Kommentar

kontertext: Wie Kriegsvokabular die Sprache verseucht

Michel Mettler © zvg

Michel Mettler /  Medien bewirtschaften die «Newsfront», Parteien «mobilisieren» Wählende, Firmen «rekrutieren» Personal: Sind wir im Krieg?

«Wir sehen uns bei Philippi wieder!» SVP-Zar Christoph Blocher, durch Geld und Fleiss zu Einfluss gekommen, warf diese Drohung im Dezember 1999 in den Nationalratssaal. Das Zitat stammt aus Shakespeares «The Tragedy of Julius Caesar» und benennt die Gewissheit, auf dem Felde Rache zu nehmen. Die Botschaft war klar: War diese eine Wahl verloren gegangen, so musste die nächste zum Blutbad für den Gegner werden. Bis dahin sollte er sich belagert und gejagt fühlen.

Was damals im edlen Wams der klassischen Bildung daherkam, hat heute in den täglichen Sprachgebrauch Einzug gehalten: die Gewohnheit, im Streit um Meinungen und Positionen kriegerische Metaphorik ins Feld zu führen. Nach der Wahl lese ich vom «Massaker an der Urne» und dass die Parteien sich im TV-Studio «zerfleischt» hätten. Nicht von ungefähr ist das Format nach der Arena benannt, jener sandbestreuten Kampfbahn des römischen Reichs, wo Stierkämpfe und blutige Rencontres zwischen Gladiatoren dargeboten wurden (und wo der gereckte Daumen, heute zum Emoji geschrumpft, über Sein oder Nichtsein entschied). Wer sich noch immer diese Sendung antut, ein veritables Schlachtross des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, mag an das oft kolportierte Zitat von Frank Zappa denken: «Politik ist die Unterhaltungsabteilung des militärisch-industriellen Komplexes.»[1]

Schleichende Aufrüstung

Die Schweiz rühmt sich, über 200 Jahre keinen Krieg geführt zu haben. Nur auf Landsleute schoss das Milizheer in dieser Zeit: auf streikende Arbeiter in Grenchen und auf antifaschistische Demonstrantinnen in Genf. Zählt auch Gummischrot zur scharfen Munition, so verhalf diese glorreiche Erfindung den Behörden immer wieder zu Blitzsiegen im Kampf gegen die eigene Bevölkerung. Immerhin, es ging um die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung – das Gewaltmonopol des Staates, sonst sorgsam hinter Anstaltsmauern versteckt, zeigte sein Gesicht auf der Strasse.

Sprachlich erlebt das «friedfertige Land im Herzen Europas» schon länger eine schleichende Aufrüstung. Für Bürgerinnen einer verschonten Nation mag es wenig stossend sein, wenn ein Trendscout, der keine Ahnung von Sprengfallen hat, «Lunte riecht», wenn nach der Wahl von der «Mobilisierung an der Urne» die Rede ist oder Amtsträger «im Kreuzfeuer» der Kritik stehen. Wie aber mag dies auf Ukrainerinnen wirken, deren Angehörige eingekesselt sind?

Takt oder Taktik?

Eines ist gewiss: Auf der Friedensinsel Schweiz tobt der Krieg bisher nur im übertragenen Sinn: um den besten Preis, um Aufmerksamkeit, um Meinungsführerschaft. Da braucht es also eine «Strategie», um Jagd auf Kundinnen zu machen und Stakeholder zu gewinnen. Oder fliegt man besser unterm Radar? Reihum präsentiert sich Kriegsvokabular: SRF will sich an der Newsfront verstärken; in der Politik marschieren Parteisoldaten, um «Themen aggressiver zu besetzen»; in mancher Branche ist Ertüchtigung wider den starken Franken gefragt, und der designierte US-Präsident wird wohl einen Preiskrieg anzetteln. Doch viele CEOs geben sich siegesgewiss – ihr Unternehmen sei «breit aufgestellt».

Was soll denn dabei sein? Das sind Worte, nicht mehr: Ein Parlamentarier, der es auf die Ersatzliste schaffte, bezeichnet sich als Reservisten; die Rechte vermutet bei der Mitte-Partei eine offene Flanke nach links und verlangt, dass die Bürgerlichen die Reihen schliessen. Mein Bankberater möchte mir den Unterschied zwischen strategischer und taktischer Asset Allokation begreiflich machen. Die Inflation bezeichnet er dabei als Nebenkriegsschauplatz.

Empfiehlt es sich also, gegenüber dem Gesamtmarkt in Deckung zu gehen?

Oder empfiehlt es sich im Gegenteil, breiter zu streuen?

Was ist angesagt, die Stellung zu halten oder das Lager zu wechseln?

Aus diesen Sprachbetrachtungen heraus könnte man mit Clausewitz sagen, Wirtschaft sei nur «eine Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln». Gewiss, es geht hier nur um Begrifflichkeiten und Sprachgebrauch, es mag also wortklauberisch sein, solche Beispiele aufzuspiessen wie warnfarbene Insekten. Doch ist es nicht auch eine Frage des Taktes (und nicht nur der Taktik), welche Begriffe wir wählen und welche wir meiden?

Kompaniedeutsch

Neulich ist mir dieses Problem wieder ins Auge gesprungen, als eine von mir beratene Institution erklärte, sie wolle sich künftig besser «positionieren»; man fühle sich dafür inzwischen «gut aufgestellt». Gerade diese Formel erfreut sich gerade regen Gebrauchs, obwohl sie dem Methodenschatz des Stellungskriegs entstammt. Die Institutsleiterin verkündete, in spätestens vier Jahren wolle man wieder «in der ersten Reihe» stehen (also im Feuer). Ich empfahl einen geordneten Rückzug, wenigstens an der Sprachfront, wurde aber überstimmt – man könne sich solche Sensibilitäten nicht leisten, hiess es, zu hart sei auch im Kulturbereich der Konkurrenzkampf.

Ist er so hart, dass wir bis ins Alltäglichste hinein auf Kompaniedeutsch setzen müssen, um zu beschreiben, wie es in unserem Leben zugeht? Ist schweres Geschütz gefragt, um Widersacher aus ihren ideologischen Schützengräben zu treiben? Und sind alle, die solcher Rhetorik misstrauen, einfach zu zartbesaitet für diese Welt?

Wenn die Politik zum Krieg der Schlagworte wird, wenn man sich mit Argumenten «eindeckt», Schlachtrufe absetzt und zum Halali auf den Gegner bläst, wenn selbst die Partnerschaft zur Nahkampfzone im Krieg der Geschlechter wird, möchte ich lieber auf der Seite derer stehen, die es mit Immanuel Kant halten. Der alte Aufklärer hat einmal erklärt: «Der Friede ist das Meisterstück der Vernunft.» Und sei es nur, dass diese Vernunft ihre Wurzeln in der Sprache findet, mit der wir beschreiben, was wir tun. Das könnte ein Anfang sein, um Philippi wieder als das zu sehen, was es schon vor Shakespeares Zeit war: eine Hafenstadt am Golf von Thasos, wo bis heute Menschen unterschiedlicher Gesinnung zusammenleben. Soweit friedlich, wie man hört.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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[1] Aus einem Interview mit dem Magazin «Keyboard» – das Zitat wurde in der hier genannten, nachträglich abgeänderten Form breit tradiert.

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Michel Mettler

Michel Mettler, geb. 1966, lebt als freiberuflicher Autor und Herausgeber in Klingnau. Er interessiert sich für die Geschichtlichkeit von Gegenwart und Erzählungen, die der Subtext schreibt. Zuletzt hat er als Co-Herausgeber den Band DUNKELKAMMERN veröffentlich (Suhrkamp 2020).

6 Meinungen

  • am 28.11.2024 um 09:52 Uhr
    Permalink

    Mir gehen schon die ellenlangen Diskussionen über Bewaffnungs-Arten und Systeme auf den Zeiger. Grotesk und absurd. Dabei wird die Realität komplett ausgeblendet.

  • am 28.11.2024 um 10:38 Uhr
    Permalink

    Lieber Michel, ein wunderbarer Kommentar zum heutigen Sprachgebrauch. So neu ist er allerdings nicht: Schon bei der ersten Entlassungswelle bei einer Schweizer Grossbank sprach ein Banker, den ich kenne, von «Gemetzel». Nun haben sich das kriegerische Wort und die kriegerischen Gedanken in den letzten zwanzig Jahren in die Köpfe der meisten Menschen eingeschlichen und festgesetzt. So erstaunt es nicht mehr, wenn wir mit wachen Augen die Tageszeitung oder andere Postillen öffnen, dass sich die Wortwahl brutalisiert hat. Sendungen wie «Arena» schaue ich schon seit Jahren nicht mehr: das sind reine Kampfspiele.
    Nützen tut das alles nur denen, die diese Wörter wie Schlingen oder Waffen in die Arena geworfen haben. Sie verbreiten Angst und Schrecken. Je mehr die Menschen Angst haben, umso mehr können sie von rechts manipuliert werden. Nur die Vernunft kann dagegen halten…

  • am 28.11.2024 um 12:11 Uhr
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    »An ihrer Sprache sollt Ihr sie erkennen« (Hans Jacob)

  • am 28.11.2024 um 12:20 Uhr
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    Das Kriegsvokabular ist derzeit omnipräsent. Und die Rollenverteilung auch: da die Guten, dort die Bösen. Die Bösen sind Putin und Hamas, Hizbullah, Iran, Palästinenser. Es gibt noch weitere, die man in Gut und Böse einteilen kann. Die NATO und die USA gehören jedenfalls immer zu den Guten. Wir kaufen auch Kampfflugzeuge von den USA, damit lässt sich man freiwillig ausspionieren, aber natürlich von den Guten.

  • am 28.11.2024 um 12:33 Uhr
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    Ausgezeichneter Artikel, ganz herzlichen Dank. Ich würde als Titel allerdings vorschlagen: » Was unsere Sprache über unsere Weltsicht und Haltung im Leben sagt». Benno Glauser (Paraguay)

  • am 29.11.2024 um 09:31 Uhr
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    Nein, neu ist dieser Kriegsjargon nicht. Schauen oder hören Sie sich einmal einen Kommentator bei einem Fussballmatch an. Da rollen sogar Panzer, die Tore werden belagert, die Torhüter bombardiert, oder unter Beschuss genommen, der Sturm (!) und die Abwehr liefern sich Zweikämpfe ‹Mann gegen Mann›, die guten Spieler sind Granaten, Bomber, ganze Mannschaften werden vom feldüberlegenen Gegner abgeschlachtet, usf. Und nach dem Spiel liefern sich die auswärtigen Schlachtenbummler (da wird plötzlich nicht mehr gegendert) dann sogar reale Strassenkämpfe – wen wundert’s.

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