«Big-Pharma-Monopoly hat die Grundversorgung aufgegeben»
Wenige Tage, nachdem der Hurrikan «Helene» letzten September den Südwesten der USA heimgesucht hatte, gab die Pharmafirma Baxter bekannt, dass sie wegen Regen und Flut eine ihrer Produktionsstätten in North Carolina schliessen müsse. In normalen Zeiten werden dort täglich 1,5 Millionen Beutel mit Infusionslösungen hergestellt – 60 Prozent des US-Bedarfs.
Die Beutel enthalten so scheinbar banale Dinge wie sterile Kochsalz- oder Zuckerlösung. Doch ohne solche Infusionen stehen Spitäler still und Schwerverletzte sterben. Die Beutel werden benötigt, um Patienten im Schockzustand am Leben zu erhalten, um Operationen durchführen zu können, um lebenswichtige Medikamente wie Antibiotika darin aufzulösen und den Kranken zu infundieren.
200 Jumbo-Jets mit Infusionslösungen in die USA geflogen
«Schon vor dem Sturm war die Versorgung mit intravenösen Lösungen für Kinder kritisch, nun verschärfte sich die Lage dramatisch. Zahlreiche Operationen mussten verschoben werden, um einen Zusammenbruch der Notfallversorgung zu verhindern. In einer beispiellosen Aktion wurden mehr als 200 Jumbo-Jets mit Infusionslösungen aus Europa und Asien in die USA geschickt», schrieb Enea Martinelli, Chefapotheker bei der Spitäler FMI AG und Vizepräsident von Pharmasuisse auf «Medinside».
Im Oktober 2024 meldete das «Deutsche Ärzteblatt», dass in deutschen Krankenhäusern ein Mangel an Kochsalzlösungen herrsche. «Ein direkter Zusammenhang ist unklar, doch die Kette an Ereignissen zeigt, wie fragil die Medikamentenversorgung weltweit ist», so Martinelli. «Infusionen sind wohl das Kritischste in der Versorgung. Aber die Politik schaut da nach meinem Dafürhalten sehr aktiv weg.»
Flüssigkeit trinken statt Infusion
In den USA musste vielerorts die Dialyse bei Patienten mit Nierenschwäche verkürzt werden, nicht-dringliche Operationen wurden gestrichen, Spitalapotheker suchten abendelang nach uralten Fachartikeln, um herauszufinden, welche Maximalkonzentration bei Medikamenten zum Auflösen gerade noch verträglich ist. Auf diese Weise sparten sie Infusionsflüssigkeit.
Einer Spitalkette im Bundesstaat Maryland gelang es so, mit 40 Prozent der üblicherweise verwendeten Infusionslösungen auszukommen. Vor jeder Infusion prüften die Ärzte die Notwendigkeit. Patienten, die unter anderen Umständen eine Infusion bekommen hätten, wurden angehalten, stattdessen Wasser zu trinken. Nur bei wenigen Patienten sei es zum Nierenversagen gekommen, alle hätten sich bis zu ihrer Entlassung aus dem Spital wieder davon erholt, berichteten die Ärzte in «NEJM Catalyst».
«Big-Pharma-Monopoly»
Wenige Jahre zuvor brachte 2017 der Hurrikan «Maria» US-Patienten und ihre Ärzte in Nöte. Er verwüstete Puerto Rico, wo für die USA 30 wichtige Medikamente und weitere Produkte hergestellt wurden, 14 davon kamen ausschliesslich aus Puerto Rico. Innerhalb weniger Tage gingen zum Beispiel die Klammern aus, mit denen Chirurgen Gewebe zusammenheften. Die Operateure mussten auf uralte Methoden zurückgreifen. Da es weiterhin Naturkatastrophen geben werde, würden auch die Lieferengpässe anhalten, prophezeit ein Chirurg in der US-Ärztezeitung «Jama». «Es stellt sich die Frage, warum wir uns als Gesellschaft nicht viel besser darauf vorbereiten.»
Schon seit 2007 verzeichnen die USA jedes Jahr über 100 neue Lieferengpässe bei Medikamenten. Besonders oft betroffen sind Generika zum Spritzen – Infusionen, Chemotherapien, Antibiotika, Schmerzmittel in Ampullen. «Sie sind für die Akutmedizin unverzichtbar. Ein Produktionsausfall kann binnen Stunden eine Versorgungskrise auslösen», warnte Enea Martinelli auf «Medinside». 67 Prozent aller Medikamenten-Lieferengpässe zwischen 2017 und 2023 in den USA fielen «Jama» zufolge in diese Kategorie.
«Das Big-Pharma-Monopoly hat die medizinische Grundversorgung aufgegeben, um mit teuren ‹Wundermitteln› zur Gewichtsreduktion usw. Profit zu machen», kritisiert ein Arzt in einem Leserkommentar.
«Investitionen hätten schon vor zehn Jahren getätigt werden müssen»
Zu den Problemen trägt auch die fehlende Vorratshaltung der Spitäler bei. Sie bestellen die benötigten Dinge jeweils ad hoc – was bei einem Lieferengpass zum sofortigen Mangel führt. Das ganze System sei so angelegt, dass alles jederzeit perfekt funktionieren müsse, sagt die leitende Apothekerin an der Universität Utah. Wenn etwas schief gehe, sei keine Luft im System.
Die Hurrikans sind längst vorbei, aber die Knappheit dauert an. «Es ist konstant – es gibt ständig Lieferengpässe», zitiert «Jama» den «Chief Innovation Officer» einer Gesundheitseinrichtung in Dallas. Der Leiter einer Nonprofitorganisation, die in Notsituationen und bei Katastrophen hilft, wirft der Politik vor, sie handle sehr kurzsichtig. «Die Investitionen, die wir heute benötigen, hätten schon vor zehn Jahren getätigt werden müssen.»
Geschenke vom Staat für Penicillin-Herstellung im eigenen Land
Auf der anderen Seite des Atlantiks tönt es ähnlich. «In Europa hat der Medikamentenmangel von 2000 bis 2018 um das 20-Fache zugenommen. Mit der Pandemie, welche die Lieferketten durcheinanderbrachte, hat sich das Problem abermals verschärft. Medikamente fehlen nicht nur häufiger, sondern auch über längere Zeiträume», berichtete «Swissinfo» im Februar. Rund zehn Stunden pro Woche würden Apothekerinnen und Apotheker in Europa im Durchschnitt damit verbringen, nach Lösungen für den Medikamentenmangel zu suchen.
«Ärztinnen und Apotheker setzen alles daran, dass das Problem möglichst nicht bei den PatientInnen ankommt. Der Aufwand ist jedoch gewaltig», bestätigt Enea Martinelli, der seit Jahren auf seiner Website «drugshortage.ch» über die Lieferengpässe in der Schweiz informiert. Aktuell sind demnach 286 Wirkstoffe nicht lieferbar. 142 davon stuft die WHO als essenziell ein.
Letzten Oktober wurde eine Volksinitiative zur medizinischen Versorgungssicherheit eingereicht. Sie verlangt, dass der Bundesrat Vorkehrungen treffen soll, um Lieferengpässe zu verhindern. Der Bundesrat will einen Gegenvorschlag präsentieren. «Leider mahlen die Mühlen sehr langsam», stellt Martinelli fest.
Sorgen bereitet ihm zum Beispiel die «fragile Lage» bei der Firma Sintetica. Im Januar strich die Firma, die Dutzende von unabdingbaren Medikamenten in Ampullen herstellt, 55 Stellen. Aktuell kann sie wegen Rohstoffproblemen bis Juli 2025 keine Morphin-Ampullen liefern. Dieses Schmerzmittel ist aus der Medizin nicht wegzudenken. Dem Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung gelang es, kurzfristig eine Lösung zu finden. «Was wäre passiert, wenn keine Lösung gefunden worden wäre?», fragt Martinelli. «Insbesondere die Infusionen und solche «Basis»-Ampullen gehören für mich zu den zentralsten Medikamenten. Eine Abhängigkeit vom Ausland wäre genau hier fatal.»
Regierungen buttern Riesensummen in die Firmen
Einige Regierungen erachten finanzielle Anreize als Rezept gegen die Mangellagen. Laut einer Studie praktizierten dies seit 2022 mindestens 18 Länder weltweit, etwa mit Preiserhöhungen für Generika. «Swissinfo» zufolge bezahlte zum Beispiel die österreichische Regierung dem Basler Generikahersteller Sandoz rund 27 Millionen Franken, damit die Firma das wichtige Penicillin-Antibiotikum Amoxicillin in Österreich herstellt. Im Zuge der Standortförderung habe Österreich die Firma Sandoz sogar mit 50 Millionen Euro bezuschusst, berichtete die «Welt am Sonntag».
Das Schlagwort heisst «Gesundheitssouveränität»: «Russland und Kasachstan haben es sich zum Ziel gesetzt, bis 2025 50 Prozent der Arzneimittel im eigenen Land zu produzieren. Saudi-Arabien will den Anteil lokal hergestellter Medikamente bis 2030 auf 80 Prozent erhöhen», so «Swissinfo».
Elf EU-Gesundheitsminister verlangten im März 2025 einen Teil des 800-Milliarden-Euro-Verteidigungsfonds dafür zu verwenden, um die Versorgung mit essenziellen Arzneimittel sicherzustellen. Eine neue EU-Verordnung will nun die Produktion innerhalb Europas finanziell fördern und Abhängigkeiten vom Ausland reduzieren.
Europäische Staaten überweisen den Herstellern Abermillionen
Die französische Regierung butterte bereits in grossem Stil Geld in Pharmafirmen, damit sie das gebräuchliche Schmerzmittel Paracetamol weiterhin in Frankreich produzieren. Gemäss der «Luzerner Zeitung» investierte sie zusammen mit zwei Pharmafirmen 120 Millionen Euro in eine Produktionsanlage für Paracetamol auf französischem Boden und kaufte sich mit 150 Millionen an Staatsgeldern in einen Schmerzmittelhersteller ein. Falls das Unternehmen die Produktion ins Ausland verlagern würde, droht ihm eine Strafzahlung von 40 Millionen Euro.
In der Schweiz haben derzeit über 15 Firmen eine Zulassung für Medikamente mit dem Wirkstoff Paracetamol. Das wirft die Frage auf, ob der Verkauf dieser Generika wirklich so unrentabel ist, wie von den Firmen stets behauptet.
Die Eidgenössische Preisüberwachung verglich 2021 die Generikapreise in Europa. Ihr Befund: «Die Schweizer Preise sind nach wie vor deutlich überhöht. Die Resultate sind mit denjenigen der Auslandpreisvergleiche des Preisüberwachers früherer Jahre (letztmals durchgeführt 2017) vergleichbar. Dies zeigt, dass auch in den letzten Jahren viel zu wenig gegen die zu hohen Schweizer Medikamentenpreise – und insbesondere die massiv überhöhten Generikapreise – unternommen wurde.»

Firmen müssten Daten liefern, tun es aber nicht
Andere Länder setzen auch auf Druck. Laut «Swissinfo» habe die indische Regierung «Pharmaunternehmen von der Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen, wenn diese es versäumt haben, die Versorgung aufrechtzuerhalten, oder wenn sie minderwertige Medikamente herstellten. Die USA und Frankreich haben Bussen eingeführt für Unternehmen, die Lieferengpässe nicht gemeldet haben.»
Schon seit März 2020 sind Arzneimittel- und Medizinprodukte-Hersteller in den USA verpflichtet, entsprechende Daten an die Medikamentenaufsicht zu übermitteln. Doch laut «Jama» hatten auch drei Jahre später die meisten Firmen noch keine Informationen geliefert.
Eine Möglichkeit wäre, die Medikamenten-Zulassung an die Bedingung zu knüpfen, dass der Hersteller liefern muss – oder aber gebüsst wird.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Mein Vorschlag: Zölle auf auf ausländische Produkte, die wir zwingend brauchen. Wenn die Generika in der Schweiz schon mehr wie im Ausland kosten, dann kann der Staat den höheren Preis abschöpfen und die Medikamentenpreise auf heutigem Niveau fixieren! Dann Entscheidet der Hersteller, ob sich lokale Produktion lohnt. Mit den Einnahmen lassen sich Lager oder Produktionen fördern…
Milliarden Gewinne, Dividenden und Bonus, mangelndes Verantwortungsbewusstsein und mit strategischer Mangelwirtschaft die Kuh die Goldene Eier legt, dazu zu bringen, dass es Diamanten werden.
Es läuft soviel schief bei unseren hochdekorierten Abschöpfern und Planern, dass man sich fragt wieso in einer Demokratie und Sozialen Struktur solche fundamental notwendigen Bereiche so vermanipuliert werden können. Hoffentlich passiert nichts grösseres. Das Desaster wäre programmiert.
Privatwirtschaft as usual. Die Grundversorgung der Bevölkerung gehört nicht in private Hände – das geht auch für essentielle Medikamente. Anstatt profitgierige Pharma-Unternehmen mit Abermillionen zu Produktion solcher Medikamente zu animieren, wäre es klüger, diese Unsummen in eine staatliche Produktion zu stecken, sei es in einer staatseigenen Anlage oder durch Auftragsvergabe an bestehende Firmen.
Dividendenausschüttungen und monströse Gehälter der CEO’s sind, was zählt. Die Politik stört sich nicht wirklich an der Kostenexplosion und auch nicht ernsthaft an den Krankenkassenprämien. Zahlt alles das Volk. Wenn Patienten sterben, weil keine Medikamente oder kein Spitalbett verfügbar sind, tant pis, entlastet Kantonsbeiträge und die AHV, schafft Platz im öV und auf den Strassen, vermeidet Abfall. Spitalschliessungen, eine Militärapotheke, die nicht einmal Fläschchen hat, um Desinfektionsmittel abzufüllen und auch kein Ethanol, um Desinfektionsmittel herzustellen, sind symptomatisch. Mit Krisenvorsorge lassen sich keine Wahlen gewinnen, politisch verantwortlich ist sowieso niemand, Hauptsache wir machen uns Sorgen über glückliche Hühner, Insektensterben und Klimawandel. Niemand scheint zu erkennen, welche Nebelgranaten da gezündet werden, um von den tatsächlichen Problemen der Gleichgültigkeit, Inkompetenz, Faulheit und explodierenden Bürokratie sowie Staatsquote abzulenken.
Ist doch gut so, dann vergiften sich weniger Leute an den schädlichen Medikamenten!!
Nicht die Medikamente heilen, es ist jeder selber für seinen Körper verantwortlich und kann vieles dazu beitragen das mit der Ernährung beginnt!