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Südsee oder Adria? Sonne, Strand und Meer gibt's auch in der Nähe © cc

Anders Reisen: Weniger weit bringt am meisten

Hanspeter Guggenbühl /  Wer den Klimawandel bremsen will, muss weniger und anders reisen. Wege dazu zeigt ab heute unsere Reiseserie.

Im Sorgenbarometer stehen die Themen Umwelt und Klima wieder weit oben. Das ist auf das trockene und rekordwarme Jahr 2018, die Rekordmenge an CO2 und weiteren Treibhausgasen sowie die Klimastreiks von Jugendlichen zurückzuführen. Gäbe es einen Glücksbarometer, stünde hier das Thema Reisen in den vordersten Rängen. Weil die Menschen aber immer öfter und weiter reisen, verschärft sich der Konflikt zwischen Reisen und Umwelt.

In einer Serie informiert Infosperber ab heute über den Umfang des Schweizer Reiseverkehrs, seine Entwicklung und seine Auswirkungen auf Energieverbrauch und CO2-Ausstoss. Mit Vorschlägen und Beispielen für ein «Anderes Reisen» zeigen wir sodann, wie sich die Konflikte entschärfen lassen, ohne das Reiseglück zu schmälern.

25 000 Kilometer pro Person und Jahr

Verkehr entsteht, wenn eine Person nicht dort ist, wo sie sein will oder sein muss. Unsere Wünsche und wirtschaftlichen Strukturen führen dazu, dass das immer häufiger geschieht. Zudem steigen die Distanzen zwischen Stand- und Zielorten. Darum wächst der Verkehr, global und national.

Wie und wo das geschieht, zeigen unzählige Statistiken. Die individuellsten Resultate dazu liefert der sogenannte «Mikrozensus über das Verkehrsverhalten der Schweizer Bevölkerung»; die jüngste Ausgabe basiert auf dem Jahr 2015. Im Unterschied zur Verkehrsstatistik erfasst diese alle fünf Jahre durchgeführte Befragung nicht nur den Verkehr innerhalb der Schweiz, sondern auch die Reisen der Schweizer Bevölkerung im Ausland.

Beginnen wir beim Umfang und seiner Verteilung (siehe obige Grafik «Verkehrskonsum»): Eine in der Schweiz wohnhafte Person (ausgenommen jene unter sechs Jahren) legte 2015 durchschnittlich 25 000 Kilometer zurück. Davon spulte sie 15 600 Kilometer oder 62 Prozent im Alltag ab, vorab mit Pendel-, Einkaufs-, Dienst- und alltäglichen Freizeitfahrten. Die übrigen 9300 Kilometer oder 38 Prozent, entfallen auf Reisen im In- und Ausland – und damit auf unser Thema.

Diese 9300 Reisekilometer (siehe Grafik «Reiseverkehr») verteilen sich wie folgt: 1650 Kilometer pro Kopf und Jahr gehen aufs Konto Eintages-Reisen. Diese Tagesreisen legt die Bevölkerung mehrheitlich auf inländischem Boden zurück; dies zu 60 Prozent im Auto oder Töff, zu 30 Prozent mit öffentlichen Verkehrsmitteln (Bahn, Bus, etc.). Die verbleibenden zehn Prozent dieser Inlandreisen verteilen sich auf Flugzeug, Fahrrad und Wanderung.

Die übrigen 7650 Reisekilometer entfallen auf mehrtägige Reisen. Mehr als 90 Prozent dieser mehrtägigen Reisekilometer legt die Schweizer Bevölkerung auf oder über ausländischem Boden zurück.

Haupttreiber dieser Auslandreisen ist der Luftverkehr: Von den rund 7700 Kilometern pro Kopf, welche die Schweizer Bevölkerung im Jahr 2015 bei Mehrtages-Reisen zurücklegte, entfielen rund 6000 Kilometer oder 78 Prozent auf das Flugzeug (siehe Grafik «Mehrtagesreisen»).

6000 Flugkilometer pro Kopf und Jahr – zur Veranschaulichung: Das ergibt alle zwei Jahre einen Langstreckenflug Zürich-New York retour. Oder alle fünf Jahre eine Flugreise nach Australien. 6000 Flugkilometer sind es im Durchschnitt , der Bevölkerung, Greise und Kinder ab sechs Jahren eingeschlossen. Weil manche Schweizerinnen und Schweizer wenig reisen und selten oder nie fliegen, entfallen auf Vielreisende weit mehr als 6000 Flugkilometer.

Den mehrtätigen Reiseverkehr per Velo oder zu Fuss hat die Mikrozensus-Erhebung nicht erfasst. Er dürfte distanzmässig unter der Einprozent-Schwelle liegen, weil nur wenige der Befragten bei Mehrtagesreisen das Fahrrad oder die Wanderschuhe als «Hauptverkehrsmittel» angeben.

Massive Zunahme des Reiseverkehrs

Noch bemerkenswerter als der Umfang ist die Entwicklung des Schweizer Reiseverkehrs; dies vor allem auf oder über ausländischem Boden. Das zeigt der Vergleich der Mikrozensus-Erhebungen der Jahre 2015 und 2010 (die im Ausland zurückgelegten Distanzen erfasst die Mikrozensuserhebung leider erst seit 2010):

o Innerhalb dieser fünf Jahre steigerte die Schweizer Bevölkerung ihre gesamte Reisedistanz pro Person um 37 Prozent.

o Die Reisedistanz pro Person allein im Ausland stieg von 2010 bis 2015 sogar um 48 Prozent.

o Die Zahl der zurückgelegten Flugkilometer nahm in nur fünf Jahren um stolze 57 Prozent zu.

Wie sich der Schweizer Luftverkehr längerfristig entwickelt hat, zeigt, basierend auf Daten der inländischen Flughäfen und des Bundesamtes für Statistik, die folgende Grafik:

Lesehilfe: Die Zahl der Flugzeuge, die in Schweizer Flughäfen starteten und landeten, stieg von 2006 bis 2017 um 11 Prozent. Weil diese Flugzeuge innerhalb der erfassten Zeit grösser und besser ausgelastet wurden, nahm die Zahl der Passagiere im gleichen Zeitraum um 64 Prozent zu (mittlere Säule). Und weil die Distanz dieser Direktflüge ebenfalls leicht stieg, erhöhte sich die Transportleistung der Flugzeuge im Verkehr mit Schweizer Flughäfen von 2006 bis 2017 um stolze 70 Prozent (dritte Gruppe der Säulen).

In absoluten Zahlen: Die in der Schweiz startenden und landenden Flugzeuge beförderten im Jahr 2017 rund 57 Millionen Passagiere und erbrachten damit eine Transportleistung von rund 100 Milliarden Personenkilometern (Pkm). Je etwa die Hälfte dieser Personenkilometer (direkte Hin- und Heimflüge) entfällt auf die schweizerische und ausländische Bevölkerung; bei der ausländischen Bevölkerung fallen etwa die vermehrt aus Ostasien oder Übersee an- und heimreisenden TouristInnen ins Gewicht.

Der stark wachsende Flug-Reiseverkehr wirkt sich in Form von Lärm, Energieverbrauch und CO2-Ausstoss auch auf die Umwelt aus: Im Jahr 2017, so zeigen die Daten von Flughäfen und Energiestatistik nahezu übereinstimmend, verbrannten allein die in der Schweiz startenden Flugzeuge 1,6 bis 1,8 Millionen Tonnen Flugtreibstoff und erzeugten damit rund fünf Millionen Tonnen CO2. Ebenso gross dürfte der gesamte flugbedingte CO2-Ausstoss für die hin- und heimfliegende Schweizer Bevölkerung sein (mehr darüber im nächsten Teil dieser Serie). Gegenüber dem Jahr 2006 entspricht das – trotz effizienteren Triebwerken – einer Zunahme um 33 Prozent.

Diese Gesamtzahlen über die Transportleistung des Luftverkehrs lassen sich mit den weiter oben ausgebreiteten Mikrozensus-Daten nicht direkt vergleichen. Denn Mikrozensus erfasst den Verkehr pro Kopf und neben den Direktflügen ins Ausland auch die Anschlussflüge und Anschlussfahrten im Ausland, welche die obige Grafik nicht berücksichtigt.

Weniger weit bringt am meisten

Das Fazit aus den vielen Zahlen: Der Reiseverkehr der Schweizer Bevölkerung ist in wenigen Jahren massiv gewachsen. Damit stieg auch der verkehrsbedingte Energiekonsum und CO2-Ausstoss. Das verschärfte den Konflikt zwischen Reisen und Umweltbelastung.

Gleichzeitig zeigen diese Zahlen, wie wir diesen Konflikt am wirkungsvollsten entschärfen können: Mit weniger reisen, weniger oft und vor allem weniger weit. Denn eine grössere Rolle als die Wahl des Verkehrsmittels spielt die Wahl des Reiseziels. Umgekehrt beeinflusst die Wahl des Reiseziels wiederum die Wahl des Verkehrsmittels.

Beispiel: Wer Australien als Reiseziel wählt, reist zu 99 Prozent mit dem Flugzeug. Denn von Europa nach Australien fährt weder eine Bahn noch ein Reisebus. Und selbst wenn es eine Bahnverbindung nach Australien gäbe: Der Stromverbrauch eines Hochgeschwindigkeitszugs über eine Distanz von 30 000 Kilometer wäre ebenfalls beträchtlich.

Zürichberg statt Australien oder Alpen statt Antarktis

Bleibt die Frage, was uns entgeht, wenn wir Reisen zu fernen Zielen unterlassen. Gewiss, manche Dinge gibt es in der Nähe nicht. Wer das Leben von indigenen Völkern oder die Natur in tropischen Regenwäldern erkunden will, kommt um eine Fernreise nicht herum. Der «Schmelztiegel» New York oder die Exotik in Thailand mögen einmalig sein. Die Menschenleere der Wüste Sahara sucht man im Schweizer Mittelland vergeblich. Doch vieles, was Reisende in der Ferne suchen, liegt nahe. Dazu einige Anregungen:

– In einer Reisereportage über Australien beschrieb vor Jahren ein Journalist die Spaziergänge, die sich in der Umgebung von Melbourne anböten. Die Wälder sähen ähnlich aus wie auf dem Zürichberg. Warum denn nach Australien düsen statt mit dem Tram zur Haltestelle Zürich-Zoo?

– «Gletscher, Fjorde, Berge und Seen formen eine atemberaubende Kulisse», schwärmte ein anderer Schreiber unter dem Titel «Südchile ist ein Eldorado für Naturliebhaber». Doch Gletscher, Berge und Seen kann man auch in den Alpen betrachten, und Fjorde liegen in Norwegen näher als in Chile.

– Noch etwas weiter als nach Chile, nämlich bis an den Rand der Antarktis, lotsen Veranstalter Reisende zuweilen, um ihnen mit Blick auf das schmelzende Eis den Klimawandel vor Augen zu führen. Warum denn in die Antarktis jetten statt mit der Rhätischen Bahn nach Morteratsch im Oberengadin, wo das Eis ebenfalls schmilzt, und wo obendrein die klimabedingte Gletscherschmelze auf einem Lehrpfad eindrücklich dokumentiert wird.

– Wer Sonne, Strand und Meer sucht, muss weder in die Karibik noch in die Südsee düsen. Das Gleiche können wir an der Adria und damit in Bahndistanz finden – womit wir den reisebedingten Energieverbrauch und CO2-Ausstoss auf einen Bruchteil reduzieren.

Tempolimit für Flugzeuge

Zwischen Reisedistanz, Geschwindigkeit und Verkehrsmittelwahl besteht ein enger Zusammenhang. Je weiter eine Reise führt, desto schneller ist in der Regel das gewählte Verkehrsmittel, und desto grösser ist tendenziell auch sein Energieverbrauch. Fernreisen von mehreren tausend Kilometern Länge sind nur mit dem Flugzeug attraktiv. Ob wir für Distanzen bis tausend Kilometer das Flugzeug oder die Bahn wählen, hängt ebenfalls von der Geschwindigkeit ab; im Bummelzug fuhren einst weniger Leute nach Paris als heute mit dem TGV.

Reisedistanzen lassen sich also auch mit Tempolimits begrenzen. Der deutsche Mobilitätsexperte Karl Otto Schallaböck und der Schweizer Tourismusforscher Hansruedi Müller schlugen vor Jahren schon vor, für Flüge ein Tempolimit von 400 km/h, für Züge 200 km/h und für Autos maximal Tempo 100 km/h einzuführen.

Würde diese 400-200-100-Formel politisch umgesetzt, liessen sich die Reisedistanzen wesentlich verringern – ebenso der verkehrsbedingte Energieverbrauch und CO2-Ausstoss. Denn neben dem Wirkungsgrad des Antriebs bestimmt vor allem das Resultat aus Masse mal Geschwindigkeit den Energiebedarf im Verkehr. Ein Tempolimit für Flugzeuge würde nicht nur die Reisedistanzen verkürzen, sondern für mittlere Distanzen auch zum Umstieg auf die Bahn anreizen.

Lesen Sie in der nächsten Folge unserer Serie: «Anders Reisen: Zug statt Flug – was das Umsteigen bringt«


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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5 Meinungen

  • am 22.05.2019 um 12:25 Uhr
    Permalink

    Es stellt sich die Frage, ob Verkehrsflugzeuge in ihrer jetztigen Bauweise für Niedriggeschwindigkeiten von 400 km/h ausgelegt sind. Vermutlich reisen die Passagiere dann gefährlich nahe an einem Strömungsabriss – was den Flugverkehr letztlich auf «natürliche» Weise vermindern würde. ││ Vorindustriell lag die CO2-Konzentration bei 280 ppM. Das 2-Grad-Ziel würde einen Anstieg auf gut 2’800 ppM erlauben. Momentan liegt die Zahl bei etwas über 400 ppM. Ich bin im Kopfrechnen schwach, aber somit könnte es sein, dass wenn das CO2 weiterhin so ansteigt wie jetzt, dann wird das 2-Grad-Ziel in ca 1‘440 Jahren überschritten werden. Merkel und Papst können wiedergewählt werden! Hurra! ││ Das bei weitem wichtigste Treibhausgas ist der Wasserdampf. Wo kommt er her? Von Kernkraftwerken? Passen die Etablierung von Kernkraftwerken und die Beobachtung der Klimaerwärmung zeitlich zueinander?

  • am 22.05.2019 um 14:58 Uhr
    Permalink

    "Sonne, Strand und Meer» gibts an der Adria schon ab 7 bis 12 Grad C für Wasser und Luft. Das Gleiche kann man an einem nicht zu kalten Wintertag auch in Zürich finden (fast). Die Adria im Winter ernsthaft mit der Südsee gleichzusetzen, erscheint mir als vernebelnder Zweckoptimismus. Ansonsten bin ich mit der Grundrichtung des Autors einverstanden: Es gibt Leute/Kinder, die waren schon überall, haben aber nie das Matterhorn oder das Engadin erlebt. Oder den Feldberg.

  • billo
    am 24.05.2019 um 20:27 Uhr
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    Sehr eindrückliche Auslegeordnung! Die vorgeschlagenen Tempolimits dürften bis zum Eintritt der Katastrophe eher Fantasie bleiben; leicht realistischer wäre eventuell die Beschränkung der Kilometer pro Jahr über eine kostenwahre Lenkungsabgabe, deren Ertrag auf alle Einwohner gleichmässig verteilt wird.

  • am 27.05.2019 um 21:17 Uhr
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    @Fritze: Bei 2800 ppm CO2 wären wir geröstet und ab 1000 ppm nimmt die Leistungsfähigkeit von uns Menschen ab. Viele Wissenschafter gehen davon aus, dass 350 ppm gerade noch sicher wären. Wir sind heute aber bei 410 ppm. Genau, die politische Elite, die das verantwortet, muss entweder schon heute gehen oder aber sowohl die nötigen Spielregeln ändern wie auch ihren WählerInnen erklären, weshalb es diese neuen Spielregeln braucht.

  • am 8.06.2019 um 11:01 Uhr
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    Mehrtagesreisen werden vorrangig von Schweizern mit dem Flugzeug gemacht, wohl in Länder in denen die Preise viel niedriger sind. 3 Wochen einer 4-köpfigen Familie in Thailand sind incl. Flugkosten deutlich niedriger als was mit der Bahn zu erreichen ist.
    Ausser vielleicht sowas wie Bulgarien. Wer solche Reisen in Destinations mit geringer Geltung macht, sinkt in der Geltung seines Umfeldes.
    Übrigens macht der Kerosinverbrauch 1/3 allen Mineralöls in der Schweiz aus.
    Es ist übrigens heimtückisch den Klimaaktiven Jugendlichen vorzuwerfen zu fliegen.
    Was sollen die machen solange die Mehrheit in der Klasse für eine Flugreise der Klasse demokratisch stimmen; bei Ferienreisen die Eltern aus Kostengründen und Repitation ?
    Erst wenn immer weniger Flugzeuge überhaupt starten, wird weniger CO2 aus Minaralölen erzeugt.
    Werden synthetische Treibstoffe aus Bioreaktoren mit Mikroalgen erzeugt, würde CO2 in einer ausgeglichenen Bilanz fliessen. Wenn die Bioreaktoren zum grössten Teil aus Kunststoffen hergestellt werden, würde sogar der CO2-Gehalt aus in der Biosphäre wieder gesenkt.

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