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Teil der bis zu neun Meter hohen Mauer, die über 700 Kilometer lang werden soll. © Johannes Lang

Eine über 700 km lange Mauer, 3x so hoch wie die Berliner Mauer

Red. /  Israel hat den Bau vor zwanzig Jahren nach Attentaten begonnen. Die Mauer ist noch nicht fertig.

upg. Der Autor Johannes Zang ist Journalist und Reiseleiter. Nach fast zehn Jahren in Israel und Palästina lebt er jetzt wieder bei Aschaffenburg. Er ist Autor von vier Büchern zum Heiligen Land. Mehrmals im Jahr begleitet er Pilgergruppen durch Israel-Palästina-Jordanien-Sinai. Zudem betreibt er den Nahostpodcast Jeru-Salam.

Seit Sommer 2002 bauen israelische Regierungen eine Barriere – oft mithilfe palästinensischer Arbeiter, wie der Film The Last Supper belegt. Die Sperranlage ist grösstenteils ein elektrisch gesicherter Zaun, um Städte wie Jerusalem oder Bethlehem jedoch eine bis zu neun Meter hohe Mauer. Samt Patrouillenstrasse fürs Militär, Gräben und Sandwegen zum Erkennen von Fussabdrücken ist der Streifen stellenweise bis zu 100 Meter breit. 

Israelische Stellen sprechen von Anti-Terror- oder Sicherheitszaun. Für den Publizisten Doron Schneider hatte Israel angesichts «dieser hässlichen Terrorwelle keine andere Wahl als eine Absperrung (…) aufzustellen, das diejenigen aufhalten soll, die unterwegs sind, um sich mitten unter uns in die Luft zu sprengen.»

Bereits 1995 schlug Ministerpräsident Rabin von der Arbeitspartei Avoda vor, mittels eines Sicherheitszaunes Selbstmordanschläge zu verhindern. Als in der Zweiten Intifada ab Herbst 2000 immer mehr Israelis durch Terroranschläge getötet wurden, holte man diese Idee aus der Schublade. Im April 2002 beschloss das israelische Kabinett den Bau. Zuvor hatte ein Brigadegeneral Militärverordnungen zwecks Landbeschlagnahme erlassen. 

Bis 2010 waren 60 Prozent der Barriere fertiggestellt, seitdem sind lediglich fünf Prozent dazugekommen, wohl aus Budgetgründen: Immerhin zwei Millionen US-Dollar kostet jeder Kilometer, bei Fertigstellung dürften es zwischen zwei und drei Milliarden Dollar sein.

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Teil der bis zu neun Meter hohen Mauer, die über 700 Kilometer lang werden soll.

Die Mauer soll wenig Attentate verhindert haben

Die Selbstmordattentate der Nuller Jahre, die Hunderte Todesopfer forderten, sind seither deutlich zurückgegangen. Dass es an der Barriere liegt, bezweifelt der israelisch-jüdische Journalist Danny Rubinstein. Auch wenn 99 Prozent seiner Landsleute den Rückgang der Mauer zuschrieben, meint er: «Es hat überhaupt nichts mit der Mauer zu tun. Warum? Am frühen Morgen schalte ich das Radio ein und höre, dass die israelische Grenzpolizei 300 oder 500 palästinensische Arbeiter ohne Passierschein in Tel Aviv festgenommen hat. Wenn es also 500 schaffen, warum nicht auch ein Selbstmordattentäter?» 

Recht bekommt er von der UNO. Deren Agentur OCHA in Ost-Jerusalem veröffentlichte folgende Zahl: «Trotz der Barriere schmuggelten sich von Januar bis März 2013 Tag für Tag mindestens 14’000 Palästinenser ohne die erforderlichen Passierscheine nach Israel – auf der Suche nach Arbeit.» Daran dürfte sich wenig geändert haben, wie Filme und Fotos im Internet beweisen: Palästinenser gelangen durch Abwasserkanäle unter der Mauer unkontrolliert auf die andere Seite oder stellen Leitern an und seilen sich ab.

Nach internationalem Recht gesetzwidrig

Seit Baubeginn beschäftigt der Gader HaHafrada (hebräisch für Trennzaun) Gerichte, national wie international. 2003 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Resolution ES-10/14 und forderte ein Gutachten vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Im Juni 2004 kam dieses zum Schluss, der Bau der Sperrananlage sei nach internationalem Recht gesetzeswidrig. Gebaut wurde weiter, zwar da und dort mit Änderungen, da der Oberste Gerichtshof Israels das Verhältnis zum militärischen Nutzen in manchen Abschnitten als unverhältnismässig erachtete. 

Trotz solcher Änderungen «beeinträchtigt die Barriere nach wie vor das Leben von Zehntausenden Palästinensern aufs Heftigste», mahnte die israelische Menschenrechtsorganisation BTtselem vor Jahren. Nur drei Beispiele: 11’000 Palästinenser sind in der so genannten Saumzone westlich der Barriere zwischen dieser und Israel buchstäblich gefangen und benötigen eine Sondergenehmigung, um in ihren Häusern bleiben zu dürfen. 2’700 Häuser und andere bauliche Strukturen sind infolge des Barrierebaus isoliert und 5’300 weitere beschädigt worden. 

Da der Verlauf der Sperranlage grösstenteils nicht der international anerkannten Grenze, der so genannten Grüne Linie folgt, sondern im Zick-Zack tief ins West-Jordanland eindringt, verliert dieses Gebiet von der Grösse Unterfrankens 9,4 Prozent seiner ohnehin kleinen Fläche: Äcker, Haine und Plantagen, Brunnen und Quellen sowie Naherholungsgebiete. Beim so genannten Ariel-Finger dringt die Barriere sogar 22 Kilometer tief ins West-Jordanland und umschliesst die gleichnamige Siedlung. 

Nicht nur an dieser Stelle scheint das Ziel offensichtlich, israelische Siedlungen, die nach Genfer Konvention völkerrechtswidrig sind, dem Staat Israel einzuverleiben. Nach Angaben von B´Tselem zerschneidet der Bau der Sperranlage palästinensisches Leben und «gestaltet willkürlich Landschaft und Raum um und folgt dabei Siedlungsgrenzen und Wünschen der israelischen Sicherheitskräfte».

«Alle Lebensbereiche wurden betroffen. Kontrollpunkt und Mauer hindern meine gesamte Kundschaft aus Jerusalem, zu mir zu kommen, mein Umsatz ist um 99 Prozent zurückgegangen.» So klagte Herr Marwan aus Bethlehem vom Gartenbaubetrieb Greenland bald nach Baubeginn. Das pulsierende Viertel um das Rachelsgrab wirkt heute ausgestorben, die meisten Geschäfte haben geschlossen oder sind umgezogen, Greenland auch.

Amnesty Internationals 280-Seiten Report Israel´s Apartheid against the Palestinians richtet folgende Empfehlung an die israelische Regierung:

«Beendet den Bau des Zauns/der Mauer im West-Jordanland einschliesslich Ost-Jerusalems, die widerrechtlich das Recht auf Bewegungsfreiheit von Palästinensern einschränken. Hört mit der willkürlichen Zerstörung oder Beschlagnahmung von Häusern und Eigentum auf. All das unterhöhlt andere Rechte wie das auf angemessenen Wohnraum und Lebensstandard, auf Arbeit und Achtung des Familienlebens.»

Die Abschnitte der Sperranlage, die «diese Rechte verletzen, sollten entfernt werden».

Bericht aus der palästinischen Stadt Deir al-Ghusun

Iris hat 2016 für das Begleitprogramm EAPPI des Weltkirchenrates einen dreimonatigen Beobachtungsdienst am landwirtschaftlichen Tor der palästinensischen Stadt Deir al-Ghusun geleistet. Dieses öffneten die zuständigen Soldaten oft spät oder schlossen früher als angekündigt. Bauern benötigen ein Dokument für Traktor und Esel, Bauteile und Werkzeuge, Pflanzensetzlinge oder Dünger. Einmal erlebte Iris, dass Tausend Chili-Pflanzen nicht passieren durften, da keine Genehmigung vorlag. Von diesem Tor können Bauern und Landarbeiter die Umrisse von Netanya am Mittelmeer sehen. Doch Iris weiss: «Seit dem Bau der Trennbarriere ist die Küste mit ihren herrlichen Stränden für die meisten der Arbeiter unerreichbar, obwohl diese nur 14 Kilometer entfernt ist.»

Bei der palästinensischen Stadt Jenin im besetzten palästinensischen West-Jordanland würde Hiam Ghanemah gerne wie einst ihr Grossvater Weizen, Gerste und die Hülsenfrucht Alfalfa anbauen. «Aber wir bauen kein Gemüse mehr an – wegen der Barriere und all den Vorschriften des (israelischen) Militärs», erklärt die junge Palästinenserin. Denn das geerbte Stück Land von 25 Dunam (ca. 2,5 Hektar) liegt westlich der Barriere, die für Palästinenser und viele im israelischen Friedenslager ein Landraub- oder Apartheidwall ist. John Dugard, UN-Sonderbeauftragter für Menschenrechte, nennt es die «Annektierungsmauer».

2016 besass Ghanemah eine Zweijahres-Genehmigung («Permit»), die es ihr erlaubte, ihr Land durch eines der 84 landwirtschaftlichen Tore zu erreichen. Plötzlich erhielt sie das Permit nur noch zur Olivenernte. Dank juristischen Beistands der israelischen Menschenrechtsorganisation HaMoked erstritt sie dann ein Dreijahres-Permit mit «40 Zugängen pro Jahr». Nachzulesen ist das im 50-Seiten-Bericht Creeping Dispossession (Schleichende Enteignung) derselben Organisation vom Oktober 2021 über die wachsende Beschränkung palästinensischer Landwirtschaft jenseits der Barriere. 

Dass Ghanemah an lediglich 40 von 365 Tagen ihr Land bearbeiten darf, hält sie für «unzureichend und unannehmbar». Nun muss sie «genau rechnen», haushalten und Buch führen. Leider kann der Ehemann ihr nicht zur Hand gehen, denn «er bekommt kein Permit für mein Grundstück. Wir sind eine Familie, aber für die Armee sind wir es nicht. Das ist ein harsches, brutales Urteil». 

Immerhin hat die Frau ein landwirtschaftliches Permit, denn laut HaMoked wurden 2020 genau 73 Prozent solcher Anträge abgelehnt.

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Dieser Beitrag wurde am 25. Juli 2022 von der Presseagentur Pressenza verbreitet.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Johannes Zang (Jg. 1964) lebt nach fast zehn Jahren in Israel und Palästina wieder bei Aschaffenburg. Er ist Autor von vier Büchern zum Heiligen Land. Das aktuelle heisst: Erlebnisse im Heiligen Land, Promedia Wien, 2021. Mehrmals im Jahr begleitet der Pilgergruppen durch Israel-Palästina-Jordanien-Sinai. Zudem betreibt er den Nahostpodcast Jeru-Salam
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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5 Meinungen

  • am 4.08.2022 um 11:20 Uhr
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    Wenn doch nur ein kleiner Teil der Energie, die in die Diffamierung der BDS-Boykottbewegung fliesst, für die Kritik der menschenverachtenden Praktiken Israels aufgewendet würde …. ! Danke auf jeden Fall für diesen Beitrag.

  • am 4.08.2022 um 11:26 Uhr
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    Es stellt sich die Frage, ob die Attentate vor denen diese Mauer angeblich schützen sollte, nicht die logische Folge der Besatzung, der Perspektivlosigkeit und Verzweiflung der eingekesselten Bevölkerung waren und mit ihrem Bau nicht ein Symptom bekämpft wird welches bei Einhaltung von Menschen- und Völkerrecht gar nicht erst aufgekommen wäre. Der Widerstand gegen die Okkupation, findet im Übrigen zu 99% ohne Gewaltanwendung im kulturellen und alltäglichen Bereich statt. Man bereise das Land und entdecke, das sind Menschen wie du und ich.

  • am 4.08.2022 um 18:07 Uhr
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    Schon der Titel ist effekthascherisch. Eine 700 km lange Mauer? Ich weiss nicht, wie viele Kilometer die Mauer in Wirklichkeit misst. Der Beitrag suggeriert, dass es heute kaum noch potentielle palästinensische Attentäter gibt. Ich glaube sofort, dass Hunderte von Palästinensern nach Israel kommen, ohne Attentate zu verüben. Aber es sind Menschen aus dem Westjordanland. Dort sind alle grösseren Ortschaften und Städte autonom. Mauer und Zaun schützen Israel beispielsweise auch vor dem nahen Mullah-Ableger Hizbollah – der wiederum nichts gegen eine offene Grenze einzuwenden hätte. Im Bericht wird gänzlich verschwiegen, dass fast alle der zahllosen Attentate von vor 20 Jahren von Palästinensern aus Gaza verübt wurden. Bei der Radikaliserung der Leute durch die Hamas wäre es heute noch schlimmer. Die Hamas versucht es mit ihren Tunneln. Den Haag hat auch diese Absperrung als illegal qualifiziert. Israel müsste den Zaun also entfernen

  • am 5.08.2022 um 09:56 Uhr
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    Danke für diesen Beitrag.
    Es ist wichtig, eine so genaue Beschreibung der Auswirkungen dieser Mauer in Israel zu lesen.
    Ein leider verstorbener Freund war früher öfters auf den palästinensischen Wegen zwischen den Mauern unterwegs. Er war ein alter Mann und hat mir die Mühsal dieser Fortbewegung – sogar für einen Schweizer – detailliert geschildert.
    Die Auswirkungen der Mauern in Israel scheinen für die Betroffenen noch grausamer, als damals die Mauer zum «Schutz» der DDR. Ich war sehr oft im Osten unterwegs. Beim Besuch von Quedlinburg haben meine deutschen Freunde gespottet, dass die Altstadt nur noch so gut erhalten sei, weil all der Beton etc. für die Mauer verwendet worden sei. Die DDR hat diese Abgrenzung finanziell nicht verkraftet.
    Wie viele Jahre wird es wohl dauern, bis die Mauer in Israel niedergerissen wird und die Menschen in Frieden zusammenleben können? Zum Glück gibt es Israeli, welche daran arbeiten.

  • am 5.08.2022 um 10:47 Uhr
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    Das Problem ist, dass jede Person oder Organiation, die Israels jahrzehntelange massiv völkerrechtsverletzende Besatzungspolitik, den Landraub, die Menschenrechtsverletzungen mit deutlichen Worten kritisiert, von vielen Medien sofort in die antisemitische Ecke gestellt werden. Mit dieser perfiden Ablenkungstechnik soll dann verhindert werden, sich mit dem israelischen Unrechtssystem gegenüber den Palästinenser ernsthaft und auf Augenhöhe auseinanderzusetzen. Zum Glück gibt es israelischen Menschenrechtsorganisationen wie BTtselem und mutige Persönlichkeiten wie Daniel Barenboim, welche die tatsächlichen Verhältnisse beim Namen nennen. Ihnen kann man nun wirklich keinen Antisemitismus oder ein Vergessen der Shoa vorwerfen.

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