Kommentar

Sprachlust: Wo die Zibele auf das Bütschgi trifft

Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Daniel Goldstein /  Früher gabs im Dialekt kein «Frühstück», und «Butter» war eine Rarität. Jetzt macht sich «Anke» beim «Zmorge» rar. Was ist da los?

Bern kann sich freuen: Die Küchenzwiebel wird zunehmend auch in der östlichen Deutschschweiz Zibele genannt und nicht mehr Böle. Ob da die Ausstrahlung des Zibelemärits wirkt, darf aber bezweifelt werden: Mindestens so schwer dürfte der Umstand wiegen, dass die Berner (und Basler) Bezeichnung für die Zwiebel näher an der hochdeutschen Form liegt. Denn als die Forscherin Britta Juska-Bacher 2010 den Rückgang von «Böle» konstatierte (in «Linguistics online»), hatte sie in der gleichen Umfrage einen eigentlichen Siegeszug von «Schmätterling» und «Summersprosse» beobachtet.
Vor einem halben Jahrhundert hatte «Sprachatlas der Deutschen Schweiz» für die beiden sommerlichen Erscheinungen noch eine grosse Vielfalt von Bezeichnungen festgehalten; die Hochdeutsch-nahen Formen waren rar. Die Biodiversität scheint in der Mundart noch stärker bedroht zu sein als in der Natur. Pflanzen- und Tierarten sowie ihre Lebensräume zu schützen, dürfte ein leichteres Unterfangen sein, als Dialektwörter gegen einen Trend am Leben zu erhalten. Immerhin kann in der Sprache jeder und jede dazu beitragen: Es reicht, selber den Trend nicht mitzumachen. Schlimmstenfalls muss man dem Gegenüber erklären, was ein Summervogel oder Fifolter ist und was Merze- oder Laubfläcke sind.
Forschung per Mobiltelefon
Der Einfluss des Hochdeutschen ist auch spürbar, wenn das Früeschtück mit Butter den Zmorge mit Anke verdrängt und das Pfärd Hafer frisst statt das Ross Haber. Immerhin bleiben Aussprache und zuweilen Geschlecht («de Butter») mundartlich geprägt. Die Dialektforschung stellt fest, dass sich die Lautformen weit weniger verändern als der Wortschatz. Und nicht immer setzt Hochdeutsch den Trend, wenn die Vielfalt des Vokabulars abnimmt. So hat ein neues Forschungsinstrument den Hinweis ergeben, dass sich das zürichdeutsche «Bütschgi» auf Kosten von «Gröibschi» und anderen Varianten ausbreitet. Beide Wörter haben in Deutschland regionale Verwandte (Butzen, Griebs), während das formelle «Kerngehäuse» im Alltag selten sein dürfte.
Das genannte Instrument ist die seit einigen Jahren für Apple-Mobilgeräte verfügbare «Dialäkt Äpp» und die neue Version «Voice Äpp» (auch für Android). Damit kann man anhand von Testwörtern überprüfen, welcher Region der eigene Dialekt zugeordnet wird – und man kann melden, woher man stammt und welche Wörter man verwendet. Zehntausende von Beiträgen werden derzeit ausgewertet.
Misshandelte Mundart
Zur Vereinheitlichung des Mundart-Wortschatzes dürften auch die elektronischen Medien beitragen. Damit meine ich weniger die im Dialekt gehaltenen Radio- und Fernsehsendungen. Die klingen durchaus vielfältig, auch wenn Sprecher und Moderatorinnen vielleicht auf besondere Ausdrücke ihrer engeren Heimat verzichten. Vor allem aber verwendet Werbung oft ein Allerwelts-Schweizerdeutsch, das nicht einmal im Bahnhofbuffet Olten zuhause ist, sondern direkt aus einer schriftdeutschen Vorlage trieft. Da wird man aufgefordert, mit XY «de Mund z’schpüele» oder gegen «herabgsetzti Leischtigsfähigkeit» YZ zu schlucken. Oder es trieft englisch, etwa wenn man am Telefon gebeten wird, auf den «Abo-Sörviss» zu warten.
Auch angebliche Mundart in Filmdialogen klingt nicht selten so, wie sie vermutlich zuerst aufgeschrieben worden ist, hochdeutsch eben. Die «NZZ am Sonntag» prangerte einst Sätze an wie «De Arzt, de dich operiert hät» (statt «wo …») oder «Es isch vorus zgseh gsi» (statt etwa «Das hät me chöne vorhergseh») – genützt hats kaum. Ähnliches «Schweizerdeutsch» erklingt zuweilen aus Politikermund, wobei es oft um Vorlagen geht, die naturgemäss Schriftdeutsch vorliegen. Da redete man besser gleich Hochdeutsch, so gut es eben geht.
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlust»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch und ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel», auf deren Website weitere Informationen zum Thema zu finden sind.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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4 Meinungen

  • am 20.06.2015 um 10:25 Uhr
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    wenn de nümm weisch, wie der dr schnabel gwachse isch, isch s e cheibe- biez sich sälbr nit z verhienere.

  • am 20.06.2015 um 11:52 Uhr
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    Mir schriben unseri SMS indr Familie oft uf baseldütsch. Das hilft e biz, und die Aeltere mache die Junge uf Fählr ufmerksam, wenn die s höre wänn. Oft sin Jungi durchus dra intressiert, ihre Dialäkt richtig z könne, abr si hän kum meh Referänze und gliche sich eben unbewusst em Hochdütschen a. Dorum – mir Aeltere könne do schone biz Untrstützig gä…

  • am 22.06.2015 um 07:39 Uhr
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    S’Problem foht vöu früecher a, nämlech mit däre unsägleche Standardsproch, wo scho i de Chindergärte gredt wird. Radiomoderatore rede kes suubers Schwiizerdütsch meh, Chind hei dütsche Satzboute ir Mundart und mir hei nur noch verbiifahrendi Autos (statt Auto, wo verbii fahre…). Höred doch uf mit däre Pseudostandardsproch ir Schuel – Usländer verstöi so ke Schwiizerdütsch meh, mir verlüügne üsi eiget Sproch und besser hochdüütsch cha wäge däm auso niemer, wo us dr Schuel choont.

  • am 23.06.2015 um 23:28 Uhr
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    Ich han scho baseltütschi oder nidwaldnerischi, bündnerischi oder wallisertütschi SMS bichoh. Das find ich amix… ja was? Mir fehlt s züritütschi Wort defür – obwohl d Familie siet meh als hundert Jahr i de Stadt Züri läbt. Ich merk meischt tiefig, welle Dialäkt ich ghör oder lies. Bärn, Luzern, Appizäll, Uri, die händ alli au so schöni Dialäkt.

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