EuroparatSaal

Plenarsaal des Europarats in Strassburg © wikimedia commons

Die einseitige Religions-Kritik des Europarats

Kurt Marti /  Eine Resolution des Europarats fokussiert auf die islamische Scharia und blendet die «Scharias» anderer Religionen aus.

Fast unbemerkt von den Medien hat im Januar der Europarat, dem auch die Schweiz angehört, eine Resolution mit dem Titel «Die Scharia, die Erklärung von Kairo und die Europäische Menschenrechtskonvention» angenommen. Beifall klatschten vor allem evangelikale Fundamentalisten und die Alternative für Deutschland (AfD). Diese einseitige Reaktion zeigt: Auch die Resolution war einseitig.

Europarat: Scharia widerspricht Menschenrechten

Um was geht es in der Resolution? Auf der Grundlage der Europäischen Menschenrechtskonvention nahm der Europarat die Anwendungen der Scharia, also des islamischen Rechts, in einzelnen seiner 47 Mitgliedsländer unter die Lupe. Dabei zeigte er sich «zutiefst besorgt darüber, dass das Scharia-Recht (…) in mehreren Mitgliedstaaten des Europarates, in ihrem gesamten Hoheitsgebiet oder einem Teil davon formell oder informell angewandt wird.»

Konkret kommt der Europarat in seiner Resolution zum Schluss, «dass die Regeln der Scharia, beispielsweise über Scheidung und Erbschaft, eindeutig mit der Konvention unvereinbar sind, insbesondere mit dem Artikel 14, der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts oder der Religion verbietet, sowie mit Artikel 5 des Protokolls Nr. 7 zur Konvention (SEV Nr. 117), in dem die Gleichheit der Ehegatten gesetzlich verankert ist.» Zudem verstosse die Scharia gegen weitere Bestimmungen der Menschenrechtskonvention, beispielsweise gegen Artikel 9 (Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit) oder gegen Artikel 10 (Meinungsfreiheit).

Speziell ins Visier nimmt der Europarat die «Scharia-Räte» in Grossbritannien, «die versuchen, eine alternative Form der Streitbeilegung anzubieten (…) vor allem in Fragen der Ehe und des islamischen Scheidungsverfahrens, aber auch in Fragen der islamischen Erbfolge und der Handelsverträge. Die Versammlung ist besorgt darüber, dass die Entscheidungen der Scharia-Räte muslimische Frauen in Scheidungs- und Erbangelegenheiten eindeutig diskriminieren. Der Versammlung ist bekannt, dass informelle islamische Gerichte auch in anderen Mitgliedsstaaten des Europarates existieren können.»

Die Kritik des Europarats trifft auch die drei Mitgliedstaaten Albanien, Aserbaidschan und die Türkei, welche «die Erklärung von Kairo von 1990 ausdrücklich oder implizit gebilligt haben», deren «einzige Bezugsquelle» laut Resolution die Scharia ist. Die Kairoer Erklärung der Menschenrechte gilt als islamischer Gegenentwurf zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.

«Scharias» der anderen Religionen ausgeblendet

Zwar ist die Kritik des Europarats an der Scharia und den genannten Staaten berechtigt und notwendig, aber die Resolution fokussiert einzig auf die islamische Scharia und blendet die «Scharias» der anderen Religionen aus, obwohl am Anfang der Resolution noch allgemein von der «Bekämpfung aller Formen der Diskriminierung aufgrund der Religion» die Rede ist.

Der Europarat muss sich die Frage gefallen lassen, wieso er eine solche brisante Resolution nicht religionsübergreifend verfasst hat. Denn hier geht es um das Primat der Menschenrechte und der Rechtsstaaten vor den Religionen und dieses Primat muss allen Religionen abverlangt werden. Mit entsprechenden Konsequenzen. In den Fokus kämen da nicht nur die evangelikalen Kreise, die jetzt Beifall klatschen, sondern auch die erzkatholischen Fundamentalisten und die katholische Kirche, insbesondere in Bezug auf die Gleichstellung der Frauen und die Ablehnung der Homosexualität.

Siehe dazu folgende Artikel und Dossiers:

Sexual-«Scharia» gegen zwei Frauen im Wallis

Wahlverwandtschaft der religiösen Sexualmoralisten

Piusbruderschaft: Doppelmoral der SVP und CVP

DOSSIER: Religionen und Menschenrechte

DOSSIER: Toleranz gegenüber Fundamentalisten?

DOSSIER: Der Vatikan und die Katholiken


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

Religionen

Religionen und Menschenrechte

Je fundamentalistischer religiöse Gemeinschaften sind, desto weniger achten sie Menschenrechte.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

2 Meinungen

  • am 13.04.2019 um 14:43 Uhr
    Permalink

    Zweifellos ist es wichtig, dass der Europarat Missstände in allen Religionsgemeinschaften untersucht. Wenn Kurt Marti dem Europarat allerdings vorwirft, er blende «die «Scharias» der anderen Religionen aus», dann hätte man doch gerne konkretere Hinweise, welche Praktiken er genau mit diesen ««Scharias» der anderen Religionen» meint.

    Natürlich wäre es längst nötig, dass die katholische Kirche Frauen zum Priesteramt zulassen und den Zölibat aufheben würde. Diese überholten Regeln betreffen jedoch die gewöhnliche Zivilbevölkerung nicht. Auch hat die katholische Kirche meines Wissens in Europa nicht mehr die Machtmittel, um einer breiten Bevölkerung ihre heuchlerische Sexualmoral aufzuzwingen.

    Der mittels Link zitierte Fall aus dem Wallis ist doch eher ein Beispiel von firmeninternem Mobbing als von Scharia: Klar verwerflich, aber doch ein anderes Kaliber, als wenn einer ganzen Gesellschaft unter Androhung drakonischer Strafen, die weit über den Verlust des Arbeitsplatzes hinausgehen, ein bestimmtes Verhalten aufgezwungen wird.

  • am 24.09.2019 um 11:40 Uhr
    Permalink

    Ich kenne persönliche Geschichten von Frauen, die im Emmentaler Fundi-Kreis zu Ehen gezwungen wurden. Oder jüdische Frauen, die untertauchen mussten, weil sie in Gefahr waren, MR-Verletzungen durch ihre Familien.
    Es gibt nur eins: Frauen stärken für ein selbstbestimmtes Leben.

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...