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270 Ja- zu 37 Nein-Stimmen: Die zuständige Sprecherin hält den Parlamentsentscheid fest. © Sveriges Television

«Auslandsspionage»: Schweden schränkt Medienfreiheit ein

Pascal Sigg /  Die Gesetzesänderung erschwert Recherchen über Schwedens Beziehungen mit anderen Staaten oder Organisationen wie der NATO.

Der Reichstag, das schwedische Parlament, änderte am Mittwoch sein Grundgesetz. Neu macht sich strafbar, wer Informationen weitergibt, welche die Beziehung Schwedens zu anderen Nationen oder Organisationen wie UNO oder NATO schwächt. Dies bedeutet: Whistleblower oder Medien sind nicht mehr länger durch die Mitteilungsfreiheit geschützt. Sie könnten nun wegen Auslandsspionage angeklagt werden.

Weil diese Gesetzesänderung das Grundgesetz betrifft, musste ihr der Reichstag zweimal – und zwar vor und nach einer Reichstagswahl – zustimmen. Dies geschah zum ersten Mal 2021. Damals stimmten einzig die Liberalen und die linke Partei Vänsterpartiet dagegen. Am Mittwoch stimmten die Liberalen dafür. Diesmal stellte sich neben der Vänsterpartiet die grüne Miljöpartiet als einzige gegen die Vorlage.

In einem Beitrag in der Tageszeitung Dagens Nyheter stellten sich zehn ExponentInnen der Medienbranche gegen die Gesetzesänderung. Sie warnten davor, dass beispielsweise Recherchen über die Bedingungen der Türkei zur schwedischen NATO-Mitgliedschaft, wie die Aufhebung des Waffenlieferungsembargos, illegal sein könnten. Oder dass sich der Schwede Anders Kompass, der möglicherweise einen internen UN-Bericht über Kindsmisshandlungen französischer Friedenstruppen im Kongo weitergegeben hat, strafbar gemacht hätte. Auch die 2013 veröffentlichten Recherchen über die Unterstützung der schwedischen Regierung beim heimlichen Bau einer Waffenfabrik in Saudi-Arabien wären wohl illegal gewesen.

Der schwedische Meinungsfreiheitsexperte Nils Funcke kritisierte den Parlamentsentscheid im Fernsehsender SVT: Um derartige Grundgesetzänderungen zu machen, bräuchte es ein gut dokumentiertes Bedürfnis. Die Gesetzesänderung sollte sodann nur dieses Bedürfnis feinchirurgisch behandeln. Man sollte keine derart breiten Bestimmungen erlassen.

Tatsächlich macht Schweden gerade Erfahrungen mit Ausslandsspionage und Journalismus. Wie Dagens Nyheter jüngst berichtete, wurden in den letzten Wochen und Monaten wiederholt geflüchtete Exiljournalisten in einer türkischen Zeitung an den Pranger gestellt und inklusive Wohnadresse in Schweden genannt. Worauf Präsident Erdogan in den NATO-Verhandlungen mit Schweden deren Auslieferung verlangte. Viele der betroffenen Personen glauben, dass der türkische Geheimdienst an den Untersuchungen beteiligt ist.


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Pascal Sigg

Pascal Sigg ist Redaktor beim Infosperber und freier Reporter.

Eine Meinung zu

  • am 21.11.2022 um 10:06 Uhr
    Permalink

    Wenn das Schule macht, werden wieder biedermeierliche Paralleluniversen entstehen, so wie das im Ostblock, besonders in der DDR, der Fall war. Man wird in Beruf, Schule, Öffentlichkeit seine Worte wohl zu wählen wissen und nur in seinen Kreisen den Mund aufmachen. Der Unterschied ist, dass den meisten Bürgern und selbst vielen Parteigenossen das Potemkinsche Dorf bewußt war, in dem sie lebten. Die Phrasen des Systems nahm niemand wirklich ernst. Wenn man Demokratie, Humanismus, Rechtsstaat und Grundrechte ernst nimmt, haben Gesetze wie das beschriebene in Schweden eigentlich keinen Platz – dann karrikiert sich das politische System genau so wie in der DDR.

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