Kommentar

kontertext: Das Gerücht vom Linksdrall der SRG

Felix Schneider © zvg

Felix Schneider /  SRG-JournalistInnen sind kaum linker als andere. Zudem ist höchst unsicher, ob die Gesinnung die Berichterstattung beeinflusst.

In der Reihe «kontertext» auf Infosperber werden die nächsten vier Artikel den Schweizer Medien gewidmet sein.

Im Zentrum soll die Zukunft unseres öffentlichen Mediums, der SRG, stehen. Bei den öffentlichen und öffentlich-rechtlichen Medien ballen sich überall, wo sie existieren, die Schwierigkeiten. Um die demokratischen Absichten, die mit der Gründung der Öffentlich-Rechtlichen verbunden waren, zu retten, ist ein «Dreifrontenkrieg» zu führen, oder, ziviler gesagt: drei einander verstärkende Problemherde sind zu bearbeiten:

Erstens: Die Revolution der neuen Medien und die Veränderung der Nutzungsgewohnheiten verlangen grundlegende Weiter- und Neuentwicklungen.

Zweitens: Die Öffentlich-Rechtlichen leiden an hausgemachten Problemen wie der Trivialisierung und Kommerzialisierung, der Hierarchisierung und Verknöcherung – und, zum Beispiel in Deutschland, an Korruptionsaffären.

Drittens: Die Öffentlich-Rechtlichen stehen unter Beschuss von rechts und extrem rechts.

Kritisieren, Verändern, Bewahren

Es bedarf gleichzeitig der Kritik, der Veränderung und der Verteidigung des Bestehenden! Die SRG kritisieren und um die Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen streiten können wir als Demokrat:innen aber nur, wenn wir uns gleichzeitig dezidiert vom Angriff der Rechten distanzieren. Weltweit stehen demokratisch orientierte Länder unter dem Druck von Antidemokraten, die mächtige Volksbewegungen hinter sich haben. Eine Tendenz zur Herausbildung von «illiberalen Demokratien» zeichnet sich ab. Institutionen und Verfahren, die für die heutigen Demokratien unerlässlich sind, wie Parlament, Wahlen, Abstimmungen, und eben in besonderem Ausmass Justiz und Medien werden zwar nicht abgeschafft, aber ihres Sinnes und ihrer relativen Unabhängigkeit beraubt, sie werden zu Instrumenten der herrschenden Cliquen gemacht.

In der Schweiz sind die Verhältnisse nicht so dramatisch wie andernorts, aber auch hierzulande sammelt sich eine bürgerlich-neoliberale Rechte, schliesst sich gelegentlich mit der extremen Rechten zusammen und mobilisiert zum Kulturkampf. Seit Jahren wettert die SVP gegen das angeblich linke Staatsfernsehen. Mit ihrer Halbierungsinitiative bedroht sie die Existenz der öffentlichen Medien. Das hartnäckige Gerücht, die SRG-Journalist:innen seien links, geht aber nicht etwa auf die «Weltwoche» oder ähnliche Kampfblättchen zurück, sondern auf die «Sonntagszeitung» aus dem Hause Tamedia. Sie titelte Ende 2017: «Fast drei Viertel aller SRG-Journalisten sind links».

Mit Wahrheiten lügen

Sie hätte ebenso gut titeln können: «Fast zwei Drittel aller Journalisten in den privaten Medien sind links». Der Artikel ist ein Beispiel dafür, dass man mit Wahrheiten lügen kann, denn er polemisiert mit korrekten Zahlen, die das Departement für Angewandte Linguistik der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften im Jahre 2016 erhoben hat. Aus diesen Zahlen geht gerade nicht hervor, dass die SRG, verglichen mit anderen Medien,  besonders links sei:

  • Als links der Mitte bezeichneten sich bei der SRG 70% der Journalisten, bei den Privaten 62%, die meisten in beiden Bereichen allerdings nur leicht links der Mitte.
  • In der politischen Mitte verorteten sich bei der SRG 16%, bei den Privaten 14,5%
  • Ebenfalls 16% der SRG-Journalisten sahen sich rechts, bei den Privaten waren es 24%
  • 7,4 Prozent der SRG-Journalisten schätzen sich als links aussen ein, bei den Privaten waren es knapp 10%.

Die Unterschiede zwischen der SRG und den Privaten waren also, was den Linksdrall betrifft, minim.  

Journalistinnen sind eher links

Kommt hinzu, dass hier Selbsteinschätzungen erfragt wurden. Diese erklären sich wohl eher aus der Berufsauffassung der Befragten, und sie müssen ja auch nicht mit den Resultaten der Arbeit der Befragten übereinstimmen. Inwiefern die journalistischen Produkte «links» sind, ist ein anderes Thema. Die Forscher selbst kamen zu einer ganz anderen Interpretation der Zahlen als die «Sonntagszeitung»:

«Insgesamt decken Schweizer Journalistinnen und Journalisten das gesamte politische Spektrum ab, wobei sich der durchschnittliche Medienschaffende leicht links von der Mitte positioniert. Dies gilt beispielsweise auch für SRG-Journalisten. Hingegen stufen sich Frauen noch stärker als Männer eher links ein.»

Studienleiter Vinzenz Wyss erklärte diesen Befund auch mit der generellen Kritik- und Kontrollfunktion des Journalismus, der, zumindest in liberalen Demokratien, herrschende Machtverhältnisse infrage stellen will. Zum Rollenselbstbild ergab die Studie, so Wyss: «Der typische Schweizer Journalist versteht sich weniger als politischer Akteur, sondern vielmehr als neutraler Berichterstatter, der versucht, die Dinge möglichst objektiv darzustellen.» Es gibt professionelle Standards. Nirgends steht geschrieben, dass die persönliche politische Einstellung unmittelbar auf den Beruf durchschlagen muss.

Dr Fünfer und s Weggli

Kommt hinzu, was Rainer Stadler aus der Betrachtung derselben Zahlen in der NZZ herauslas: «Je mehr ein Journalist die Karriereleiter hochsteigt, desto eher rückt er in die Mitte». Stadler veranschaulichte: «Der Chef schaut dafür, dass sein Organ gerade bei wichtigen (innen)politischen Geschäften nicht nach links abdriftet. (…) Bei den täglichen Berichten und Analysen schwindet hingegen der Einfluss eines Chefs.» So gewinnen die Medien den Fünfer und s Weggli: Linke Leser:innen kriegen auch ein bisschen was. Wenn es dann aber um die Wurst geht, haben die Mächtigen die Zügel in der Hand. Stadler wies auch auf bedeutende Unterschiede unter den Journalist:innen hin: «Wirtschaftsredaktoren», sagt er, stünden «relativ deutlich rechts», «Kulturredaktoren» eher links: «Kulturressorts sind linke Nester. Sie haben jedoch in der konkreten politischen Auseinandersetzung wenig Gewicht.»

Vertrauensverlust der Politik

Die Wissenschaftler haben herausgefunden, dass die befragten Journalist:innen dem Justizsystem, der Polizei und dem Bundesrat viel Vertrauen schenken – den Politikern und politischen Parteien aber sehr misstrauen. Vielleicht liegt hier die Erklärung für die Entstehung und die Hartnäckigkeit des Gerüchts vom Linksdrall der SRG: Die Journalist:innen kennen die Politiker:innen zu gut. Sie glauben und gehorchen ihnen zu wenig. Sie hindern sie gelegentlich am Durchgriff auf die Medien.

Unser Medien-Block

In unserem Medienschwerpunkt wird der Literatur- und Kulturkritiker Beat Mazenauer die Weiterentwicklung des öffentlich-rechtlichen System zu einem Medienkiosk andenken. Der Wissenschaftsjournalist und Kommunikationsspezialist Christian Heuss wird das Projekt «Sonum» vorstellen: wie man heute Radio hört, ohne sich über die Zersplitterung der Podcast-Szene zu ärgern. Der Schriftsteller Michel Mettler hat die seltsamen Talk-Formen in Wissenschaftssendungen belauscht, und Mathias Knauer, Filmschaffender und Musikwissenschafter, nimmt unter die Lupe, wie die SRG mit Kulturthemen umgeht.

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Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe von Autorinnen und Autoren. Sie greift Beiträge aus Medien auf, widerspricht aus journalistischen oder sprachlichen Gründen und reflektiert Diskurse der Politik und der Kultur. Zurzeit schreiben regelmässig Silvia Henke, Mathias Knauer, Michel Mettler, Felix Schneider und Beat Sterchi.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Felix Schneider hat viele Jahre für den öffentlich-rechtlichen Radiosender SRF 2 kultur gearbeitet. 
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

SRG_Dossier

Medien: Service public oder Kommerz

Argumente zur Rolle und zur Aufgabe der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SRG.

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6 Meinungen

  • am 20.11.2022 um 10:41 Uhr
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    «Linke Leser:innen kriegen auch ein bisschen was. Wenn es dann aber um die Wurst geht, haben die Mächtigen die Zügel in der Hand.» Das ist auch meine Wahrnehmung. Jedenfalls in den «mächtigen» Medien. Die schreiben nicht nach links, sondern nach Werbung, von der sie ja leben. Die mächtige Werbung macht die Wurst der Toleranzgrenzen. Und die ist die Wirtschaft. Und die ist rechts. Und auch die Mehrheit der WählerInnen in der Schweiz. Ab und zu trampelt ein Journalist einem Mächtigen auf die Füsse, wenn’s denn nicht mehr anders geht. Auch das gehört zum Geschäft. Und ist auch Werbung.

    «Die» Medien müsste man differenzieren. Die NZZ wurde mit Eric Guyer auf der ersten Seite immer rechter und die WoZ blieb links. Blochers Lautsprecher tönen kreischend für den Geldadel und der Infosperber schlängelt sich durch sämtliche politischen Dünste. Mal so, dann so. Je nach Leserinnenstimmung oder Verstopfung in den Machtmedien.

    • am 21.11.2022 um 00:13 Uhr
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      Es ist halt seit jeher so: Es gibt die Freiheit des Geistes und die Zwänge der Wirtschaft.
      Genau darum braucht es eine Unterstützung der Medien, dass sie nicht den Diktaten ihrer Auftraggeber ausgeliefert sind. Die Schweizer Bevölkerung besteht nicht nur aus «Linken» oder «Rechten», sondern aus einem breiten Spektrum von Interessen.

  • am 20.11.2022 um 12:23 Uhr
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    Wenn Linke sich an mehrheitlich Linken messen um dann festzustellen, dass sie nicht viel mehr links sind als die anderen, dann bleiben sie eben links. Wenn der Rechte via Zwangsabgabe die m.E. klar linke SRG bezahlen muss so finde ich dies schlecht. Anders sähe ich dies dann, wenn die SRG politisch neutral wäre.

    • am 21.11.2022 um 00:07 Uhr
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      Schön geredet…..Ich würde wenn….
      Und wer entscheidet was «neutral» ist?
      Soll die SRG so berichten, dass die Rechten sich nicht provoziert fühlen? Oder so berichten, dass die Rechten und die Linken sich etwa gleichviel provoziert werden? Oder nur die Linken provozieren?
      Wären Wörter wie «korrekt», «sachbezogen», aktuell», «ausgewogen» nicht viel zielführender? Schönes Beispiel ist die Arena von SRF1: Sie finden nirgends eine Sendung wo Sie sich bei Abstimmungsvorlagen, Initiativen und anderen politischen Themen so schnell ein Bild von beiden Seiten machen können. Und das «Echo der Zeit» ist für mich und viele andere seit langem eine verlässliche Quellen von korrekten, sachbezogenen Informationen.
      Und übrigens: Es geht ja nicht nur um Politik! SRF1 ist auch ein Sender der ein sehr breites Spektrum von Themen abdeckt (Information, Unterhaltung (Musik, Hörspiele, ..), Sport, Kultur (Bücher, Filme, Musik).

  • am 21.11.2022 um 05:40 Uhr
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    Humor und Satire sind bei SRF eigentlich nur gut, wenn sie von Linken kommen! Mir missfallen vor allem die einseitigen Satire-Sendungen von SRF. Diese haben viele Zuschauer:innen, veräppeln aber dauernd und nachhaltig rund 30% der Stimmbevölkerung. Das geht nicht für ein Medium im Interesse der Öffentlichkeit!

  • am 21.11.2022 um 21:43 Uhr
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    Zur Demokratie gehört aber auch andersdenkende zu zu lassen. Seien sie noch so rechts, links, extrem oder radikal.
    Wenn demokratisch gewählt, kann es nicht sein dessen Ansichten zu verteufeln und zu ignorieren, vielleicht sollte man eher mal erforschen warum so derart rechts gewählt wird und sich derer Annehmen anstelle es zu ignorieren. Letztendlich entscheidet der Wähler an der Wahlurne in welche Richtung es geht und wenn man nicht solche Verhältnisse haben möchte wie sie andernorts auftauchen ist Ignoranz die falsche Antwort.
    Deshalb finde ich es in vielen Artikeln schweizer Medien sehr beruhigend eine ausgeglichene und zumeist doch eher sachliche Beiträge lesen zu dürfen. Wobei ich bestimmte Blätter nicht zu den Medien zähle sondern eher der kurzweiligen Unterhaltung zuordne. Aber das weiss man dann auch und kann sich seinen Teil denken.
    Als problematisch sehe ich aber auch das teils verstaubte System welches anfällig für Gefälligkeiten und Vetternwirtschaft scheint.

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