Kommentar

Präsident Trump: Durchaus berechenbar

Erich Gysling © zvg

Erich Gysling /  Jerusalem als Hauptstadt Israels: US-amerikanischer Courant normal oder evangelikaler Aufbruch zum Marsch Richtung Harmagedon?

Donald Trump hat mit seiner Jerusalem-Entscheidung in zugespitzter Form fortgeführt, was Vorgängerpräsidenten seit Jimmy Carter in den Siebzigerjahren angebahnt haben. Auch sie, immer vorangetrieben vom Kongress, spielten sich zwar gerne als «ehrliche Makler» auf, aber in den Stunden der Wahrheit gaben sie grünes Licht zugunsten Israels und zuungunsten der Palästinenser. Sie übten allenfalls milde Kritik an der ständig vorangetriebenen Besiedlung des Westjordanlands und der Enteignung von Arabern innerhalb der von Israel willkürlich ausgeweiteten Grenzen des annektierten Jerusalems, drohten in Einzelfällen auch mit dem Einfrieren von Geldern, aber spätestens nach einigen Wochen kehrte Washington zum courant normal zurück. So untergruben die USA faktisch seit Jahrzehnten die Idee einer Zweistaatenlösung. In der UNO blockierten sie israelkritische Resolutionen mit dem Veto oder übten, allerdings nur in extremen Ausnahmefällen, Stimmenthaltung.
Also ist das, was der US-Präsident jetzt entschieden hat, nichts als eine Fortsetzung der alten Politik respektive die Anerkennung von Realitäten? Nein, Trump hat eine neue Negativ-Qualität in den Konflikt eingebracht: er hat den Verhandlungsprozess im Nahen Osten (beschönigend als Friedensverhandlungen bezeichnet) definitiv zum Stillstand gebracht.
Weshalb? Donald Trump orientiert sich bei seinen scheinbar sprunghaften Entscheidungen konsequent an den Präferenzen seiner Wählerbasis – bei der Nahost-Politik ist es das Konglomerat von Erzkonservativen und Evangelikalen. Von der Öffentlichkeit wenig beachtet, spielt offenkundig der informelle Beraterstab von «wieder erweckten» Christen eine wesentliche Rolle. Er besteht aus 26 Persönlichkeiten, die Zugang zum Präsidenten haben und deren Credo darin besteht, dass Israel aufgrund biblischer Texte immer recht hat, dass die Geschichte der Menschheit unweigerlich auf Harmagedon zuläuft, also auf die in der Offenbarung des Johannes vorausgesagte Entscheidungsschlacht im «Krieg des grossen Tages Gottes». Gemäss dieser Sichtweise haben die Palästinenser kein Recht auf das Westjordanland und ohnehin nicht auf Jerusalem.
Erzkonservative und Evangelikale bilden in den USA einen Wählerblock von geschätzten 60 bis 70 Millionen. Sie sind für jeden Politiker bedeutend wichtiger als die jüdische Gemeinschaft – die innerlich vielfältig ist und keineswegs nur aus Netanyahu-Sympathisanten besteht. Donald Trump als Werkzeug der viel gescholtenen sogenannten jüdischen Lobby und Jared Kushners zu bezeichnen, greift auf jeden Fall zu kurz. Und auch die in den Medien immer wieder präsentierte Interpretation, Trump sei sprunghaft und unberechenbar, verkennt Wesentliches: dieser Präsident vollzieht genau das, was er seinen Anhängern im Wahlkampf versprochen hat. Und er ist zäh, hat Durchhaltevermögen. Das zeigte sich auch beim Einreiseverbot für Menschen aus mehreren muslimischen Ländern, das er so lange, wenn auch modifiziert, durchzog, bis die Justiz ihm recht gab.
Das verheisst nichts Gutes für die Zukunft. Versprach Donald Trump nicht auch schon die Abkehr vom Atomvertrag mit Iran und die Wiedereinführung von zusätzlichen Sanktionen? Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis der Präsident sich diesem Thema zuwenden wird.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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US-Politik unter Donald Trump

Weichenstellungen: An seinen Entscheiden ist Trump zu messen, nicht an seinen widersprüchlichen Aussagen.

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4 Meinungen

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 8.12.2017 um 11:27 Uhr
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    Ein sehr sachlicher Artikel, welcher dem Leser auch noch eigene Wertungen erlaubt.

  • am 8.12.2017 um 12:46 Uhr
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    Trump hat seinen Wählern das Gleiche versprochen wie seine drei Vorgänger. Neu ist, dass Trump das Versprochene in seinem ersten Amtsjahr umsetzt. Ob man seine Art mag oder nicht: Dass er sich an sein Versprechen hält, erhöht seine Glaubwürdigkeit.

  • am 10.12.2017 um 14:55 Uhr
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    Mit Verlaub, Hans Geiger. Glaubwürdig? Trump hat genau die Glaubwürdigkeit, die auch schon ein Hitler hatte. Mir wird richtig übel ob ihrem Statement. Immer noch gebe ich mich der Hoffnung hin, dass die wirklich Glaubwürdigen aufstehen und sich einen Trump nicht mehr bieten lassen. Mit etwas Kreativität liesse sich das machen. Einige mutige Menschen sind gefragt. Aber bitte lieber heute als morgen. Sonst erwartet uns die tiefste, langandauernde Nacht auf unserem Globus.

  • am 12.12.2017 um 10:50 Uhr
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    Saubere Arbeit, Mr President. Allererste Sahne.
    Wie man sieht, haben Sie mit dieser Aktion wirklich etwas bewegt: die Fanatiker auf allen Seiten fühlen sich bestätigt und noch mehr im Recht (als ob sie das gebraucht hätten). Es wird also wieder geschossen , in die Luft gesprengt und bombardiert, was das Zeug hält, und natürlich sind jeweils die anderen Schuld. Auch das wie gehabt.
    Aber wieso muss eigentlich ums Verr… Jerusalem die Hauptstadt sein? Wieso nicht z.B. Tel Aviv und Ramallah? Jerusalem könnte dann eine neutrale Zone werden, so wie es ja ursprünglich gedacht war. Alle hätten Zugang, aber niemand wäre der Chef. Könnte man doch mindestens versuchen, alles andere funktioniert sowieso nicht. Seit Jahrtausenden. Himmel Dings und Zwirn.

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