Lehrerin

Eine junge Lehrerin begrüsst ihre Klasse vor der Lektion. © SRF Eco Talk

Der Lehrkräftemangel verschärft sich in gewissen Kantonen

Pascal Sigg /  Trotz Notmassnahmen verschlimmert sich die Situation weiter. Der verschärfte Mangel an Personal trifft besonders die Schwachen.

«Der Mangel an Lehrkräften entspannt sich» titelten Tages-Anzeiger und Bund am 8. März 2023 mit Verweis auf statistische Prognosen des Bildungsberichts 2023.

Tagi-Titelseite vom 8. März 2023

Dass dies mindestens auf den Kanton Zürich nicht zutraf, musste auch der Tages-Anzeiger einsehen und eine Woche später titeln: «Trotz Entwarnung fehlen noch immer Lehrerinnen und Lehrer.»

Die Zürcher Bildungsdirektorin Silvia Steiner stellte im Artikel eine mittelfristige Entspannung der Lage in Aussicht. Doch Christian Hugi, Präsident des Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverbands, bezeichnete diese Darstellung als «verharmlosend und unrealistisch».

Entweder Ende März oder April ist in den Deutschschweizer Kantonen letzter Kündigungstermin fürs kommende Schuljahr. Jetzt zeichnet sich also ab, wie die Situation nach den Sommerferien aussehen dürfte. Eine Infosperber-Umfrage in fünf Kantonen zeigt: Es wird noch schwieriger. Fast alle Lehrpersonenorganisationen berichten von einer Verschärfung des Problems. Dies ist mittlerweile alarmierend. Denn bereits heute wird mit Notmassnahmen wie der Zulassung nichtqualifizierter Personen gearbeitet.

Mangel in der Heilpädagogik besonders dramatisch

Stefan Wittwer, Geschäftsführer von Bildung Bern schreibt Infosperber:

«Der – qualitative – Lehrpersonenmangel ist und bleibt dramatisch hoch. Für den Sommer 2023 sind noch mehr freie Stellen ausgeschrieben als in den Vorjahren.» Besonders dramatisch sei die Situation im heilpädagogischen Bereich und auf der Primarstufe.

Gleich tönt es aus dem Kanton Obwalden: «Dieses Jahr ist es noch schwieriger, alle Stellen mit adäquat ausgebildeten Lehrpersonen zu besetzen. Ganz besonders schwierig ist das Finden von ausgebildeten Schulischen Heilpädagogen, die für unser integratives System enorm wichtig sind», schreibt Annemarie Schnider, Co-Präsidentin des Kantonalen Lehrerinnen- und Lehrervereins Obwalden.

Auch der Luzerner Lehrerinnen- und Lehrerverband berichtet von einer Verschärfung der Situation. Im Mehrjahresvergleich seien 25 Prozent mehr Stellen offen, meldet Präsident Alex Messerli.

Aus dem Kanton Schaffhausen heisst es: Das Problem sei noch lange nicht gelöst oder ausgestanden, so Roman Staude vom Verband Lehrpersonen Schaffhausen.

Einzig Christian Hugi aus dem Kanton Zürich spricht nicht von einer Verschärfung – aber auch nicht von Entspannung. Gegenüber Infosperber bezeichnete Hugi den Lehrpersonenmangel im Kanton als erheblich. Die Situation sei vergleichbar mit dem Vorjahr.

«Auch wenn wir es gerne anders hätten: Der Personalmangel an den Schulen ist leider noch nicht Geschichte», sagt Dagmar Rösler, Präsidentin des Dachverbandes LCH auf Infosperber-Anfrage.

Mehr Mobbing wegen Lehrpersonenmangel

Auch Christina Berger, Schulleiterin der Schule Rüderswil im Emmental, mag nichts schönreden. Sie konnte für kommendes Schuljahr zwar alle Klassenlehrstellen besetzen. Doch sie hat ein prägendes Jahr mit einer fehlenden Klassenlehrperson hinter sich. Diese ersetzte sie durch acht verschiedene Personen – darunter auch solche ohne Lehrerfahrung (Infosperber berichtete).

«Dass wir das Pensum auf acht Personen aufteilen mussten, zeitigte sehr schwierige Folgen. Die Bildungsqualität sinkt eindeutig. Jede Person machte es anders und es fehlte eine klare Führung.» Dies habe sich auch direkt negativ auf die Kinder ausgewirkt: «Es gab mehr Mobbing und das ist nachvollziehbar. Bei mangelhafter Gruppenbildung und fehlender Führung übernehmen die stärksten Kinder.»

Sie sei froh, habe sie alle Stellen besetzt, wenn sie sehe, wie viele Lehrkräfte im Kanton Bern fehlten, meint Berger. Doch Sorgen bereiten ihr weiterhin die Heilpädagogik-Pensen, die sie nicht abdecken kann. Darunter würden wiederum die schwächeren Kinder leiden. Und die Klassenlehrpersonen, welche keine Entlastung erfahren.

Weiterhin bessere Arbeitsbedingungen gefordert

Viele Lehrpersonenorganisationen fordern verbesserte Arbeitsbedingungen zur Lösung des Problems. Diese sind immer auch an die Geldfrage geknüpft.

Aus Schaffhausen heisst es: «Wir werden auch gegenüber dem kantonalen Parlament Forderungen für Verbesserungen der Arbeitsbedingungen stellen.»

Obwalden meldet: «Der Lohn für Lehrpersonen ist hier deutlich tiefer als im Durchschnitt der Zentralschweiz – das ist aktuell kein gutes Signal. Obwalden hat dieses Jahr nur 0,5 Prozent der Teuerung ausgeglichen. Viele Lehrpersonen arbeiten Teilzeit, weil die Belastung so hoch ist und weil in Obwalden die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht überall möglich ist.

Im Kanton Zürich, der trotz Steuersenkungen letztes Jahr über 500 Millionen Franken Gewinn erwirtschaftete, hat die Bildungsdirektion Verbesserungen angekündigt. Der Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverband begrüsste zwar deren Stossrichtung, kritisierte sie aber als zu schwach.

Doch noch scheinen die Deutschschweizer Lehrpersonen nicht bereit, lauter für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Dies spricht für ihr Arbeitsethos. Und sie wissen: Auch ein Streik würde die schwächsten Kinder treffen. Im Kanton Waadt, der den Lehrkräftemangel kaum kennt, streikten kürzlich Lehrpersonen. Sie forderten vollen Teuerungsausgleich und mehr Wertschätzung. Der Tages-Anzeiger titelte: «Tausende Schüler haben keinen Unterricht».


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Vater zweier Kinder.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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Pascal Sigg

Pascal Sigg ist Redaktor beim Infosperber und freier Reporter.

Eine Meinung zu

  • am 22.04.2023 um 09:18 Uhr
    Permalink

    Solange hilfsbereite Quereinsteiger grundsätzlich als unqualifiziert abstempelt werden, wird es wohl niemanden motivieren, da einzusteigen. In der IT funktioniert das seit Jahren gut, auch wenn es manchmal mühsam ist, der einzige Ingenieur unter hoch qualifizierten Juristen, Geografen, Philosophen, Ex-Bankerinnen zu sein. Es ist kaum vorstellbar, wie es mit derselben Einstellung in der hiesigen IT aussehen würde. Zum Wohl der Kinder, wäre es nun angebracht, dass ein paar «Verantwortliche» ihre Verantwortung wieder wahrnehmen und handeln würden. Sorry für diese netten Worte, aber diese Probleme sind wirklich hausgemacht.

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