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Jonathan Lundgren hat Zweifel an der Umweltverträglichkeit wichtiger Pestizide © cc

US-Forscher klagt gegen Zensur der US-Agrarbehörde

Daniela Gschweng /  Seine pestizidkritische Forschung sei mehrfach behindert worden, sagt ein Wissenschaftler und verklagt die US-Agrarbehörde USDA.

Es ist zugegeben gewagt, sich auf eine Vortragsreise zu begeben, wenn man die Genehmigung des Arbeitgebers dazu nicht hat. Und es kann unangenehme Folgen haben, wenn man dies erst unterwegs erfährt.
Der Wissenschaftler Jonathan Lundgren, Insektenkundler und seit elf Jahren angestellt bei der US-Agrarbehörde USDA, befindet sich in genau dieser Situation. Im März 2015 stellte er fest, dass die Genehmigung für eine Vortragsreise, auf der er sich befand, seitens des US Departments of Agriculture gar nicht erteilt worden war.

Harsche Reaktion auf einen Lapsus

Ob er die Genehmigungsunterlagen bei seinem Arbeitgeber zu spät oder unvollständig eingereicht hatte, dazu gehen die Darstellungen verschiedener Medien auseinander. Worin sie sich einig sind: Reiseanträge in letzter Minute oder gar erst nach der Rückkehr einzureichen, ist in der Behörde gängige Praxis. Ein Lapsus also, der Lundgren mehrere tausend Dollar kostete, da die Reise bereits gebucht und bezahlt war.
Nach offizieller Lesart war Lundgren unerlaubt der Arbeit ferngeblieben. Dazu kam eine aus USDA-Sicht nicht genehmigte Publikation in einem Fachmedium. Im August wurde der renommierte Wissenschaftler deshalb für zwei Wochen suspendiert. Am 28. Oktober 2015 reichte die Organisation «Public Employees for Environmental Responsibility» (PEER), die öffentlich angestellte Forscher vertritt, in Lundgrens Namen eine Whistleblower-Klage bei einem US-Bundesgericht ein.

Neonics und RNAi-Pestizide: Eine Goldgrube für die Chemie

Eine auf beiden Seiten harsche Reaktion, die zumindest auf ein Kommunikationsproblem zwischen Lundgren und seinem direkten Vorgesetzten, der Abteilung für Agarforschung (ARS), schliessen lässt.

Weshalb die Lage zwischen dem Wissenschaftler und der ARS derart eskalierte, wird deutlicher, wenn man sich ansieht, woran Lundgren forscht: Der renommierte und mehrfach ausgezeichnete Wissenschaftler arbeitet als Labor- und Projektleiter an gleich zwei wichtigen Themen. Beide sind Goldgruben für die Agrar- und Pharmachemie.

Zum einen beschäftigt er sich seit mehreren Jahren mit Neonicotinoiden oder Neonics, den meistverwendeten Schädlingsbekämpfungsmitteln der Welt. Neonics stehen unter anderem im Verdacht, Verursacher des Bienensterbens zu sein*. Lundgren meldete Zweifel an ihrer Umweltverträglichkeit an.
Der Wissenschaftler fand heraus, dass Clothiadin, vertrieben von Bayer, schädlich für den Monarchfalter ist und dass Thiamethoxam (Syngenta) Sojapflanzen zwar nur wenig vor Blattläusen schützt, dafür aber Insekten schadet, die sich von Blattläusen ernähren.

Kritische Gedanken zur Pestizidnutzung

Zum Zweiten forscht der Entomologist im Bereich der RNA-Interferenz oder RNAi. RNAi ist eine neue Technologie, die es durch gezielte Eingriffe ermöglichen soll, bestimmte Insekten-Gene auszuschalten. Der Grossteil der Forschung zu RNAi, schrieb Lundgren 2013, entfalle jedoch auf die Humanmedizin.
Er meldete Zweifel an der Spezifität von RNAi-Pestiziden an und stellte zur Diskussion, dass «weitgehend ungeklärt» sei, wie lange RNAi-Pestizide in der Umwelt verbleiben, bevor sie abgebaut werden. Auf einem Kongress der US-Umweltbehörde EPA sprach Lundgren 2014 über die Risiken der RNAi-Technologie.
Ende Oktober 2015 wurde das erste RNAi-modifizierte Saatgut von Monsanto durch Lundgrens Arbeitgeber, das USDA, zugelassen. Die Umweltbehörde EPA, die am Zulassungsprozess beteiligt ist, sprach dem Genmais jedoch nur eine begrenzte Zulassung aus. Er darf nicht kommerziell vertrieben oder verkauft werden, berichtet das Magazin «Mother Jones».

Zunehmende Schikanen durch den Arbeitgeber

Seit etwa zwei Jahren, beschreibt Lundgren in der Klageschrift, sei er zunehmenden Repressalien ausgesetzt. Er wurde angewiesen, sich den Medien gegenüber über beide Themen nicht mehr zu äussern, sein Labor wurde einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen, mehrere seiner Mitarbeiter wurden entlassen. Seine Forschungsanträge – die Lebensgrundlage jeden Labors – wurden abgelehnt.

Der Wissenschaftler wurde sogar gebeten, seinen Namen aus einer Publikation zu entfernen. «Ich glaube, das wirft ernsthafte Fragen nach der Neutralität der Wissenschaft auf», schrieb Lundgrens Co-Autor, der Ökonom Scott Fausti, als Fussnote darunter.

«Sensible Forschungsschwerpunkte»
Wohlmeinende Beobachter sehen im Vorgehen des USDA den Versuch, Kontroversen zwischen Industrie und Aktivisten nicht zu befeuern. Die Behörde selbst bezeichnet die Forschungsschwerpunkte Lundgrens als «sensibel».

Lundgren ist der erste Wissenschaftler, der Repressalien öffentlich macht. Die Organisation PEER weiss jedoch auch von anderen, deren Arbeit durch das USDA behindert wurde. Nicht alle Beispiele seien so drastisch wie Lundgrens, sagt Jeff Ruch, Geschäftsführer der Non-Profit-Organisation. Es würde Forschern jedoch klargemacht, in welche Richtung ihre Forschung nicht gehen sollte.

«Man kann forschen an was man will, so lange es keine Auswirkungen auf die reale Welt hat», kommentiert er die internen Vorschriften des USDA, die Forscher anhält, «keine Aussagen zu treffen, die als Wertung … der Politik in Washington oder der des USDA aufgefasst werden können».

«Wenn man das so handhabt wie Jonathan, tut man das auf eigene Gefahr», sagte Ruch der Zeitschrift «The Atlantic».


Diesen Beitrag hat Daniela Gschweng aufgrund eines Berichts im Magazin «Mother Jones» und anderer US-Quellen erstellt. Grosse Medien in der Schweiz haben bisher nicht darüber berichtet.

*Siehe


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

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