäden, die durch die Lockdown-Massnahmen verursacht werden, viel grosszügiger begleichen. So können die Schäden von allen gemeinsam getragen werden, und nicht nur von denen, die unverschuldet direkt getroffen wurden.

    Einverstanden: Die Schweiz kann sich das leisten.

    Aber: Die Schweiz ist ein ausgesprochener Sonderfall. Wir sind eines der reichsten Länder der Welt. Wir sind eines der ganz weinigen Länder, deren grösstes Währungsproblem darin besteht, dass die Landeswährung zu stark werden könnte. Das ist für die Nationalbank quasi eine Lizenz zum Gelddrucken ohnen schädliche Nebenwirkungen.

    In einem grösseren Rahmen betrachtet sollten wir die Probleme durch die wirtschaftlichen Schäden nicht unterschätzen. Die Ärmsten werden sie ausbaden müssen. Weltweit betrachtet bin ich ziemlich sicher, dass die Massnahmen mehr Schaden als Nutzen gebracht haben.

    P.S.: Ein Ueli-Maurer-Bashing von der einen Seite ist etwa gleich angebracht wie ein Alain-Berset-Bashing von der anderen Seite. Die wichtigen Entscheide werden vom Gesamtbundesrat getroffen und auch verantwortet.

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