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EU-Kommission: Über 50 Treffen mit den Pharma-Vertretern in viereinhalb Monaten © amio cajander/flickr/cc

Die Pharmalobby gebärdet sich immer aggressiver

Kurt Marti /  Im Hinblick auf das Freihandelsabkommen TTIP hat die Pharmaindustrie das Lobbying in Brüssel massiv verstärkt.

Die lobbykritischen Organisationen «Corporate Europe Observatory» CEO und «Health Action International – Europe» HAI Europe haben recherchiert, wieviel die Pharmafirmen für ihre Interessenvertretung in Brüssel ausgeben, wie oft sich ihre Vertreter mit den EU-Beamten getroffen haben und wie sie sich für das Freihandelsabkommen TTIP stark machen. Die Ergebnisse haben sie in der Studie «The firepower of the EU pharmaceutical lobby and implications for public health» Anfang September publiziert.

Dafür haben die Verfasser der Studie das Transparenzregister der EU ausgewertet, wo sich die Interessenvertreter der Wirtschaft, aber auch der zivilgesellschaftlichen Gruppen registrieren und ihre finanziellen Ressourcen veröffentlichen können. Allerdings handelt es sich dabei um freiwillige Angaben und vor allem die finanziellen Mittel dürften bedeutend höher sein als deklariert. Trotzdem geben diese Informationen einen Anhaltspunkt für die Schlagkraft der Pharmafirmen, der Pharmaverbände und der von ihnen bezahlten Lobbyffirmen.

Steigerung um das Zehnfache

Frappant sind die Unterschiede bei den finanziellen und personellen Ressourcen: Während die Pharmalobby ein PR-Budget von 40 Millionen Euro deklariert, sind es bei den zivilgesellschaftlichen Gruppen und Konsumentenorganisationen nur 2,7 Millionen Euro, also rund 15 mal weniger. Auch beim Personal hat die Pharmalobby die Nase mit 178 Vertretern gegenüber den 48 zivilgesellschaftlichen Vertretern vorne.


Finanzielle Mittel der zivilgesellschaftlichen Organisationen (links) und der Pharmalobby

Allein der grösste Pharmaverband «European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations» EFPIA steigerte seine Ausgaben fast um das Zehnfache von rund 570 000 Euro im Jahr 2011 auf 5 Millionen Euro im Jahr 2014. Wohlgemerkt, hier handelt es um eine Selbstdeklaration. In Wirklichkeit dürften die Ausgaben laut Studie bedeutend höher sein. Die EFPIA, bei der auch der Schweizer Verband Scienceindustries Mitglied ist, betreibt laut Studie ein immer aggressiveres Lobbying bei den zuständigen Vertretern der EU-Kommission: In viereinhalb Monaten zwischen November 2014 und Mitte März 2015 brachten es die EFPIA-Lobbyisten auf mehr als 50 Treffen. Die Studie listet die Treffen der EFPIA einzeln auf. Beispielsweise trafen sich die EFPIA-Vertreter im genannten Zeitraum viermal mit der Generaldirektion Handel (GD Trade) zum Freihandelsabkommen TTIP.

Volle Transparenz im öffentlichen Interesse gefordert

Laut Studie versuchen die Pharmakonzerne durch ihr Lobbying die Auflagen für die Zulassung von Medikamenten zu reduzieren und unter dem Vorwand des Geschäftsgeheimnisses die klinischen Studien unter Verschluss zu halten. Ein angestrebtes Mittel, dies zu erreichen, sei das Freihandelsabkommen TTIP mit der USA. Daraus erhofften sich die Pharmakonzerne längere Schutzfristen für Medikamente und folglich höhere Gewinne. Das sei überhaupt nicht im öffentlichen Interesse, denn falls einzelne Länder kürzere Schutzfristen aussprächen, könnten die Pharmakonzerne vor dem Internationalen Schiedsgericht ISDS für die entgangenen Gewinn Klage einreichen. Deshalb fordern die Autoren der Studie dringend eine Reduktion des Einflusses der Pharmalobby, beginnend mit voller Transparenz der finanziellen Mittel und der Treffen mit der EU-Kommission.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

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4 Meinungen

  • am 7.09.2015 um 13:36 Uhr
    Permalink

    Und wie genau denken Kurt Marti oder InfoSperber das Problem zu lösen? Etwa bei der Überzeugung von ethisch und moralische bankrotte PolitikerInnen, dieses inakzeptables Prozess zu stoppen?? Die Länder der sogenannten “ersten Welt” sind total «durchgelobbt, bestochen». Das ist eine Katastrophe, die sich nicht durch sanftes Berichten uber die Gafahren des Lobbying lösen lässt.. Sorry. Da müssten Sie sich und ihre KorespondentInnen wohl alle etwas ungewöhnliches einfallen lassen… oder mal rumschauen (!), ob andere Ideen nicht schon etwas ungewöhnliches vorsgechlagen haben.

    Denken Sie doch mal Lokal, aber handeln Sie mit Weitsicht, International. #repeace

  • am 7.09.2015 um 17:18 Uhr
    Permalink

    Eigenartig; der Kürzel ISDS. Da werden dann wohl alle heutigen Gestetze niedergeschlagen. Und das klingt doch sehr nach IS!
    Quo vadis il Mondo?

  • am 3.10.2015 um 17:00 Uhr
    Permalink

    Laut dem , was bereits so aus der Dunkelkammer der Verhandlungen durchsickerte, handelt es sich beim TTIP, wie auch bei dessen trojanischem Pferd, dem EU-kanadischen CETA, strukturell und ideell um nichts anderes als eine Neuauflage des zum grossen Glück gescheiterten, handelsanarchistischen MAI (Multilaterales Investitionsabkommen), in dem unter 10 Kernpunkten vor allem dieser hier auffiel:

    "Staatshaftung: Nationalstaaten haften für alle Vermögensschäden der Investoren, die aufgrund von Protesten und Unruhen entstehen. Schadensersatzpflicht besteht ferner für Mindererlöse durch nationale Gesetze oder Verordnungen, wenn in einem anderen Mitgliedsland des MAI diese Gesetze nicht bestehen.» siehe

    https://de.wikipedia.org/wiki/Multilaterales_Abkommen_%C3%BCber_Investitionen#Kernpunkte_des_MAI)

    Wer diesen Kernpunkt, der im NAFTA und anderen Freihandelsabkommen bereits umgesetzt ist, genauer anschaut, erkennt darin eine Einladung zur handelstechnischen Unterminierung von Demokratie, Menschen- und Völkerrecht. In diesem Sinne ist der Fingerzeig Kurt Martis auf die Pharmalobby wohl richtig aber hinsichtlich des TTIP – wie bei den Chlorhühnchen – einseitig fokussiert. Er klammert damit die vielen anderen im TTIP verhandelten, staats- und völkerrechtlich äusserst problematischen Punkte leider aus, sperrt sie aus.
    Wenn man – wie beim Chlorhühnchen – vom ganzen losgelöst nur einen Problempunkt herausgreift, fällt es den TTIP-Befürwortern sehr leicht, die Bedenken auszuhebeln.

  • am 3.10.2015 um 17:00 Uhr
    Permalink

    Laut dem , was bereits so aus der Dunkelkammer der Verhandlungen durchsickerte, handelt es sich beim TTIP, wie auch bei dessen trojanischem Pferd, dem EU-kanadischen CETA, strukturell und ideell um nichts anderes als eine Neuauflage des zum grossen Glück gescheiterten, handelsanarchistischen MAI (Multilaterales Investitionsabkommen), in dem unter 10 Kernpunkten vor allem dieser hier auffiel:

    "Staatshaftung: Nationalstaaten haften für alle Vermögensschäden der Investoren, die aufgrund von Protesten und Unruhen entstehen. Schadensersatzpflicht besteht ferner für Mindererlöse durch nationale Gesetze oder Verordnungen, wenn in einem anderen Mitgliedsland des MAI diese Gesetze nicht bestehen.» siehe

    https://de.wikipedia.org/wiki/Multilaterales_Abkommen_%C3%BCber_Investitionen#Kernpunkte_des_MAI)

    Wer diesen Kernpunkt, der im NAFTA und anderen Freihandelsabkommen bereits umgesetzt ist, genauer anschaut, erkennt darin eine Einladung zur handelstechnischen Unterminierung von Demokratie, Menschen- und Völkerrecht. In diesem Sinne ist der Fingerzeig Kurt Martis auf die Pharmalobby wohl richtig aber hinsichtlich des TTIP – wie bei den Chlorhühnchen – einseitig fokussiert. Er klammert damit die vielen anderen im TTIP verhandelten, staats- und völkerrechtlich äusserst problematischen Punkte leider aus, sperrt sie aus.
    Wenn man – wie beim Chlorhühnchen – vom ganzen losgelöst nur einen Problempunkt herausgreift, fällt es den TTIP-Befürwortern sehr leicht, die Bedenken auszuhebeln.

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