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Der ehemalige Bundesanwalt Michael Lauber. Soll er etwa sagen: «Ja, ich bin korrupt.» © SRF

«Herr Lauber, sind Sie korrupt?» – eine einfältige Frage

Marco Diener /  Manche Journalisten sind nicht kritisch. Aber sie tun, als ob. Das Ergebnis ist lächerlich.

Der ehemalige Bundesanwalt Michael Lauber steht unter Druck. Aus den USA kommt der Vorwurf, er habe sich bestechen lassen. Die Zeitungen aus dem Tamedia-Verlag nahmen das zum Anlass, mit Lauber ein Interview zu führen. Die erste Frage lautete:

«Herr Lauber, sind sie korrupt?»

Theoretisch hätte sich die Frage mit «ja» oder mit «nein» beantworten lassen. Aber die Tamedia-Journalistin Charlotte Walser wusste so gut wie die Leser und die Leserinnen, dass Lauber nicht antworten würde: «Ja, ich bin korrupt.» Die Frage war nur pseudo-kritisch. Und Lauber antwortete erwartungsgemäss mit: «Nein, ich bin nicht bestechlich. Ich weise den Vorwurf in aller Deutlichkeit zurück.»

Oder auf Radio SRF1: Moderatorin Christina Lang interviewte Olivia Grimm von den Schweizer Wanderwegen. Lang berichtete: «50’000 Wanderwegweiser gibt es im ganzen Land.» Und sie konnte es kaum fassen: «50’000!» Dann kam die Frage:

«Braucht es die noch, jetzt wo die meisten von uns ein Handy dabeihaben?»

Auch das war eine pseudo-kritische Frage. Olivia Grimm antwortete natürlich nicht: «Ach ja – jetzt, wo Sie es sagen –, die Wegweiser braucht es wirklich nicht mehr.» Stattdessen hielt sie fest, dass die Wegweiser «Bestand haben werden».

Doch zurück zu den Zeitungen aus dem Tamedia-Verlag: Nachdem die Post angekündigt hatte, die Tarife zu erhöhen, interviewte Journalist Jon Mettler den Post-Chef Roberto Cirillo. Erste Frage:

«Lässt sich eine solch happige Erhöhung vernünftig begründen?»

An sich hätte Cirillo schon antworten können: «Nein, vernünftig lässt sich die Erhöhung nicht begründen. Wir von der Post sind halt richtige Scharlatane.» Aber er tat es natürlich nicht. Wie erwartet sagte er: «Diese Preiserhöhungen sind dringend nötig.»

Mit anderen Worten: Die genannten Fragen dienen nicht dazu, den Interviewpartner in Verlegenheit zu bringen. Vielmehr sind sie dazu da, ihm eine Plattform für seine Botschaft zu bieten: «Ich bin nicht bestechlich.» «Die Wegweiser werden Bestand haben.» Und: «Diese Preiserhöhungen sind dringend nötig.»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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2 Meinungen

  • am 18.08.2023 um 12:02 Uhr
    Permalink

    Frau Grimm hat recht: Wegweiser haben (meist jedenfalls) Bestand – ein Akku hingegen ist meist leer, wenn man ihn dringend bräuchte oder genau dann hat man kein Netz…..

  • am 19.08.2023 um 08:43 Uhr
    Permalink

    Diese Art von «kritischen» Fragen dienen auch dazu, das Empörungspotenzial, also die emotionale Aufmerksamkeit des Lesers anzusprechen. Ausserdem verdecken sie oft, dass der Journalist gar keine vertieften Sachkenntnisse hat, um eine Basis für kritische Fragen zu haben. Beides sind Zeichen einer Presse, die in erster Linie kommerzielle Interessen verfolgen und nicht die Aufklärung des Lesers zum Ziel haben. Der Leser soll emotional abhängig sein von dem Presseerzeugnis.

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