10vor10Syngenta

Am 17. September 2018 sendete «10vor10» einen kritischen Beitrag zum Syngenta-Pestizid Polo © srf

Syngenta-Rohrkrepierer gegen SRF-Magazin «10vor10»

Kurt Marti /  Der Pestizid-Konzern Syngenta fuhr gegen einen Beitrag von «10vor10» schweres Geschütz auf und fiel ziemlich unsanft auf die Nase.

Mehrere Todesopfer forderte 2017 der Pestizideinsatz im indischen Distrikt Yavatmal, 800 Menschen mussten mit Vergiftungen ins Spital. Darüber berichtete das SRF-Magazin «10vor10» am 17. September 2018 und ging dem Vorwurf nach, der Basler Pestizid-Konzern Syngenta gehöre mit seinem Pestizid Polo zu den Mitverursachern.

Syngenta heulte auf…

Rund drei Wochen nach der Ausstrahlung des Beitrages fuhr Syngenta schweres Geschütz gegen das SRF-Magazin «10vor10» auf, und zwar mit einer Beanstandung beim Ombudsmann der SRG Deutschschweiz. Darin spricht Syngenta von «vorsätzlicher und konstruierter Rufschädigung», von «extrem rufschädigender Unterstellung», von «falschen Fakten», von «Vorwürfen», die «wie ein Kartenhaus» in sich zusammenfallen, von «fahrlässigem und verwerflichem Thesenjournalismus», von «Verschleierung», von «reiner Polemik», von unterstellter «Illegalität», von «polemischer Pseudo-Recherche», von der «Verletzung grundlegender journalistischer Regeln» und von «fehlender Fairness».

…und krebste zurück

Inzwischen fielen die happigen Vorwürfe des Syngenta-Konzerns gegen «10vor10» wie ein Kartenhaus zusammen, wie dem Bericht des Ombudsmanns Roger Blum vom 8. Januar 2019 zu entnehmen ist. Blum kommt nämlich zum Schluss: «Keine Rufschädigung im Syngenta-Bericht von ‚10vor10‘.» Und: «Der Beitrag war, wie die Redaktion in ihrer Stellungnahme nachweist, sachgerecht – mit geringfügigen Ausnahmen.»

Aufgrund der harten Vorwürfe lag es auf der Hand, dass Syngenta gegen den Entscheid des Ombudsmanns eine Beschwerde bei der «Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen» (UBI) einreichen würde.

Doch weit gefehlt! Auf Anfrage von Infosperber erklärte Syngenta, man habe entschieden, «den Fall nicht an die UBI weiterzuziehen und unsere knappen Ressourcen für anderes einzusetzen.» Die Begründung lautet: «Auch ein positiver UBI-Entscheid könnte den komplett falschen Eindruck, den der ‚10vor10‘- Bericht bei den Zuschauern über die Rolle von Syngenta bei den tragischen Vorkommnissen in Yavatmal vermittelt hat, nicht heilen.»

Es fehlt hier der Platz, auf sämtliche Vorwürfe von Syngenta gegen den «10vor10»-Beitrag einzugehen. Dafür sei auf die Stellungnahme der Redaktionsleitung von «10vor10» verwiesen, die – wie auch die Kritik von Syngenta – Teil des Berichts des Ombudsmanns ist.

Als Beispiele für die Vorwürfe des Syngenta-Konzerns sollen die «zwei faktischen Falschbehauptungen (Verbot in der Schweiz und Verbot in Indien)» dargestellt werden, die laut Syngenta «das Rückgrat des Berichts» darstellen und bei denen es sich «um konstruierte Rufschädigung» handle.

Syngenta-Behauptung Nr. 1: «In der Schweiz ist Polo nicht verboten»

Der Syngenta-Konzern behauptet in seiner Medienmitteilung vom 18. September 2018 und in seiner Beanstandung zuhanden des Ombudsmanns, das Pestizid Polo mit dem Wirkstoff Diafenthiuron sei in der Schweiz gar nicht verboten, wie «10vor10» fälschlicherweise behauptet habe:

«In der Schweiz ist Polo nicht verboten, sondern Syngenta hat seit einigen Jahren in der Schweiz keine Zulassung mehr für das Produkt beantragt. Das ist ein unternehmerischer Entscheid und hat nichts mit einem Verbot zu tun. Wenn also später in der Sendung behauptet wird, in der Schweiz sei Polo gemäss Verordnung aus Gründen des Gesundheits- und Umweltschutzes verboten, so hat das nichts mit Tatsachen zu tun. Eine solche Verordnung existiert nicht. Der Bericht suggeriert, Syngenta verkaufe in Schwellenländern etwas Gefährliches, das man in der Schweiz weder der Umwelt noch den Bauern zumuten könne. Das ist zwar eine süffige Geschichte, doch sie ist falsch. Und die Unterstellung ist extrem rufschädigend.»

Syngenta verlangte von «10vor10» eine Korrektur

Zunächst führte der Druck von Syngenta dazu, dass die Redaktionsleitung von «10vor10» am 4. Oktober 2018 auf der SRF-Homepage die folgende «Korrektur» veröffentlichte:

«Weiter hiess es (im Beitrag von ‚10vor10‘; Anm. d. Red.), dass Polo in der Schweiz aus Gründen des ‚Gesundheits- und Umweltschutzes‘ verboten ist. Diese Gründe treffen nicht zu. Es wurde kein Gesuch für die erneute Zulassung eingereicht, weswegen Polo in der Schweiz seit 2009 nicht mehr verkauft werden darf.»

Am 10. Oktober 2018 verlas «10vor10»-Moderator Arthur Honegger zudem eine «Gegendarstellung» von Syngenta, in der es u. a. hiess: «Syngenta hält in einer Gegendarstellung fest: (…) 3.: Polo ist nicht aus Gründen des Gesundheits- und Umweltschutzes in der Schweiz verboten, sondern aktuell nicht mehr zur Registrierung angemeldet.»

Später beurteilte «10vor10» «die Sachlage anders»

Diese Korrektur korrigierte die Redaktionsleitung von «10vor10» in ihrer Stellungnahme zuhanden des Ombudsmanns und beharrte auf der ursprünglichen Version im «10vor10»-Bericht:

«Aus heutiger Sicht und aufgrund obiger Ausführungen, insbesondere in Kenntnis der bundesrätlichen Stellungnahme vom 24.9.2018 zum Vorstoss 18.5534, in welcher der Bundesrat Polo ausdrücklich als Produkt bezeichnet, das ‘in der Schweiz wegen der Gesundheits- oder Umweltrisiken nicht in Verkehr gebracht’ werden darf, beurteilen wir die Sachlage anders. Was wir im Beitrag gesagt haben, ist also inhaltlich richtig: ‚In der Schweiz ist das Sprühen von Polo seit 2009 verboten – gemäss Verordnung ‘aus Gründen des Gesundheits- und Umweltschutzes.’»

Tatsächlich wird der Polo-Wirkstoff Diafenthiuron seit 2009 nicht mehr in der Pflanzenschutzmittelverordnung aufgeführt, was «faktisch einem Verbot gleichkommt», wie auch der Ombudsmann festhält. Doch damit nicht genug. Diafenthiuron ist in der Schweiz seit 2017 auch explizit verboten, denn der Wirkstoff steht auf der Liste «der in der Schweiz verbotenen oder strengen Beschränkungen unterliegenden Stoffe» der «Verordnung zum Rotterdamer Übereinkommen» (PIC-Verordnung).

Infosperber wollte von Syngenta wissen, ob dieses explizite Verbot gemäss der PIC-Verordnung nicht ein Widerspruch zur Behauptung von Syngenta ist, Polo sei in der Schweiz nicht verboten. In seiner Antwort sieht der Syngenta-Konzern darin «keinen Widerspruch», und zwar weil der Polo-Wirkstoff Diafenthiuron «automatisch» in die Liste der PIC-Verordnung aufgenommen worden sei. Und weiter: «Da Diafenthiuron 2009 nicht für eine erneute Evaluation angemeldet wurde und über ein theoretisches Gefährdungspotenzial verfügt, liegt keine Registrierung mehr vor.»

Dazu heisst es im erläuternden Bericht zur PIC-Verordnung jedoch klipp und klar: «Das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln (…) mit Wirkstoffen, die nicht evaluiert wurden (nicht unterstützte Wirkstoffe), ist nicht erlaubt, weil nicht nachgewiesen ist, dass das Risiko für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt bei Verwendung dieser Pestizide akzeptabel ist.» Daraus folgert die «10vor10»-Redaktionsleitung: «Nicht evaluierte Stoffe wie Diafenthiuron sind ganz klar nicht erlaubt resp. verboten. Diafenthiuron ist seit 2009 nicht mehr reevaluiert worden.»

Syngenta-Behauptung Nr. 2: «Zum Zeitpunkt der Sendung war Polo in der Provinz Yavatmal zugelassen»

Syngenta behauptete in der Beanstandung weiter: «Zum Zeitpunkt der Sendung und der Recherche war das Produkt Polo in ganz Indien zugelassen, auch im Staat Maharashtra und somit in der Provinz Yavatmal.»

Die Behauptung, Polo sei zum Zeitpunkt der Sendung im Distrikt Yavatmal zugelassen gewesen, stellt sich laut der Stellungnahme der «10vor10»-Redaktionsleitung zuhanden des Ombudsmanns als falsch heraus. Denn: «Seit dem 15. September 2018 ist eine weitere Notification des Bundesstaates Maharashtra in Kraft, die den Vertrieb, den Verkauf und das Sprühen unter anderem von Polo, respektive seinem Wirkstoff Diafenthiuron 50% WP, für weitere sechzig Tage verbietet.» Der «10vor10»-Beitrag wurde am 17. September 2018 gesendet, also zwei Tage nach Inkrafttreten der Notification.

Daraus folgert die «10vor10»-Redaktionsleitung: «Anders als die Beanstanderin meint, waren also zum Zeitpunkt der Sendung der Vertrieb, der Verkauf und der Gebrauch des Produktes Polo im Distrikt Yavatmal, wo unser Bericht spielt, sehr wohl verboten.»

Hingegen zum Zeitpunkt der Recherche beziehungsweise der Dreharbeiten, d. h. am 10. und 11. September 2018, war Polo im Distrikt Yavatmal nicht formell verboten, «sondern es gab vorher und nachher befristete regionale Verbote und zugleich war ein Antrag auf ein unbefristetes nationales Verbot hängig», wie der Ombudsmann festhält. Da sei «10vor10» «nicht präzise genug» gewesen.

«10vor10» hatte fälschlicherweise erwähnt, Polo sei im Distrikt Yavatmal seit Juli 2018 verboten gewesen. Dabei hatte sich «10vor10» auf Aussagen von Bauern, Verkäufern und auch auf einen Zeitungsartikel des renommierten «Indian Express» gestützt, «in dem ein Behördenvertreter von einem temporären Verbot im Sommer 2018» gesprochen habe. Dies habe man «in der Rubrik ‚Korrekturen‘ als auch in der Gegendarstellung berichtigt». Es sei aber dadurch «nicht ein grundsätzlicher falscher Eindruck» entstanden.

Wasser auf die Mühlen der «Konzernverantwortungsinitiative»

Mit der Behauptung Syngentas, Polo sei in der Schweiz nicht verboten, bekommt auch der folgende Vorwurf von Syngenta Schlagseite:

«Der Bericht (von «10vor10»; Anm. d. Red.) suggeriert, Syngenta verkaufe in Schwellenländern etwas Gefährliches, das man in der Schweiz weder der Umwelt noch den Bauern zumuten könne. Das ist zwar eine süffige Geschichte, doch sie ist falsch. Und die Unterstellung ist extrem rufschädigend.»

Fakt ist: Das Syngenta-Produkt Polo mit seinem Wirkstoff Diafenthiuron darf «in der Schweiz wegen der Gesundheits- oder Umweltrisiken nicht in Verkehr gebracht werden», wie der Bundesrat auf eine Frage der SP-Nationalrätin Claudia Friedl im September 2018 erklärte. Gleichzeitig hielt der Bundesrat fest, dass es in der Schweiz «weder ein Herstellungs- noch Ausfuhrverbot für das Produkt Polo und seinen Wirkstoff Diafenthiuron» gibt.

All das ist Wasser auf die Mühlen der «Konzernverantwortungsinitiative», die von den Konzernen mit Sitz in der Schweiz verlangt, die Menschenrechte und Umweltstandards auch in den Ländern des Südens einzuhalten. Im Fall von Syngenta fordert die «Konzernverantwortungsinitiative» konkret:

«Die in der Konzernverantwortungsinitiative vorgesehene verbindliche Sorgfaltsprüfung würde Syngenta verpflichten, in ihren Geschäftsabläufen Risiken für Menschen und Umwelt zu identifizieren und geeignete Gegenmassnahmen zu ergreifen. In Bezug auf die Verwendung von giftigen Pestiziden in einem Kontext wie jenem in Yavatmal könnte das Unternehmen nur zu einem Schluss kommen, wie die Reportage zeigt: Eine gefahrenlose Anwendung kann nicht sichergestellt werden. Der Verkauf müsste eingestellt werden.»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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Eine Meinung zu

  • am 11.03.2019 um 14:41 Uhr
    Permalink

    Fakt ist: Syngenta schädigt den Ruf der Schweiz in Indien. Punkt.

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