Galaxus kaut vor, Journalisten beten nach.
Pünktlich auf den Wintereinbruch meldete die SRF-Fernsehsendung «10 vor 10» letzte Woche: «Statt die Arbeit Profis zu überlassen, wechseln immer mehr Autofahrerinnen und Autofahrer ihre Pneus selber.»
Woher «10 vor 10» das weiss? Vom Online-Händler Digitec-Galaxus! Dieser verschickte vor bald zwei Monaten eine Medienmitteilung unter dem Titel «Schweiz montiert Winterreifen selbst.» Darauf gekommen war die Migros-Tochterfirma, weil «die Nachfrage nach Wagenhebern um 40 Prozent und nach Reifenwechsel-Zubehör um 215 Prozent deutlich gestiegen» sei. «10 vor 10» übernahm die Zahlen.
Ob’s stimmt? Wer weiss?
Vielleicht haben Digitec-Galaxus und «10 vor 10» recht. Vielleicht montieren tatsächlich immer mehr Autofahrer die Winterräder selber. Vielleicht aber auch nicht.
Es könnte gut sein, dass Digitec-Galaxus mehr verkauft, weil eine andere Migros-Tochter, Do it + Garden, zum Verkauf steht und das Vertrauen der Kunden verloren haben dürfte.
Es könnte auch sein, dass Digitec-Galaxus sein Sortiment an Autozubehör vergrössert und deshalb mehr verkauft hat.
Und es könnte schliesslich sein, dass die Zunahmen in Prozent täuschen. «10 vor 10» weiss jedenfalls nicht, was die Zunahme von 40 Prozent bei den Wagenhebern und von 215 Prozent beim Reifenwechsel-Zubehör in absoluten Zahlen bedeuten. Denn Galaxus nennt «aus Konkurrenzgründen nie absolute Zahlen».
Deshalb fragte Infosperber bei Digitec-Galaxus:
- «Wie viele verschiedene Wagenheber hatten sie in den Jahren 2022, 2023 und 2024 im Sortiment?»
- Und: «Wie viele Reifenwechsel-Zubehör-Artikel?»
Die Antworten von Digitec-Galaxus waren sehr aufschlussreich. Sie zeigen nämlich, dass die Firma das Angebot an Wagenhebern seit 2022 fast verdreifacht, das Angebot an Reifenwechsel-Zubehör-Artikeln mehr als versiebenfacht hat. Wenn die Auswahl so wächst, dann ist auch nicht erstaunlich, dass die Verkäufe stark zunehmen. Ob wirklich mehr Räder gewechselt werden, ist fraglich. Dass die Konkurrenz unter Digitec-Galaxus gelitten hat, ist wahrscheinlicher. Aber das hätte «10 vor 10» eigentlich recherchieren müssen.
In seiner Medienmitteilung riet der Online-Händler zudem: «Von O bis O, also von Oktober bis Ostern, sollte man bekanntlich sein Auto mit Winterreifen ausstatten.» Und deshalb verschickte er die Medienmitteilung Ende September. Es sieht ganz danach aus, als wäre es darum gegangen, den Verkauf von Autozubehör weiter anzukurbeln.
Gleicher Titel bei Galaxus und «Blick»
Doch das Fernsehen SRF ist nicht alleine. Mitte November versandte Digitec-Galaxus eine Medienmitteilung mit dem Titel:
«Schweizer Handys werden günstiger»
Und der «Blick» veröffentlichte einen Artikel mit dem Titel:
«Schweizer Handys werden günstiger.»
Unterschied? Keiner.
Weiter hielt der Online-Händler fest: «Das helvetische Durchschnitts-Handy kostet aktuell 510 Franken.» Und der «Blick» schrieb mehr oder weniger ab: «Neue Smartphones kosten im laufenden Jahr im Durchschnitt 510 Franken.»
Digitec-Galaxus machte auch Werbung für seine Smartphones mit einer Bildschirm-Diagonale von mehr als sechseinhalb Zoll: «Zahlte die Kundschaft im Jahr 2019 noch durchschnittlich 803 Franken für ein Gerät dieser Grösse, sind es dieses Jahr noch 421 Franken.» Und der «Blick»: «Vor allem grosse und beliebte Smartphones ab 6,5 Zoll Bildschirm-Diagonale sind günstiger geworden. 2019 kosteten diese im Schnitt 803 Franken. 2024 sind es nur noch 421 Franken.»
Kein Wort darüber, dass die ersten Smartphones mit so grossem Bildschirm erst 2019 auf den Markt kamen und deshalb natürlich noch sehr viel kosteten. Stattdessen half der «Blick» dem Online-Händler bei der Werbung für die grossen Smartphones.
Eltern sollen ihren Kindern «Dumbphones» kaufen
Bleiben wir bei den Mobiltelefonen, aber wechseln wir zurück zu SRF. Im August titelte Digitec-Galaxus: «‹Dumbphones› nicht nur bei Oldies beliebt.» Und weiter: Die Verkäufe hätten um 66 Prozent zugenommen. SRF betete auf seiner Website nach: «‹Dumbphones›: Zurück zu den alten Tastenhandys.»
Der Online-Händler schrieb: «Die Handys bieten sich aus Elternsicht als erstes Gerät für Kinder an, die bereits allein unterwegs sind, aber noch kein Smartphone haben sollten.» SRF schrieb grosso modo ab: «Die Handys sind vor allem für Eltern attraktiv, die ihren Kindern ein erstes eigenes Gerät schenken möchten, aber noch kein Smartphone kaufen wollen.»
Auch hier: Digitec-Galaxus warb dafür, dass Eltern ihren Kindern ein einfaches Smartphone kaufen. Und SRF zog mit.
Der neue Trend: das Fischen
Vor gut zwei Jahren meldete Digitec-Galaxus, dass sich die Verkäufe von Sportartikeln innert fünf Jahren versiebenfacht hätten. Der Online-Händler lieferte detaillierte Zahlen darüber, welche Sportgeräte mehr und welche weniger verkauft wurden als im Vorjahr. Die Tamedia-Leute waren ob der Zahlenflut so begeistert, dass sie in ihren Zeitungen festhielten: «Die Migros-Tochter ist die grösste Online-Händlerin in der Schweiz, ihre Zahlen sind also repräsentativ.»
Was natürlich nicht stimmt. Wahrscheinlich unterscheidet sich die Kundschaft des Online-Händlers grundlegend von der Kundschaft der Ladengeschäfte. Repräsentativ sind die Zahlen von Digitec-Galaxus kaum.
Die Tamedia-Zeitungen bemängelten immerhin, dass Digitec-Galaxus «immer nur die relativen Zahlen der verkauften Artikel und nicht die absoluten» liefere. Dennoch erschienen in den Tamedia-Zeitungen zwei grosse Artikel über die angeblichen Trends.
Der wichtigste: das Fischen. Auf Rang 1 der Aufsteiger des Jahres: Angelschnur. Auf Rang 2: Angelruten. Auf Rang 3: Angelköder. Auf den Rängen 4 bis 6: Angelhaken, Angelzubehör, Angelrollen. Berücksichtigt waren Produkte, von denen Digitec-Galaxus innert eines Jahres mindestens 100 Stück verkauft hatte.
Schauen wir uns deshalb die Angelschnur genauer an. Hier verzeichnete der Online-Händler eine Zunahme von 415 Prozent. Es könnte also sein, dass Digitec-Galaxus 2020 nur 20 Angelschnüre verkauft hat, im Jahr darauf dann deren 103. Das wäre eine Steigerung um exakt 415 Prozent.
Jedenfalls deutet einiges darauf hin, dass es den Fischer-Trend nicht gibt und dass der Tamedia-Artikel reiner Unfug ist. Aber Digitec-Galaxus hatte bestimmt viel Freude daran.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
_____________________
➔ Solche Artikel sind nur dank Ihren SPENDEN möglich. Spenden an unsere Stiftung können Sie bei den Steuern abziehen.
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Gute Aufklärung! 🙂 Ich suche bei Vergleichen die absoluten Zahlen des Gesamten dazu. Fehlen sie, dann betrachte ich den Artikel als ‹Fake, Stimmungsmache oder Manipulation›.
Die Presse und TV-Medien verdienen eben immer weniger. Für Artikel nach den journalistischen Regeln der Objektivität und Richtigkeit haben die Journalisten immer weniger Zeit. Und es geht auch nicht mehr vor allem um relevante Inhalte, sondern man schreibt um die Werbung herum, so als Füller zwischen den Angeboten des Konsummarktes. Das Paradebeispiel ist Watson. Immer wieder hüpft die Werbung ins Bild. Filme von 20minuten sind Gefässe zur Platzierung des Was-auch-immer-Leserin -Kaufen sollte. Die dazwischen gestopften Infos sind unwichtig. Stimmt für die Aktionäre und Unternehmer, ist aber schlecht für Demokratien. Die wären angewiesen auf ein bisschen unabhängige Schreiberei. Die Renditezwänge sind dagegen. So zerstört der Profitwahn die Demokratie. Er macht die Akteure unglaubwürdig und frustrierte Verlierer (und wer ist das nicht?) wenden sich ab und suchen das Heil bei den politischen Sekten an den Rändern des Spektrums der menschlichen Hirnregionen.