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Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Sprachlupe: Mundart, die aus dem Computer kommt

Daniel Goldstein /  Eine neue digitale Dialektsammlung lässt vielerlei Hoffnung zu – und eine Befürchtung: dass Sprachassistenten ihre «Mundart» reden.

«Assischta, hät’s no Chriesigomfi im Chuchichäschtli?» – «Näi, aber ufem Chällerregal isch no weli vorrätig!» Ist der Haushalt fürs Internet der Dinge eingerichtet und mit «smarten» Lautsprechern versehen, dann könnte es bald einmal so tönen. Jedenfalls ist die kürzlich im Internet eingerichtete Dialektsammlung auch als Vorarbeit dazu gedacht, dass Sprachassistenten wie Siri oder Alexa Schweizerdeutsch verstehen. Steigen deren Betreiberfirmen darauf ein, dann werden sie es sich wohl nicht nehmen lassen, ihren Systemen auch das Reden im Dialekt beizubringen.

Wie eine solche virtuelle Mundart herauskommen könnte, lässt sich schon erahnen, wenn man bei der Dialektsammlung mitmacht (Nachtrag 2023: nicht mehr möglich). Man wird dort dazu aufgefordert, schriftdeutsche Beispielsätze in der eigenen Mundart wiederzugeben. Bei mir fing es ganz unverfänglich an: «Darum brauche es frischen Wind.» Da kommt ungezwungenes Schweizerdeutsch heraus, Wort für Wort; zum Glück lautet die Vorlage nicht «würde … brauchen». Aber dann fängt’s so an: «Anschliessend …». Also «aschlüssend» oder auch «aschliëssend» – kann man sagen, klingt aber papieren; der gewachsene Schnabel sagt lieber «grad drufabe».

«Däzitigs» Schwyzerdütsch

Und zuletzt: «Eine Bestätigung für die Verhaftung des Lehmann-Chefs war nicht erhältlich.» Mein Versuch wurde als «zu lang» verworfen: «Me hät kä Beschtätigung derfür chöne überchoo, dass de Chef vo Lehmann verhaftet worde sig.» Nur «im Tempo vom ghetzte-n-Aff» lies das System mit sich reden. Bei solchen Vorlagen rächt es sich, dass sie aus Medientexten stammen, statt aus dem Alltag. Dementsprechend kommen auch manche Dialektsätze anderer Beteiligter daher; man kann sie anhören und mit dem Daumen beurteilen. Was zwei verschiedene Prüfungsrunden übersteht, bleibt drin; nach zwei Flops fliegt’s raus.

«Die söled vom Publikum gefüettered werde chöne.» Das hatte jemand schriftgetreu wiedergegeben, und ich liess es durch, obwohl für mich eine andere Wortstellung oder ein Aktivsatz natürlicher wären. «Däzitige Probscht isch Dieter Schultz-Seitz.» Das empfahl ich zur Löschung, denn vor den Namen gehört ein Artikel, und «däzitig» geht gar nicht. Auch die Zeiten bergen Fallen: Eine Zukunftsform mit «wärde» missfiel mir, dagegen freute mich, dass jemand aus «stürzten die Urne vom Sockel» machte: «hei … vom Sockel gschtürzt». Noch besser hätte mir «abem» gefallen, und auch über «schtürze» könnte man noch diskutieren.

Kurz: Die schriftdeutschen Mustersätze verleiten zu einem vor­gekauten «Schweizerdeutsch», wie es etwa auch an Gemeinde- oder Ratsversammlungen zu schriftlich vorliegenden Geschäften zu hören ist. Einen anderen Weg wählte kürzlich eine Umfrage aus der Universität Freiburg, bei der es um grammatische Feinheiten ging: Als Antworten auf Alltagsfragen standen verschiedene Sätze zur Auswahl, oder man konnte einen eigenen formulieren. Zudem erhielt man Gelegenheit, echte Perlen aus der Werbung gleich oder anders zu sagen, z. B.: «Für unwidersteelechi XY-Früschi, dere ich äifach nöd cha widerstaa».

Bitte ohne Familienanschluss

Davon inspiriert, habe ich der fiktiven Assista am Anfang «vor­rätig» in den Mund gelegt, zudem das dubiose «Regal» und vor allem «weli», das im Dialekt nur fragend verwendet werden kann. Wenn dereinst die digitalen Dienerinnen (warum bloss sind es meistens Frauenstimmen?) das gelernte Schweizerdeutsch auch selber reden, so dürfte es ähnlich genormt tönen. Und die lieben Kinderlein im Hause lernen es dann ebenso. Besser wäre es, Geräte träten weiterhin nicht wie Familienmitglieder auf, sondern als Hilfsmittel – und die dürfen gern Hochdeutsch reden (am liebsten eine korrekte, schweizerisch gefärbte Variante).

Bei der Dialektsammlung mitzumachen, lohnt sich trotzdem. Wer sich die vorgelegten Sätze neu überlegt, statt sie abzulesen, trägt zum besseren Mundartverständnis bei, auch zum eigenen. Und die Sammlung soll auch der Forschung und weiteren Anwendungen dienen, so Automaten für Protokolle und Untertitel.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der Autor war Redaktor beim «Sprachspiegel» und zuvor beim Berner «Bund». Dort schreibt er die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber. entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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Eine Meinung zu

  • am 6.07.2021 um 21:13 Uhr
    Permalink

    Richtig: man muss sich die hochsprachlichen Sätze neu überlegen, denn im Dialekt konstruiert man Sätze anders, auch gibt es nur zwei Zeitformen. Mir fällt immer auf, wenn jemand schriftsprachliche Sätze eins zu eins übersetzt. Wenn ich den Enkelkindern Geschichten vorlese, merke ich, wie sehr ich Sätze umstellen und das richtige Dialektwort suchen muss. Am besten ich lese den Text vorher.

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