Hindus gegen Hindus gegen Muslims Die Gewalt in Indien eskaliert.IQNA

Hindus gegen Hindus gegen Muslims: Die Gewalt in Indien eskaliert. © IQNA

Modi treibt Indien ins Chaos

Josef Estermann /  Die Politik der hinduistischen Vorherrschaft führt zu schweren Konflikten mit den zwanzig Prozent Nicht-Hindus.

Red. In einem Beitrag vom 9. August 2023 fasst der in Hongkong ansässige indische Journalist Debasish Roy Chowdhury seine Analyse zur Entwicklung der indischen Demokratie unter Narendra Modi in der «New York Times» zusammen. Ausführlich ist sie in seinem Buch «To Kill a Democracy: India’s Passage to Despotism» dargelegt, das er zusammen mit Professor John Keane verfasst hat.


Ein schockierendes Video

Im Juli ging ein schockierendes Video um die Welt: zwei Frauen wurden von einer Gruppe Männern festgehalten, nackt ausgezogen und schliesslich der Reihe nach von jedem der anwesenden Männer vergewaltigt. Die Szene stammt aus dem indischen Bundesstaat Manipur* im Nordosten Indiens an der Grenze zu Myanmar.

Diese Bilder gelten als vorläufig unrühmlichster Höhepunkt einer Gewaltspirale gegen Angehörige von Nicht-Hindu-Religionen, die mit dem Amtsantritt von Narendra Modi 2014 in Gang gesetzt worden ist. Die beiden Frauen gehören der Ethnie der Kuku an, die grösstenteils aus Christinnen und Christen besteht.

Seit Mai ist Manipur zum Ort ethnisch und religiös motivierter Gewalt geworden und hat sich praktisch in ein Kriegsgebiet verwandelt. Über hundertfünfzig Menschen wurden umgebracht und Zehntausende sind vertrieben worden. 

Die Gewalt gegen Nicht-Hindus wird bewusst geschürt

Debasish Roy Chowdhury.WIRE
Journalist und Buchautor Debasish Roy Chowdhury

Zwar war Manipur schon vor Modis Amtsantritt bekannt wegen ethnischen Auseinandersetzungen. Aber seit die Bharatiya Janata Party BJP (Indische Volkspartei) die politische Macht im Land erlangte, verfolgt die Regierung von Narendra Modi eine hindu-nationalistische Politik, die aus Indien einen homogenen Hindu-Staat machen möchte.

Dabei war und ist Indien schon immer ein sehr vielfältiger, religiös und ethnisch pluraler Bundesstaat. Angehörige des Hinduismus machen rund vier Fünftel der Gesamtbevölkerung aus; im anderen Fünftel finden sich vor allem Moslems, Christinnen und Christen, Sikhs, Buddhistinnen und Buddhisten, sowie Jains.

Die föderale Struktur von Indien war bisher eine gewisse Garantie gegen nationalistische Exzesse und gegen eine Hindu-Vorherrschaft auf Bundesebene. Aber unter Narendra Modi, der selber aus dem Norden kommt, wurde die Hindutva-Ideologie («Indien den Hindus») im Rahmen der BJP für das gesamte Land immer mehr zu einer ideologischen Triebfeder für Gewalt und Ausgrenzung.

Das staatliche Gewaltmonopol wird ausgehöhlt

Zuerst förderte Modi seit seinem Amtsantritt eine Politik der Duldung gegenüber nationalistischen und gewaltbereiten Hindus, die ihn mit gewählt hatten. Doch diese nahmen in ihren jeweiligen Regionen das Heft immer mehr in eigene Hände und gingen gegen religiöse und ethische Minderheiten vor. Die meisten Opfer sind bis heute unter der islamischen Bevölkerung zu beklagen, die mit rund 14 Prozent die grösste Minderheit darstellt. Indien ist nach Indonesien und Pakistan das Land mit der drittgrössten Zahl Musliminnen und Muslimen (fast 200 Millionen).

Die Politik der (passiven) Duldung hat sich aber in den letzten Jahren immer mehr zu einer Politik der aktiven Verfolgung, des Fremdenhasses und der religiösen Polarisierung entwickelt. Extremistische Kräfte und Bürgerwehren aus militanten Hindus nehmen immer häufiger das Recht in eigene Hände und säen Schrecken und Chaos.

Inzwischen gehört Indien zu den zehn Ländern weltweit mit der grössten Anzahl an Massenmorden. Lynchmorde und Aufrufe zu Völkermord sind in gewissen Bundesländern an der Tagesordnung. Angehörige des Islam oder des Christentums werden systematisch gemobbt und tätlich angegriffen. Die Polizei schaut in vielen Fällen einfach zu, und die Regierung distanziert sich nicht öffentlich von diesen Gewalttaten, nicht einmal von jenen in Manipur, die in besagtem Video festgehalten wurden.

Die Demokratie ist in Gefahr

«Das bevölkerungsreichste Land der Welt wird langsam zu einer Konfliktzone sektiererischer Gewalt», folgert Roy Chowdhury. Und damit nähere sich die «grösste Demokratie der Welt», wie Modi zu betonen nicht nachlässt, einem Abgrund, von dem es kein Zurück gebe.

Auf dem internationalen Parkett spielt Indien inzwischen eine derart wichtige Rolle, dass auch die Grossmächte USA und China nicht mehr darum herumkommen, sich hinsichtlich der Ideologie der Hindu-Vorherrschaft zu positionieren. Dass Indien nach wie vor einer der grössten Abnehmer russischen Erdöls ist und mit Moskau Rüstungsgeschäfte abschliesst, ist zwar der Biden-Regierung ein Dorn im Auge.

Aber kürzlich weilte Narendra Modi in den USA zum Staatsbesuch und wurde mit allen protokollarischen Ehren empfangen. Die schrecklichen Auswüchse einer hindu-nationalistischen Politik seien dabei geflissentlich übersehen und die anti-demokratischen Gesetze runtergespielt worden, stellt der indische Journalist fest.

Dabei ist Narendra Modi drauf und dran, das Land in ein autokratisches oder sogar «despotisches» Staatengebilde zu verwandeln. «Bei der finalen Umwälzung der Demokratie wählt die Regierung die Menschen aus, und nicht etwa die Menschen die Regierung», meint Debasish Roy Chowdhury. 

Damit spielt der Autor auf die gezielte Unterstützung hindu-nationalistischer Kreise und Bewegungen durch die Regierung an, aber auch auf die Ausgrenzung von Nicht-Hindus aus der Politik, dem öffentlichen Leben und den wichtigsten wirtschaftlichen Tätigkeiten. Und was die Regierung nicht direkt erreicht, führen gewalttätige militante Hindu-Mobs zu Ende.

Das Wirtschaftswunder Indien verblasst

Diese hindu-nationalistische Politik steht in eklatantem Gegensatz zur weltoffenen und boomenden indischen Wirtschaft. Allerdings könnte dieser Boom schon bald vorbei sein, meint Roy Chowdhury. «Indien kann entweder ein permanenter Konflikherd oder ein wirtschaftlicher Transformator sein, aber nicht beides. Und es wird immer deutlicher, welches der beiden Szenarien dem Land bevorsteht.»

Nach bald neun Jahren unter der Regierung von Narendra Modi und der BJP stehe Indien am Rande des Abgrunds, erklärt Roy Chowdhury. Das soziale Klima sei in vielen Teilen des Landes so aufgeheizt, dass die Gewaltspirale, die von den Hindu-Nationalisten in Gang gesetzt wurde, kaum mehr aufgehalten werden könne.

Nichts deute darauf hin, dass Narendra Modi einen Schritt zurück machen würde. Im Gegenteil: Die Gewalt hat sich inzwischen auch auf jene Teile Indiens ausgedehnt, die bisher relativ immun gegenüber einem homogenen Hindu-Staat waren. Sogar der Techno- und Finanzsektor in der Agglomeration der Hauptstadt Delhi wurde bereits von ethinisch und religiös motivierten Gewalttaten aufgeschreckt.


Interview von Karan Thapar mit Buchautor Debasish Roy Chowdhury (auf Englisch): 

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*In eine früheren Version stand hier «Maripur». Wir bedauern diesen Fehler.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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3 Meinungen

  • am 18.08.2023 um 12:56 Uhr
    Permalink

    Eine Welt ohne Religionen währe friedlicher….

    • am 19.08.2023 um 11:37 Uhr
      Permalink

      Es heisst Moslems oder Muslime, aber sicher nicht Muslims

  • am 20.08.2023 um 08:26 Uhr
    Permalink

    Der nordöstliche Bundesstaat, der wegen der unerhörten Übergriffe zur Zeit in aller Munde ist heisst Manipur (nicht Maripur).
    Abgesehen davon, teile ich Ihre Einschätzung voll und ganz.
    Loser-Verhalten, das auf dem Irrtum beruht, es zeuge von Stärke, wenn man auf (numerisch) Schwächeren herumtrampelt …

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