Kommentar

Rassismus für Glaubwürdige

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Regula Stämpfli /  Ausgerechnet die Freunde im Geiste benehmen sich häufig wie die übelsten Trolle. Dafür gibt es Erklärungen.

Red. Regula Stämpfli hat Geschichte, Philosophie und Politologie studiert. Sie arbeitet als Autorin und Dozentin in der Schweiz, Deutschland und Frankreich.

Michael Thai (Uni Queensland) erfasste das Phänomen psychologisch, Guttmann/Weisstanner/Armingeon politologisch: Versprich Gutes und werde zum Übeltäter.
Guttmann/Weisstanner/Armingeon stellten fest, dass Sparpakete, Kürzungen im Wohlfahrtsstaat vor allem von Regierungen, die links sind oder in Grossen Koalitionen stecken, initiiert und umgesetzt werden. Die rechten Parteien erhalten dafür meist zuwenig Unterstützung oder müssen mit enormen Protestwellen rechnen. Wer das asozialste aller Projekte, Hartz IV, kennt, das von Gerhard Schröder («Es gibt kein Recht auf Faulheit» – sagte ausgerechnet der.) und Wolfgang Clement (der Arbeitslose auch schon mal mit «Parasiten» verglichen hat) initiiert wurde, wer Sigmar Gabriels Agitationen für den anti-Umwelt, anti-Wohlfahrtsstaat, anti-Demokratie-Vertrag TTIP verfolgt, weiss nun dank Guttmann/Weisstanner/Armingeon warum. Sozialdemokraten haben von sich und ihrer Partei das Image «sozial». Dieses wird als Blankocheck für eine asoziale Demokratur benutzt. Abbau von Frauenrechten? Können sich nur Feministen und Feministinnen leisten.
Von der Politologie zur Psychologie: Empathielosigkeit? Geht bei feinfühligen Psychiatern perfekt durch. Michael Thai zeigt in seiner Studie, dass Menschen, die Feministinnen als Geliebte oder Freunde mit Migrationshintergrund haben, sexistischer und rassistischer sein «dürfen» als jene, die sich unter Weissen und Sexisten tummeln. «Viele meiner Freunde sind Ausländer, aber…» oder «Ich bin total gegen Sexismus, aber…» können sich Männer mit feministischen Freundinnen und weisse Männer mit dunkelhäutigen FreundenInnen locker leisten, ohne als das entlarvt zu werden, das sie sind: Sexisten und Rassisten.
Thai liess Fotos mit einer identischen Aussage zirkulieren. Wurde die Aussage von einem weissen Mann mit ausschliesslich weissen Freunden bebildert, dann wurde die Aussage als eindeutig rassistisch eingestuft. Wurde die Aussage aber mit einem weissen Mann und schwarzen Freunden bebildert, wurde sie nicht als rassistisches Statement erkannt.
Moralische Glaubwürdigkeit gekoppelt mit Selbstzuschreibung kann also dazu führen, Sexismus und Rassismus zu legitimieren. Die Präsidentschaft Obama hat deshalb nicht zu weniger Rassismus geführt, sondern im Gegenteil: Die Unterstützer von Obama liessen sich in anderen Versuchen leichter dazu hinreissen, negative Kommentare über dunkelhäutige Menschen zu machen.
So. Deshalb: Bewahre uns vor selbstüberzeugten Unschuldigen, Feministen, Anti-Rassisten und deren Leerstelle punkto Selbstkritik. Erinnern wir uns an allgemeingültige, universelle Regeln statt an Identitäten, die für nichts Garantie sind. Deshalb plädiere ich wieder und wieder auf einer Trennung zwischen öffentlich und privat, denn privat zieht immer und in jedem Fall totalitäre Unterdrückungsmechanismen nach sich. Wie meinte Zizek kürzlich in der NZZ? «Das Grossartige an der Aufklärung bestand ja von Anfang an darin, dass rationale Argumente ihren Wert unabhängig davon haben, wer sie äussert.»
Eben. Die «richtige» Person oder deren Erfahrung ist noch kein Argument.
PS: Deshalb schrieb ich an anderer Stelle auch schon: «Wer braucht eigentlich Marine Le Pen, wenn sie François Hollande hat?»

Der Artikel erschien zuerst auf news.ch.


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4 Meinungen

  • am 24.02.2016 um 11:47 Uhr
    Permalink

    Wie hiess doch gleich der Nachruf auf die New Labour (oder Schröder/Blair-) Generation »… lügen ohne je ROT zu werden». Seit Aussenminister Joschka Fischer gibts aber auch dasselbe in GRÜN.
    MfG
    Werner T. Meyer

  • am 25.02.2016 um 10:36 Uhr
    Permalink

    Das Problem ist halt, dass New Labour und die europäische Sozialdemokratie eine ganz und gar bürgerliche Bewegung ist. Bestenfalls könnte man sie als das kleinere Übel bezeichnen. Sie möchte den Kapitalismus in menschlichere Bahnen lenken. Soziale Schranken einbauen. Doch kann das überhaupt funktionieren? Ich bezweifle es. Aber in der Sozialdemokratie gibt es zum Glück immer noch Köpfe, die die Ideale des Sozialismus nicht in die Mottenkiste verbannt haben und versuchen Gegensteuer zu geben. Ich denke da an Bernie Sanders, den Sozialisten und Mitglied der US-Demokraten. Sein Aufstieg ist phänomenal und zukunftsgerichtet. Nicht ganz ausgeschlossen ist, dass die Ur-Mutter des Kapitalismus plötzlich einen Sozialisten zum Präsidenten, allenfalls zum Vizepräsidenten wählt. Gegner hat Sanders auch in seiner eigenen Partei. Etwa jene Feministinnen, die auf Teufel komm raus eine Frau als Präsidentin haben wollen. Denen ist jeden Mittel recht, auch einen Linken zu verteufeln. Das kann so weit gehen, dass die Frauenrechtlinneren sich nicht scheuen, politisch auch mit Rechtsradikalen ins Bett steigen, eine Alice Schwarzer zum Beispiel, für die eine Frau immer auf der richtigen Seite steht, auch wenn sie Petry heisst. Oder eine Julia Onken, die plötzlich mit einem Ulrich Schlüer herummacht – nicht körperkontaktlich natürlich …. Da gibt es kaum Unterschiede zwischen der Neuen und der Alten Welt.

  • am 26.02.2016 um 10:17 Uhr
    Permalink

    @Peter Beutler
    Kennen Sie denn die Meinung von US-Feministinnen zu den Kandidatinnen?
    Judith Butler zum Beispiel wird wohl Bernie Sanders wählen. Sicher nicht die Clinton.
    "“Yes, I am following these movements closely, and was pleased to see a socialist coalition in Portugal coalescing in the past few weeks. The candidacy of Bernie Sanders in the US has to be included among these developments as well. ‘Socialism’ has hardly been speakable within mainstream US politics for a long time. «
    Werner T. Meyer
    Quelle: https://www.timeshighereducation.com/books/review-notes-toward-a-performative-theory-of-assembly-judith-butler-harvard-university-press

  • am 26.02.2016 um 10:26 Uhr
    Permalink

    Sehr gut, Werner Meyer. Ich habe nicht die Feministinnen global gemeint. Aber in den USA haben die Anhänger Clintons eben diese Karte ausgespielt. Wie sie nun auch die Afroamerikaner auf ihre Seite ziehen wollen, obwohl Sanders Programm weit mehr vorsieht für diese immer noch diskriminierte Volksgruppe.

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