Salwan Momika.S.M.

Der Iraker Salwan Momika verbrennt in Schweden öffentlich ein Exemplar des Koran. © S.M.

Ist das provozierende Verbrennen eines Korans zu verbieten?

Urs P. Gasche /  Wir sollten uns viel mehr darüber empören, was im Namen heiliger Bücher verbrochen wird, meint ein Islam-Kritiker.

upg. Die eine Haltung: «Religiöse Gefühle sind zu respektieren und dürfen nicht verletzt werden. Das öffentliche Verbrennen eines Korans wie in Schweden ist eine unnötige Provokation gläubiger Muslime. Das hat nichts mit Meinungsfreiheit zu tun, sondern schürt nur Hass und sollte verboten werden.»

Eine andere Haltung vertritt der deutsch-ägyptische Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad. Der Sohn eines sunnitischen Imams veröffentlichte im Jahr 2023 das Buch «Islam – eine kritische Geschichte». Infosperber fasst im Folgenden seine Argumente zusammen, wonach Koran-Verbrennungen im Namen der Freiheit zu tolerieren seien.[1] Auch diese Sicht kann zur eigenen Meinungsbildung beitragen.


Der 37-jährige Iraker Salwan Momika verbrannte in Schweden mehrmals den Koran oder trat ihn mit Füssen. Abdel-Samad nimmt ihn nicht in Schutz. Das Ziel von Momika sei es gewesen, die Gefühle der Muslime zu verletzen und gewalttätige Reaktionen zu provozieren. Wenn Momika sich dabei auf die Meinungsäusserungsfreiheit berufe, sei er völlig unglaubwürdig. Denn sein erklärtes Ziel sei es, den Koran in Schweden zu verbieten – also die Meinungsfreiheit mit Füssen zu treten. «Dieser Narzisst hat keine Ahnung, was Freiheit bedeutet», sagt Abdel-Samad. Aber: «Man darf ihm seine Freiheit nicht verwehren.»

Proteste der Muslime sind völlig unverhältnismässig

Das Problem sei nicht der Spinner, der den Koran verbrennt. Abdel-Samad wirft den protestierenden Muslimen in vielen arabischen Ländern vor, dass ihnen «ein paar Seiten Papier wichtiger sind als das Leben Tausender von Menschen». Er erinnert an die Ereignisse vor neun Jahren, als der IS im Irak und in Syrien wütete, Tausende Jesiden, Christen und auch Muslime tötete und Millionen Menschen unter der Flagge des Propheten in die Flucht trieb: «Kein Muslim ging auf die Strasse, um zu demonstrieren. Kein muslimischer Führer rief eine Dringlichkeitssitzung der Organisation für Islamische Zusammenarbeit ein.» Im Namen der Religion würden Gewalt offensichtlich befürwortet und geduldet.

Muslime anerkennen als Grundrecht nur ihre eigene Glaubensfreiheit im Ausland 

Muslime würden ihre Glaubensfreiheit in ganz Europa beanspruchen, jedoch andere freiheitliche Grundrechte ablehnen: «So etwa das Recht der Muslime auf Autonomie des eigenen Körpers und sexuelle Selbstbestimmung sowie das Recht der Islamkritiker, die Religion zu kritisieren.»

Auf der Welt würden über 8 Milliarden Menschen leben, davon mindestens 6,5 Milliarden von ihnen Nichtmuslime: «Von ihnen kann nicht erwartet werden, dass sie den Koran oder den Propheten des Islam mit demselben Respekt behandeln wie die Muslime.»

Die Freiheit hört bei religiösen Gefühlen nicht auf

Abdel-Samad wendet sich gegen «eine Diktatur der Gefühle und moralische Erpressung». Es gehe nicht darum, dass viele Ethnien und Religionen nebeneinander leben, sondern dass auch unerträgliche Meinungen nebeneinander existieren: «Freiheit entfaltet sich erst dann, wenn wir auch das tolerieren können, was uns aus ästhetischen, ideologischen oder religiösen Gründen nicht gefällt. Freiheit ist unteilbar.» Jeder Religonskritiker sollte seine Kritik in irgendeiner Form äussern dürfen, auch mit der Verbrennung heiliger Bücher. Und nochmals: «Wir sollten uns mehr über das empören, was im Namen dieser heiligen Bücher verbrochen wird, als über das, was mit einem gedruckten Buch geschieht.»

Ein Verbot öffnet das Tor zur Hölle

Schweden und Dänemark erwägen Schritte, um Koran-Verbrennungen in Zukunft strafrechtlich verfolgen zu können. Einerseits wollen sie die Gefühle der Muslime nicht verletzen, andererseits gehe es ihnen um die innere Sicherheit und um die politischen wie auch wirtschaftlichen Beziehungen zu islamischen Staaten. Für Abdel-Samad ist klar: «Das ist die falsche Antwort, sie öffnet das Tor zur Hölle.»

Der Staat dürfe die Meinungsfreiheit nicht einschränken in der Hoffnung, die Gefühle der Muslime und die innere Sicherheit zu schützen: «Wenn der Staat das Demonstrationsrecht zum Schutz der inneren Sicherheit einschränkt, ist das ein Kniefall vor Provokateuren und radikalen Islamisten. Letztere werden sich damit nicht zufriedengeben, sondern sich gestärkt fühlen und im Namen ihrer Gefühle fordern, dass islamkritische Bücher oder unislamische Kunst aus Bibliotheken und Galerien entfernt werden.»


_________
FUSSNOTE
[1] Die Zitate von Hamed Abdel-Samad stammen aus seinem Artikel in der NZZ vom 4. August 2023 unter dem Titel «Der Koran-Verbrenner tanzt Tango mit dem wütenden Muslim».
 

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NACHTRAG

Koranverbrennung ist in der Schweiz strafbar

Aus dem alten, aber immer noch gültigen Artikel 261 des Schweizerischen Strafgesetzbuches («Störung der Glaubens- und Kultusfreiheit») geht hervor, dass eine demonstrative Koranverbrennung in der Schweiz verboten ist:

«Wer öffentlich und in gemeiner Weise die Überzeugung anderer in Glaubenssachen, insbesondere den Glauben an Gott, beschimpft oder verspottet oder Gegenstände religiöser Verehrung verunehrt,
wer eine verfassungsmässig gewährleistete Kultushandlung böswillig verhindert, stört oder öffentlich verspottet,
wer einen Ort oder einen Gegenstand, die für einen verfassungsmässig gewährleisteten Kultus oder für eine solche Kultushandlung bestimmt sind, böswillig verunehrt,
wird mit Geldstrafe bestraft.»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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6 Meinungen

  • am 7.08.2023 um 11:19 Uhr
    Permalink

    Es ist Unfug, mit derartigen Buch-Verbrennungen Hass und Gewalt zu provozieren. Koran, Bibel, Veden sind veraltete Bücher, die auf niemandem mehr einen bestimmenden Einfluss haben sollten. Sie sind es alle nicht wert, ihretwegen Zwietracht, Unfrieden, ja gar Krieg zu riskieren. Unglaublich, dass solche Kinderein, wirklich wichtige Entscheidungen wie die Nato-Mitgliedschaft Schwedens, beeinflussen können.

    • am 10.08.2023 um 01:59 Uhr
      Permalink

      Seit vielen Jahrhunderten kommen mehr Menschen durch Aberglauben, Fanatismus und Religions-Abhängigkeit um oder werden umgebracht, als durch kriegerische Handlungen. Ich kann deshalb keiner Religion vertrauen schenken. Alle predigen Frieden, stiften aber Unfrieden. Es gibt um 1000 Glaubensbekenntnisse auf unserer Welt und die meisten haben den Anspruch auf die «allein selig machende». Ich habe mir die Natur als «Ersatzreligion» und die Naturgesetze zur «Ersatzbibel» gemacht. Die Naturgesetze wurden nicht von Menschen «erfunden». Das macht sie wesentlich glaubhafter.

  • am 7.08.2023 um 15:09 Uhr
    Permalink

    In Russland wurde «Pussy Riot» wegen ihrem «Auftritt» in einer Katherdrale wegen «Rowdytums aus religiösem Hass» verurteilt, da es in einer Kirche war und nicht im Stadtpark. In Russ gibt es viele verschiedenste Religionen und diese Gesetz wart den Religionsfrieden. Dito De, § 166 StGB Störung des Religionsfriedens.

    Mich stört es nicht, aber man kann es mit der Verbrennung von Nationalflaggen vergleichen, was in einigen Ländern verboten ist. Siehe dazu WP Flaggenverbrennung: «Das öffentliche Verbrennen von Flaggen ist in der Regel eine symbolische Handlung, um gegen einen Staat oder dessen Politik im Rahmen einer Demonstration zu protestieren. (…) In Deutschland steht das Verbrennen einer „öffentlich gezeigten Flagge der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder“ unter Strafe (Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole, § 90a StGB)».
    oder auch TAZ «Verbot von Flaggenverbrennen: Gesetz gegen Symbole».

    NB: Mich stört auch die Flaggenverbrennung nicht, aber die Zensur!!!

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 7.08.2023 um 16:39 Uhr
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    Soll «Meinungsfreiheit» zum Synonym für «Freipass andere zu beleidigen» werden, wie das offenbar in den US der Fall ist ?
    Aber gleichzeiitig soll «politically» korrekte Wortwahl in Bezug auf Gender und ethnisch-religiöser Zugehörigkeit durchgesetzt werden ?
    Solch interne Widersprüche sind kaum aufzulösen, solange einzelne ihre Ansichten anderen Leuten aufzwingen wollen. Die Zeit der Besserwisser hat offenbar Hochkonjunktur.

  • am 8.08.2023 um 09:18 Uhr
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    Bücher als Ausdruck der Meinungsfreiheit zu werten, genauso wie das Verbrennen von Flaggen, inkl. der LGBT Flaggen. Das kann man bedauern, ist aber so. Die Frage ist allerdings, wie und wann das Recht ausgeübt werden darf oder kann.
    Man darf ja anscheinend alte Zeitungen, oder Laub und Geäst auch nicht einfach auf dem Grundstück verbrennen, oder dort sein Auto waschen, nur weil man es als ‹Meinungsäusserung› deklariert. Deshalb wäre es auch akzeptabel, die Ausübung des Rechts zu reglementieren.
    Es kommt auch darauf an, was das Ziel der Aktion ist. Ist es eine einfache Äusserung seiner Meinung, oder ist das Ziel eine Provokation von anderen Menschen?
    Dass der Quran am 1. Tag des Eid al Adha vor einer Moschee verbrannt wurde, deutet auf letzteres hin – und dies kann der Staat verbieten aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, genauso, wie das Verbrennen von Büchern in einer Tankstelle auch nicht zugelassen würde.

  • am 8.08.2023 um 16:54 Uhr
    Permalink

    Abdel-Samads Argumentation kann ich nicht nachvollziehen:
    1. Koranverbrennungen und ähnliche Aktionen sind keine Religionskritik, sondern pure Schmähung mit dem Ziel, Andersdenkende (religiöse Moslems) zu provozieren. Derartige provokative Schmähungen stören auch mich als Christen. Egal, ob es sich um eine Schmähung gegen das Christentum, den Islam oder eine andere Weltreligion handelt.
    2. Es sollte auch Herrn Abdel-Samad bekannt sein (und er sollte es anerkennen), dass sich religiöse Würdenträger und islamische Religionswissenschaftler sehr wohl einer seriösen Religionskritik stellen, diese zum Teil auch selbst üben. Im Übrigen gibt es «den Islam» als monolithischen Block ebensowenig wie «das Christentum». Es ist unseriös, als Muslime nur die Extremisten und Schreihälse zu sehen und die weit überwiegende Anzahl der gläubigen, aber friedlichen Muslime zu subsumieren. Als Christ will ich auch nicht so behandelt werden, als wäre ich ein extremistischer us-amerikanischer Evangelikaler.

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